Wenn Rebellen Väter werden
Wolf Wondratschek, ein ganz und gar Unangepasster aus der Generation der Achtundsechziger, hat ein Buch über einen Mann geschrieben, dem in vorgerücktem Alter noch ein Sohn geschenkt wird. Ist der 62-jährige Autor endlich „vernünftig“ geworden? Ja und nein.
Wir älteren Literaturfreaks erinnern uns noch gut an Chuck, den kratzbürstigen jungen Helden aus Wolf Wondratscheks Lyrikband „Chuck’s Zimmer“ (1974). Für seinen neuen Roman „Das Geschenk“ hat Wondratschek diesen Chuck aus der literaturhistorischen Versenkung geholt. Er ist mittlerweile sechzig geworden und fragt sich, wie er mit seinem 14-jährigen Sohn umgehen soll.
Chuck weiß nicht so recht, wie er an den Jungen rankommen soll. Die Gitarre, die er ihm schenkt, bleibt unbeachtet. Die Bücher, die er ihm empfiehlt, bleiben ungelesen. Und die Werte, die er dem Sohn vermitteln will, stoßen auf wenig Interesse. Die Umstände, unter denen Chucks Sohn gezeugt worden ist, wirken besorgniserregend. Das Kind war das Ergebnis einer Lebenskrise.
Zum Wohl des Kindes...
Chuck steckte metertief in der Drogensucht. Wollte er weiterleben, musste er sein Leben von Grund auf verändern. Medium und Muse der Umkehr wurde eine deutlich jüngere Frau, an der aber Chuck darüber hinaus kein besonderes Interesse hatte. Die Liebesbeziehung, die keine war, ging schnell zu Ende. Die Frau verzieh diese Zurückweisung nie so recht, und Chuck widersprach ihr nicht, wenn sie ihn einen „Scheißkerl“ nannte. Obwohl das Kind bei der Mutter lebt, entwickelt Chuck väterliche Gefühle für seinen Sohn, bemüht sich darum, in den Besuchszeiten wirklich ganz für das Kind da zu sein, und fragt sich selbstkritisch, ob einer wie er überhaupt im Stande sei, die Vaterrolle zum Wohl des Kindes auszufüllen. Chuck blickt auf sein Leben zurück, auf sein Lebensideal vom unabhängigen Schriftsteller, der nur der Wahrhaftigkeit seines Schreibens verpflichtet ist.
Wondratschek gibt erhellende Einblicke in diverse Milieus der radikalen Achtundsechziger, ihre politischen Wege und Irrwege und ihre gefährliche Sucht nach dem anderen, dem intensiveren Leben außerhalb der bürgerlichen Zaghaftigkeit, Verlogenheit und Angepasstheit. Wolf Wondratscheks Männerfiguren ließen sich ihren Machismus nie so recht nehmen. Daraus macht der Autor auch in diesem Buch kein Geheimnis. Aber er ist viel zu sehr Realist, um zu verdrängen, dass sexuelle Ausstrahlungskraft auch bei Männern ein Ablaufdatum hat. Aus Knaben werden Männer. Aus Männern werden Greise. Und eine Prostata tut, was sie will.
In einer Szene, die in der Praxis einer Urologin spielt, dekonstruiert Wondratschek den Machismus auf bitter ironische Weise; und mit einem großartigen Prosagedicht über den Tod eines alten Mafioso mit Harnverhaltung legt er am Ende des Buchs noch einmal eins drauf. Ist er also „vernünftig“ und demütig geworden, der ehemalige wilde Hund namens Chuck? Sagen wir so: Er ist menschenfreundlicher und milder geworden. Aber an einem lässt Wolf Wondratschek nach wie vor keinen Zweifel. Es gibt Situationen, in denen Kompromisse Selbstaufgabe sind und das Prinzip der Unabhängigkeit verteidigt werden muss. Hoffentlich kommt wenigstens diese Botschaft beim Sohn an.
Wolf Wondratschek: „Das Geschenk“, Roman, Hanser Verlag, 172 Seiten, 18,50 Euro
Lesethemen – Lebensthemen, Folge 18
Am Donnerstag, dem 7. April (Linz, Stifterhaus, 19.30 Uhr), ist Wolf Wondratschek zu Gast in der OÖNachrichten-Stifterhaus-Reihe „Lesethemen – Lebensthemen“. Er liest aus seinem Roman „Das Geschenk“ und diskutiert unter der Leitung von OÖNachrichten-Literaturkritiker Christian Schacherreiter mit dem Soziologen Richard Schneebauer über das Lebensthema „Väter und Söhne“. Schneebauer ist vor allem in der Männerforschung tätig.
philip roth. aber ich habs noch nicht gelesen.