"Liebe": Großartiges Leiden an der wahren Liebe
Regisseur Michael Haneke ist ohne Zweifel ein Meister seines Faches. Und in seinem neuen Drama „Liebe“, das beim Filmfest in Cannes bereits die Goldenen Palme gewann, lässt er die Zuseher von Beginn an seiner Brillanz teilhaben.
Zu sehen sind die Ränge eines Konzerthauses, die sich unter viel Getöse füllen. Man kann die Augen nicht mehr von einem alten Paar ganz links wenden. Es sind Anne (Emmanuelle Riva) und Georges (Jean-Louis Trintignant). Setzt die Musik ein, lächelt sie sanft. Er blickt nur zu ihr, nicht nach vorne.
Mit dieser subtilen wie zarten Inszenierung hat Haneke das universelle Thema des Films, die Liebe, stark eingeführt. Denn die Szene dauert zwar nur einen Augenblick, doch bietet sie vieles, um noch mehr – Erinnerungen, Sehnsüchte – beim Zuseher auszulösen. Haneke wird so viele Facetten der Liebe zwischen Mann und Frau zeigen, dass ein wahrer Gefühlsreigen entstehen kann.
Das Schöne vergeht aber schnell. Nach einem Schlaganfall ist Anne auf der rechten Seite gelähmt. Georges pflegt sie, solange er kann. Zu sehen ist das Paar – typisch für Haneke – stets aus sicherer Entfernung, immer so nahe, um es intensiv wahrnehmen zu können. Es entsteht ein beklemmendes Kammerspiel zweier Schauspieler, die das Leiden an der wahren Liebe großartig inszenieren. Ihr einziger Spielort ist die Wohnung. Ihre Musik: Geräusche des Lebens. Rivas Darstellung einer Frau, die auf das Sterben wartet, ist unvergleichlich. Es ist brutal, wenn sie versucht zu sprechen, aber nur Laute ausstößt, die den Klang eines Wortes im besten Fall imitieren.
Ästhetisch und verstörend
Trintignant zeigt virtuos mit Blicken und Haltung die vielen Leben des Georges als liebevoller Ehemann, aufopfernder Freund und stoischer Pflegeroboter. Im Zusammenspiel zeigen sie, immer natürlich, wie sich Liebe mit Bürde vermengt. Hebt Georges seine Anne in den Rollstuhl, sieht es kurz so aus, als würden sie sich küssen.
Isabelle Huppert baut als Tochter Eva eine Mauer des Nicht-Wahrhaben-Wollens auf, über die sie ihren Eltern im Kampf um Leben und Beziehung bloß zusieht. Als die Wand einbricht, wird sie glaubhaft emotional gebeutelt.
Ihre Rolle birgt viel Wahres über den Umgang mit alten Menschen. Denn – auch wenn es Haneke nicht darauf angelegt hat – zeigt sein Film auch das Leiden im Alter.
„Liebe“ ist ästhetisch wie verstörend – und das mehr als zwei Stunden lang. Hinzusehen und auch auszuhalten lohnt sich. Denn Haneke ist wieder gelungen, den Finger auf die wunden Punkte zu legen – auf die des Einzelnen und der Gesellschaft.
Liebe: F/D/AUT 2012, 125 Min. Regie: Michael Haneke
OÖN Bewertung: 6 von 6 Sternen