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Die surreale Realität der Verunsicherungen

Von Christian Schacherreiter, 11. Oktober 2011, 00:04 Uhr
Deutscher Buchpreis für Eugen Ruges Debütroman
Streeruwitz schaffte es auf die Shortlist. Bild: S. Fischer

Den Deutschen Buchpreis hat Marlene Streeruwitz nun doch nicht bekommen. Ungeachtet dessen ist ihr Roman „Die Schmerzmacherin“ ein außergewöhnliches Buch über Verunsicherungen und Verstörungen unserer Zeit.

Bewegungslos hockende Raubvögel, Kälte, Wälder, Kreuze an Weggabelungen, ein Schneefeld… Als wäre man in ein Wintergedicht von Georg Trakl geraten, so frostig fremd präsentiert sich der Anfang von Marlene Streeruwitz’ Roman. Und als die 24-jährige Amy das Ziel ihrer Reise im bayrisch-tschechischen Grenzgebiet erreicht hat, wähnt man sich in der zeitgemäßen Variante eines Kafka-Orts.

Was aber surreal erscheint, ist fest verankert in der Wirklichkeit. In unserer surrealen Wirklichkeit. Amy hat sich von einer in England lebenden Großtante dazu überreden lassen, sich zur Fachfrau für Sicherheit ausbilden zu lassen. Die Ausbildungsmethoden sind abstoßend, aber wer weiß schon, was normal ist für Sicherheitsexperten, deren Einsatzorte auch in Afghanistan liegen könnten. Amys gewohnte Vorstellungen geraten ins Rutschen. Nach einem Tag, an den sie sich nicht erinnern kann, liegt Freund Gino mit zerschlagener Kniescheibe im Krankenhaus. Und als Amy einen Abortus erleidet, weiß sie, dass Dinge passiert sein müssen, die mit seriöser Ausbildung nichts zu tun haben.

Amalia Schreiber, Amy oder auch Mali genannt, kommt aus einer Familie, in der seit Generationen die Väter fehlen. Die „Betsimammi“, Amys Mutter, war aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit nicht erziehungsfähig. Auch die Großmutter, das „Mammerl“, war als Mutterersatz nicht geeignet. Amy wuchs bei Pflegeeltern auf, Tante und Onkel Schottola, die ihre wichtigsten Bezugspersonen sind, der einzige zuverlässige Halt in Amys Welt, die nicht aus den Fugen geraten konnte, weil sie nie drinnen war. Aber jetzt ist Tante Schottola an Krebs erkrankt. Wieder bricht eine Sicherheit weg.

Der Verlust von Sicherheiten zieht sich leitmotivartig durch Amys Leben: die Erosion der Familie, die Undurchschaubarkeit der Vorgänge im Ausbildungslehrgang, die Verstörung der Protagonistin in einer konturenlosen Welt.

Handlungsorte sind die bayrisch-tschechische Grenzregion, Wien, London, Nottingham, Stockerau – das globale Dorf eben. Handy, Laptop, Mikrokamera und das Englische als Verständigungssprache sind Dauerbegleiter.

Angst, Desorientierung

Wir haben es mit einem Kriminalfall zu tun, aber ermittelnde Kriminalbeamte gibt es nicht. Lösen sich Staaten in private Netzwerke auf? Marlene Streeruwitz erzählt aus der Perspektive ihrer weiblichen Hauptfigur im bekannten Streeruwitz-Stil (abgerissene Sätze, Reihungen in kurzatmigem Rhythmus). Die Angst, die Desorientierung ereignen sich im Bewusstsein der Protagonistin, aber nicht als Neurose, sondern als Reaktion auf den Weltzustand.

„Die Schmerzmacherin“ ist ein ungewöhnliches, ein irritierendes und befremdliches Buch. Aber wir können es nicht als verstiegene Fiktion abtun, sondern müssen befürchten, dass die Autorin ein treffsicheres Gespür für die problematische mentale Verfassung unserer Zeit hat.

 

Das Buch

Marlene Streeruwitz: „Die Schmerzmacherin“, Roman, S. Fischer, 400 Seiten, 20,60 Euro
 

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