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Im Kaiserpanorama

Von Stefanie Sourlier, 09. Juni 2016, 00:04 Uhr

Im Zug fahre ich nach ein paar Tagen über Fronleichnam in Berlin wieder zurück über Bayern und weiter nach Wels.

Im Abteil nebenan sitzt eine syrische Familie, der größere Junge fragt seinen Vater alle paar Minuten etwas, was ich durch die Wiederholung des seltsam betonten "Passau" als "ist das Passau?" oder "wann sind wir endlich in Passau?" deute, die Familie ist seit über dreizehn Stunden mit dem "Schönes-Wochenende-Ticket" unterwegs, von ihrem neuen Aufenthaltsort in Hagen noch einmal zurück zur Flüchtlingsunterkunft in der Nähe der tschechischen Grenze. Im Gegensatz zu den anderen Fahrgästen werden sie nach jeder Station und bei jedem Personalwechsel erneut kontrolliert.

Im Fenster ziehen die Bilder schnell vorbei, mit halbgeschlossenen Augen betrachte ich die von Bahnmasten zerhackte, von Ästen schraffierte frühlingsgrüne Landschaft. Ich denke an das Kaiserpanorama im Welser Medienkulturhaus, an die Lichtbilder, die sich dreidimensional in die Ferne erstrecken, bis das Bild mit einer ruckartigen Bewegung und einem Klingeln sich verabschiedet, vorbeifährt und dem nächsten Bild Platz macht. Eigentlich sind es immer zwei Bilder, die aus verschiedenen Perspektiven fotografiert und mit beiden Augen übereinander betrachtet die dreidimensionale Tiefe ergeben. Hier sah ich Hochhäuser in New York, plastisch leuchtende Wasserfälle mit grün kolorierten Grashalmen im Vordergrund, eine Straßenszene in Philadelphia, Pferdekutschen und elegant gekleidete Frauen mit Hut. Das Kaiserpanorama wurde um die vorletzte Jahrhundertwende als "billiger Reiseersatz angepriesen", indem es den Besuchern ferne Länder näherbrachte. Walter Benjamin schrieb in der "Berliner Kindheit um Neunzehnhundert" über das Kaiserpanorama, das damals schon vom Kino abgelöst vor allem noch eine Attraktion für die Kinder war. Dieses Klingeln, nachdem das Bild nochmals im Abschied seiner ganzen Schönheit erstrahle, mache den eigentlichen Zauber aus, und dem Kind erscheinen die fremden Bilder plötzlich sehr nah, indem sie von ähnlichen bekannten Bildern überblendet werden: "Es kam vor, dass die Sehnsucht, die sie erweckten, nicht in das Unbekannte, sondern nach Hause riefen." Als Walter Benjamin dies in den Dreißiger- jahren im Pariser Exil schrieb, hatte er so etwas wie Heimat bereits verloren. Auch mich erinnern die New Yorker Hochhäuser auf den Bildern im Kaiserpanorama an das Maresi-Hochhaus in Wels und das Lochergut in Zürich und auf meinen Spaziergängen sehe ich im tiefgrünen Wasser der Traun die Limmat und gehe auf einmal am birkengesäumten Uferweg der Kindheit in Richtung Höngger Wehr.

In Passau steigt die Familie aus. Sie fragen mich bereits eine halbe Stunde vorher, ob dies nun Passau sei, stehen viel zu früh an der Tür, um den Ausstieg ja nicht zu verpassen, weil der Zug nachher über die Grenze fährt. Ich fahre weiter, über die Grenze, die wieder eine Grenze ist, für einige zumindest, zurück nach Wels, in mein temporäres Zuhause.

Die Schweizerin Stefanie Sourlier schreibt exklusiv in den Oberösterreichischen Nachrichten und bloggt unter welserstadtschreiberin.wordpress.com

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