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"Wir können es uns nicht leisten, nichts zu leisten"

Von Susanna Sailer, 03. Mai 2018, 11:49 Uhr
Evi Hartmann, Uni-Professorin und Buchautorin
Bild: Campus Verlag/ Uni-Professorin und Bestsellerautorin Evi Hartmann

Die deutsche Uni-Professorin und Buchautorin Evi Hartmann ärgert sich über das "Bloß nicht überarbeiten!"-Phänomen in unserer Gesellschaft. Es breitet sich epidemieartig eine Kultur der Leistungsverweigerung aus - gut getarnt als Work-Life-Balance.

Eine Pseudo-Elite, intelligent und gut ausgebildet, vermeintliche Säule der Zukunftsgesellschaft, sei – so die Ansicht der deutschen BWL-Professorin und Buchautorin Evi Hartmann – zu selbstzufrieden und überschätze sich maßlos selbst. „Unserer Gesellschaft ist der Leistungsgedanke abhanden gekommen“, meint sie.

karriere.nachrichten.at: Sie kritisieren die Leistungsunwilligkeit unserer Gesellschaft, speziell jene von hochqualifizierten Menschen. Worauf führen Sie diese zurück?

Evi Hartmann: Auf die Mode, den Zeitgeist. Leistung gilt in weiten Teilen von Medien, Gesellschaft, Politik und Internet als zwanghaft, unmodern, als lästiges Übel. Vielleicht geht es uns einfach zu gut. Deshalb verdrängen wir die großen Herausforderungen unserer Zeit. In diesen Tagen meldet zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation, dass 90 Prozent der Weltbevölkerung schlechte Luft einatmen und jährlich sechs Millionen daran sterben. Um solche Herausforderungen zu meistern, wären herausragende Anstrengungen nötig, zu denen viele nicht willens sind. Gleichzeitig haben unsere Ansprüche zugenommen: Freizeit ist mittlerweile wichtiger, als im Leben etwas zu bewirken.

Was regt Sie besonders auf?

Dass die Leistungswilligen nolens volens jene Arbeiten übernehmen müssen, die andere liegen lassen. Und dass Leistungswillige oft genug dafür auch noch kritisiert werden. Oder dass sie beschimpft werden, wenn sie darauf hinweisen, dass wieder einmal eine Aufgabe an ihnen hängenbleibt, die eigentlich andere erledigen sollten.

Hat es die Spezies der Leistungsverweigerer nicht immer schon gegeben? Was ist jetzt anders?

Natürlich gab es die immer schon. Und schon immer hatte Drückebergerei einen schalen Beigeschmack – doch genau das ist jetzt anders. Seit Neuestem scheint Leistungsvermeidung salonfähig geworden zu sein. Noch nicht einmal ein Kavaliersdelikt, sondern ein Zeichen von Coolness. Kaum jemand regt sich noch darüber auf.

Andererseits gibt es doch auch viele Jungunternehmer, die viel Herzblut, Zeit und eigenes Geld in ihre Start-ups investieren.

Start-ups und viele kleine und mittlere Unternehmen halten den Leistungsgedanken noch aufrecht. Gerade in solchen Unternehmen kann sich kein Manager, kein Mitarbeitender einen Anspruch erlauben, ohne die korrespondierende Leistung zu bringen. In solchen Unternehmen passt das Äquivalenzprinzip zwischen Anspruch und Leistung noch.

Wie halten Sie es selbst mit der Work-Life-Balance?

Ich habe meine Familie, meine vier Kinder. Die sorgen für Ausgleich und Freude. Und ich schreibe Bücher. Aber im Grunde ist die beste Balance: Was ich mache, mache ich mit Freude. Ich verwende große Aufmerksamkeit darauf, mir Aufgaben zu suchen und zu wählen, bei denen ich alle meine Fähigkeiten einbringen kann. Das gelingt nicht immer, weil auch ich viele Rahmenbedingungen nicht ändern kann. Aber soweit das gelingt, ist das sozusagen eine in die jeweilige Aufgabe eingebaute Work-Life-Balance. Niemand braucht einen Ausgleich für etwas, das Spaß macht.

Offenbar haben sich bei vielen die Prioritäten verschoben. Wie sollten diese Ihrer Meinung nach aussehen?

Die Frage nach den Prioritäten suggeriert, dass wir zwischen Arbeit und Leben abwägen müssten. Das führt zum bekannten Konkurrenzkampf zwischen beidem, worunter wir alle mehr oder weniger leiden. Wir lösen das Dilemma, indem wir lieber nach dem fragen, was uns am meisten erfüllt. Das dürfte die Selbstverwirklichung, die Nutzung aller persönlichen Potenziale und Fähigkeiten sein. Einen hohen Grad an Selbstverwirklichung schaffe ich nicht, indem ich mich im Fernseh-Sessel zurücklehne und Chips futtere. Ich erreiche ihn am ehesten, leichtesten und erfüllendsten, wenn ich mich mit möglichst vielen Fähigkeiten für etwas engagiere, das mich interessiert und erfüllt – wie bei unseren Hobbys. Die Herausforderung liegt nun darin, uns nicht nur bei den Hobbys, sondern bei vielen anderen Tätigkeiten beruflich und privat derart zu engagieren.

Wieso wird Leistung in den Augen vieler als Übel gesehen?

Weil sie oft unter Druck abverlangt wird. Druck erzeugt Unwille, Trotz, zerstört die Motivation und produziert Angst vor Versagen, Überforderung oder Burnout. Unter Zwang und Druck verliert Leistung ihren erfüllenden Charakter. Das Herausragende an den sogenannten Leistungsträgern ist doch: Idealerweise leisten sie nicht, weil es von ihnen abverlangt wird, sondern freiwillig, weil es ihnen Spaß macht, ihre Fähigkeiten ungebremst einzubringen, Dinge voran zu treiben, die Welt zu einer besseren zu machen – oder auch nur die eigenen vier Wände oder den eigenen Arbeitsplatz.

Was ist verwerflich daran, Dienst nach Vorschrift zu machen, aber kein Extra mehr?

Überhaupt nichts! Wer seine Pflicht erfüllt, erfüllt seine Pflicht. Der Haken ist bloß: Damit retten wir die Welt nicht; ganz plakativ gesprochen. Und wir erreichen damit auch kein erfülltes Leben. Ein erfülltes Leben schenkt uns nur eine erfüllende Tätigkeit, also die Kür nach der eigentlichen Pflicht. Wobei: Viele Menschen haben weder die Zeit noch die Kraft, nach der Pflicht auch noch die Kür zu tanzen. Das sind dann aber auch keine Leistungsvermeider! Von Leistungsvermeidung können wir nur reden, wenn jemand nach der Pflicht, nach dem Dienst nach Vorschrift noch Zeit, Muße und Kraft für etwas Sinnvolles hätte – und lieber im Büro online shoppen geht oder seine Zeit in einem unnötigen, unproduktiven Meeting totschlägt.

Liegen Menschen, in deren Leben der Spaßfaktor nicht zu kurz kommen soll, falsch?

Natürlich nicht! Wir wollen doch alle Freude bei der Arbeit und im Leben haben. Probleme entstehen in der Spaß-Gesellschaft erst dann, wenn wir vor lauter Hedonismus unsere Aufgaben und Herausforderungen vernachlässigen. Oder wenn Menschen, die viel Spaß haben, dieselben Ansprüche hegen wie Menschen, die viel Leistung bringen. Außerdem übersehen die Spaß-Apostel oft: Auch Leistung kann Spaß machen – fragen Sie Marcel Hirscher. Leistung macht unvergleichlich Freude – wenn man sie von Druck und Zwang befreit. Das ist der eigentliche Punkt: Wie schaffen wir es, dass Leistung wieder mehr Spaß macht? Dass schon Schulkinder wieder aus Spaß am Lernen lernen? Und nicht wegen der Noten oder dem späteren Beruf oder aus Angst vor Beschämung und Konsequenzen?

Wo liegt der Unterschied zwischen dem Wunsch nach Work-Life-Balance und tatsächlicher Leistungsverweigerung?

Der Unterschied tritt in dem Punkt auf, an dem der Wunsch nach Work-Life-Balance die Arbeit als (notwendiges) Übel, als zu Minimierendes, als etwas zu Vermeidendes darstellt. Natürlich kann, soll und muss ich mich gegen einen Arbeitgeber wehren, der mir dauerhaft mehr Arbeit aufbrummen möchte, als mir guttut und als ich leisten kann. Das ist keine Leistungsverweigerung. Leistungsvermeidung beginnt dort, wo das Arbeitsteam um kurz vor fünf noch voll am Rotieren ist, sich ein Kollege aber mit den Worten verabschiedet: „Sorry, ich muss jetzt zum Bouldern, die Kumpels und ich haben die Stunde gebucht!“ Solche Geschichten glaubt zwar keiner, der das nicht schon erlebt hat – sie passieren aber mit unschöner Regelmäßigkeit.

Sie sprechen die Faulheit der Pseudo-Elite an. Was kritisieren Sie genau?

Hauptsächlich die Diskrepanz zwischen überzogenen Ansprüchen und tatsächlich erbrachter Leistung: Posen statt Performen. Wir kennen das alle: Kaum fällt eine Zusatzaufgabe an, sind es immer dieselben, die plötzlich abwesend zum Fenster raus schauen oder absolut plausibel scheinende Ausreden anbringen. Und es sind immer dieselben, die sich dann doch der Aufgabe erbarmen – obwohl sie genau so viel, wenn nicht mehr zu tun haben als die anderen.

Nennen Sie uns ein kurzes Beispiel?

Beispiele gibt es zuhauf. In jedem Unternehmen fallen derzeit viele Projekte, Investitionen und Aufgaben an – zum Beispiel die Digitalisierung. Kaum wird ein neues Projekt angekündigt, drucken sich viele im Team weg und verweisen auf ihre aktuelle Arbeitsbelastung, die meist tatsächlich beachtlich ist. Seltsam ist bloß, dass die Arbeit am Ende dann jene machen, die nicht weniger zu tun haben. Wenn es aber um den Jahresbonus oder andere Privilegien geht, sind die Arbeitsunlustigen mit den guten Ausreden meist bei den Ersten, die den Wunsch nach einem neuen Jahreswagen oder einen höheren Bonus anmelden.

Was ist das eigentliche Problem der Pseudo-Elite, was steckt dahinter?

Die Pseudo-Elite verwendet ihre Energie stärker auf Arbeitsvermeidung als auf Arbeitsleistung. Sie hat aus ihrer Sicht deshalb kein „Problem“, sondern lediglich andere Prioritäten. Andere Dinge sind ihr wichtiger als Leistung, zum Beispiel Status, Machterhalt, Karriere, Selbstdarstellung, Rechthaben, das Kritisieren von anderen, Image Management, politische Spielchen. Hinzu kommt, dass Leistungsvermeider oft Angst haben. Angst, dass sie bei Aufgaben versagen, Angst vor Neuem, Angst vor Statusverlust oder Schwellenangst vor neuen Entwicklungen wie der 4. Industriellen Revolution oder dem Internet der Dinge. Leistungsvermeidung ist deshalb oft keine Frechheit oder Faulheit, sondern fast schon Ausdruck einer Anxiety Disorder, einer Angsterkrankung, die jedoch extrem selten diagnostiziert und noch viel seltener therapiert wird. Warum auch, wenn man sich nach außen als grandios darstellen kann?

Wie sollten Mitarbeiter reagieren, wenn sie meinen, ihr Chef sei einer dieser Leistungsverweigerer?

Das ist eine Frage, die sich täglich Tausende und Abertausende Menschen stellen. Seit mein Buch erschienen ist, berichten mir viele Menschen aus ihrem Berufsalltag, wie sie mit leistungsvermeidenden Chefs umgehen. Manche argumentieren so lange und virtuos mit dem Vorgesetzten, bis er Leistungen genehmigt, die er vorher nicht haben wollte. Andere nehmen ihm oder ihr einfach jene Chef-Aufgaben ab, die er oder sie nicht oder nicht gut erledigt. Viele wechseln innerhalb der Firma den Arbeitsplatz oder wählen einen anderen Arbeitgeber. Das ist übrigens einer der häufigsten Kündigungsgründe von Leistungsträgern – und nicht immer nur das Gehalt. Auf diese Weise verlieren ausgerechnet inmitten der Fachkräftekrise viele Unternehmen derzeit ihre besten Mitarbeiter und Führungskräfte. Das ist der sogenannte Brain Drain.

Geben Sie ein paar Tipps, wie jemand mit Leistungsverweigerern in der Firma umgehen soll!

Immer ansprechen! Keinen Fall von Arbeitsvermeidung durchgehen lassen! Niemals resignieren. Immer den Mund aufmachen, aber: Immer vorwurfsfrei und respektvoll. Es bringt nichts, Leistungsunwillige verbal zu attackieren – sie sind im Bereich „Attacke“ meist sehr viel aggressiver und geübter als die Macher und Schaffer. Ganz wichtig auch: Gleichgesinnte suchen, sich austauschen und gegenseitig stärken! Inseln des Leistungsethos bilden. Leistung immer ankündigen, abliefern und dann die verdiente Anerkennung aktiv einholen. Und fast am wichtigsten: Geben Sie sich im Sinne der Psycho-Hygiene selbst stets und ohne Ausnahme jene Anerkennung für Leistung, die Sie verdient haben. Wer das nicht tut, resigniert nämlich irgendwann und passt sich an die Unkultur der Leistungsvermeidung an. Das ist zwar bequemer, macht aber nicht nachhaltig glücklich. Die Ultima Ratio sollten Konsequenzen sein: „Wenn du nicht bis Dienstag, 16 Uhr, dein zugesagtes Arbeitspaket ablieferst, auf das wir alle total gestresst warten,  kannst du das nächste Mal deinen Budgetentwurf selber machen!“ Das klingt hart, ist aber wirksam, wenn der Vermeider auf weniger eskalative Interventionen nicht anspricht.

Was passiert, wenn die Gesellschaft das Phänomen der Leistungsverweigerung nicht in den Griff kriegt?

Dann schaffen wir es nicht, die aktuellen und künftigen Probleme und Herausforderungen zu meistern – oder werden dabei von anderen Gesellschaften abgehängt. In einigen Bereichen der Wirtschaft und der Bildung ist das bereits der Fall. Deshalb sind echte Leistungsträger so wichtig für unser aller Wohl und unsere Zukunft. Wir sollten weniger an ihnen herummeckern und sie stärker anerkennen, unterstützen und unser eigenes Leistungspotenzial voll ausschöpfen.

 

Zur Person und ein Buchtipp

Buchcover "Ihr kriegt den Arsch nicht hoch"
Bild: Compass

Uni-Professorin Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht und lehrt intensiv an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist Mitglied im Netzwerk GenerationCEO für Frauen in Führungspositionen. Die Mutter von vier Kindern lebt in Frankfurt am Main.
Evi Hartmanns Buch mit dem provokanten Titel „Ihr kriegt den Arsch nicht hoch - Über eine Elite ohne Ambition"“ ist zum Bestseller geworden.

Campus Verlag, ISBN 978-3-593-50907-5

 

 

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