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Salzburger Festspiele: Van der Bellens Eröffnungsrede im Wortlaut

27. Juli 2023, 13:38 Uhr

Meine Damen und Herren, willkommen in Salzburg. 

Die Festspiele sind ein Ereignis, auf das sich viele freuen. Ein Fixpunkt im kulturellen Leben unserer Heimat. Die Salzburger Festspiele sind auch immer wieder eine gute Möglichkeit, sich aus dem Alltag zu lösen und den Blick auf die größeren Zusammenhänge zu richten. 

Wir Menschen neigen ja dazu, uns schnell über alles Mögliche aufzuregen und die schönen und die wesentlichen Dinge dabei aus den Augen zu verlieren. 

Zum Beispiel unsere gemeinsame Zukunft. Ich denke, das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik in unseren Tagen: Ein Bild von einer gemeinsamen Zukunft zu entwerfen, auf die man sich freuen kann. 

Und ein Bild von einer gemeinsamen Gesellschaft zu entwerfen, an der die Einzelnen gerne teilnehmen, weil jede und jeder das Gefühl hat: ja, das ist auch meine Gesellschaft. 

Es lohnt sich, für sie einzutreten. Und wir alle gehören zusammen. 

Meine Damen und Herren, 

ich weiß, die Zeiten, in denen wir leben, stellen große Anforderungen an uns alle. "Die Zeit ist aus den Fugen". Diese Welt verändert sich in einem ungeheuren Tempo und die Veränderungen betreffen jede und jeden von uns. 

In meinen vielen Gesprächen mit Menschen aller Altersgruppen begegnen mir viele Sorgen: Sorgen um die Leistbarkeit des Lebens, um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, ein funktionierendes Gesundheitssystem, den Mangel an Arbeitskräften, den Ausgleich zwischen den Generationen, die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, Sorgen um die Migration, Sorgen um Krieg, Sorgen um die Zukunft der Menschheit im Angesicht des Klimanotstands und so weiter.

Es ist nur menschlich, dass wir da verunsichert sind. Manche reagieren angesichts der vielen Themen, die anstehen, mit Fatalismus, andere mit Verleugnung oder Verdrängung. 

Aber zwischen Fatalismus einerseits und Verleugnung anderseits tut sich in der Mitte ein Weg auf. Ein Weg, der in die Zukunft führt. Ich nenne diesen Weg den Weg des begründeten Optimismus.

Lassen Sie uns doch diesen Weg gehen. Was stelle ich mir darunter vor: 

Begründeter Optimismus behauptet nicht einfach nur naiv, dass sich das schon alles irgendwie ausgehen würde. Er ist nicht das Pfeifen im Walde, das die Angst vertreiben soll. 

Begründeter Optimismus bezieht seine Gewissheit aus ganz konkreten Fakten. Aus ganz konkreten Beispielen, die bewiesen haben, dass es geht. 

Aus Menschen, ganz konkreten Menschen, die nicht nur reden, sondern machen. Die etwas ändern.

Begründeter Optimismus nimmt sich ein Beispiel und handelt danach. Und gibt so ein Beispiel für andere. 

Ich lade Sie alle ein, Ihre Augen zu öffnen und Ihren Blick zu schärfen für die vielen guten Beispiele, die es in unserem Land gibt. 

Es gab und gibt zu allen Zeiten Gründe, optimistisch zu sein. Wohlbegründet. Das offensichtlichste Beispiel dafür: Wir sind frei. 

Wir leben in einer liberalen Demokratie und jeder Mensch kann im Rahmen der Menschenrechte und Menschenpflichten tun und lassen, was jeder Mensch tun oder lassen will. Jeder Mensch kann lieben, wen er will, kann sein, wer er ist.

Können wir uns kurz einmal darüber freuen, dass das so ist? Das ist nicht selbstverständlich und wir tun gut daran, diese liberale Demokratie zu beschützen. Denn sie ist die Grundlage einer friedlichen Zukunft. 

Es gab auch bei uns, dunkle Zeiten, in denen Menschenrechte bestenfalls selektiv gegolten haben und die Hoffnung fast tot war, aber wir haben diese Zeiten überwunden. 

Weil wir Menschen gar nicht anders können, als zum Licht zu streben. Wir sind da auch nicht anders als die Pflanzen. 

Eine Bedrohung unserer liberalen Demokratie ist die abnehmende Toleranz. Zu oft vermissen wir den respektvollen Umgang. Wir diskutieren kaum mehr miteinander, oft bestätigen wir uns nur in der eigenen Meinung und wenn jemand anderer Meinung ist, hören wir ihn oder sie kaum noch, weil er oder sie zu weit weg ist: Auf der anderen Seite des Grabens, der durch unsere Gesellschaft führt, schalldicht eingepackt und behütet in der Blase, in den sozialen Medien. 

Wir könnten jetzt darüber lamentieren, dass eben diese Gräben durch unsere Gesellschaft führen. Dass die Algorithmen uns ganz automatisch nur Meinungen zuspielen, die uns Recht geben und in unserer Meinung bestätigen oder anstacheln. 

Das führt dann dazu, das Follower von Herbert Kickl glauben, in einer ganz anderen Welt zu leben als Follower von Werner Kogler oder von Beate Meinl Reisinger oder von Karl Nehammer oder von Andreas Babler oder von Alexander Van der Bellen. 

Wir können darüber lamentieren, oder wir können es ändern. 

Wieso nicht einmal die Algorithmen verwirren, indem wir auch denen „followen“, deren Meinung vielleicht nicht so ganz unserer Meinung entspricht? 

Auf diese Art bekommen wir dann auch Ausschnitte der Realität zu sehen, die wir anders nie zu Gesicht bekommen würden. Und auf diese Art bekommen wir vielleicht auch wieder das Bild einer gemeinsamen Realität. 

Bringen Sie Ihre Blase zum Platzen! Reden Sie mit Leuten, die Sie nicht kennen. Die nicht zu "Ihrer Gruppe" gehören. Fragen Sie Ihren Nachbarn, was er beruflich macht. Besuchen Sie einmal die benachbarte Blase. Followen Sie den Menschen, denen Sie nicht folgen würden. 

Gehen Sie ins Gasthaus, auf den Fußballplatz, in den Sportverein ins Theater, reden Sie miteinander. Tauschen Sie Ihre Ansichten aus und hören Sie einander zu. 

Lesen Sie morgen ein Buch oder ein digitales Medium, das Sie noch nie gelesen haben. 

Und nutzen Sie die 4. Gewalt im Staat. Unabhängige Medien berichten über Inhalte und Fakten. Und nicht über sich selbstverstärkende Fake-News aus den Bubbles.

Meine Damen und Herren,

vielleicht schaffen wir es dadurch, endlich wieder ein gemeinsames Bild der Wirklichkeit zu bekommen. Lassen Sie uns alle gemeinsam die Algorithmen verwirren und nicht mehr länger umgekehrt.

Wir müssen uns nicht mögen, um uns zu liken.

Wir müssen uns auch nicht aufs Wort folgen, um uns zu „followen“.

Vielleicht kommen wir dann in einen neuen gesellschaftlichen Zustand. Einen Zustand, in dem uns eine andere Meinung nicht mehr provoziert, oder „triggert“, wie man heute sagt, sondern in dem wir diese Meinung nutzen, um dann einen gemeinsamen Standpunkt zu entwickeln. 

Um einander bereichern zu können. Das Beste aus dem anderen herauszuholen und nicht das Niedrigste, um Frau Gertrude zu zitieren. Das ist eine Zukunft, auf die ich mich freue: 

Eine Zukunft, in der wir das Beste aus uns herausholen. 

Meine Damen und Herren, 

ich habe es an anderer Stelle gesagt, aber mir scheint, es wurde vielleicht überhört. Deswegen möchte ich es kurz wiederholen: 

Lassen Sie uns über unsere Herausforderungen als Gesellschaft reden. Lassen Sie uns das lösungsorientiert tun. Lassen Sie uns ruhig streiten. Konstruktiv streiten. 

Bringen wir das Beste in uns und an Österreich zum Vorschein und nicht das Niedrigste. 

Meine Damen und Herren, 

ich freue mich auf den Tag, an dem wir wieder um die beste Lösung streiten und nicht nur einfach aneinander vorbeireden. 

Ich freue mich darauf. Ich freue mich auf diese Zukunft. Ich bin optimistisch.

Denn ich kenne unser schönes Österreich und ich weiß, was wir miteinander erreichen können. 

Aber zunächst einmal freue ich mich auf die Salzburger Festspiele, 

die ich hiermit eröffne.

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