Von Erdogans Verbündetem zum Erzfeind: Türkischer Prediger Gülen tot
ISTANBUL. Der türkische Prediger Fethullah Gülen ist türkischen Medienberichten zufolge im US-Exil gestorben.
Vom Verbündeten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde er zum Staatsfeind: Der verstorbene Prediger Gülen hatte zeitweise enormen Einfluss auf Gesellschaft und Politik in der Türkei und trug auch wesentlich zum Aufstieg Erdogans bei. Später überwarfen sich die beiden jedoch. Der Präsident bezeichnete ihn als Drahtzieher des Putschversuchs von 2016 und verfolgt bis heute seine Anhänger. Gülen starb am Sonntag im Alter von 83 Jahren in den USA.
Fethullah Gülen wurde 1941 bei Erzurum geboren. Er knüpfte an den Lehren des Mystikers Nursi Said (1876 bis 1960) an. Der erste türkische Politiker, der regelmäßig seinen Predigten zuhörte, war der Reformer und Präsident Turgut Özal (1927 bis 1993). Gülen unterhielt auch Kontakte zum Sozialisten und Premier Bülent Ecevit (1925 bis 2006). Der Geistliche begann Ende der 1960er Jahre, ein Netz von Bildungsstätten und Medienunternehmen aufzubauen. Seine Predigten verbreiteten sich damals per Ton- und Videokassetten.
Offen für interreligiösen Dialog
Gülen vertrat einen konservativen Islam, befürwortete aber zugleich die Bildung in Geistes- und Naturwissenschaften, um mit dem Westen konkurrieren zu können. Er zeigte sich offen für interreligiösen Dialog und wurde unter anderem von Papst Johannes Paul II. empfangen.
Die deutsch-türkische Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek beobachtet Gülen seit Jahren sehr kritisch und bescheinigt ihm eine "zutiefst reaktionäre Denkweise". Seine Bewegung berufe sich auf eine Verbindung von Islam und türkischem Nationalismus, den "Turanismus", und verbreite im Geheimen Welteroberungstheorien. Nach außen hin vertrete er "eine Art Islam light", nach innen propagiere er einen "machtbewussten islamischen Chauvinismus", schrieb die Islamkritikerin Kelek bereits vor Jahren über Gülen. "Er ist für mich nicht eine philosophische, humanistische und Frieden suchende neue Form von Islam, was ja zum Beispiel viele Europäer glauben und mit ihm ja auch eng zusammenarbeiten. Das ist das, was er nach außen beschreibt und auch sich so gibt. Aber nach innen sind sie sehr ideologisch (...) und organisiert", so die Soziologin 2013 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
"Arbeitet geduldig daran, die Kontrolle zu übernehmen"
Dank Gülens guten Beziehungen zur Regierung breitete sich seine Hizmet-Bewegung in den 1980er und 1990er Jahren immer weiter aus. Viele seiner Anhänger stiegen im Staatsdienst auf. Dies führte schon früh zu Warnungen, Gülen-Anhänger würden eigene Netzwerke in Justiz, Verwaltung und dem Sicherheitsapparat aufbauen. "Arbeitet geduldig daran, die Kontrolle des Staates zu übernehmen", soll der Prediger in einer Ansprache gesagt haben, von der ein Mitschnitt in die Medien gelangte. Zwar bestritten Gülens Anhänger die Authentizität der Aufnahme, doch der Prediger war gezwungen, 1999 in die USA zu gehen, um in der Türkei einem Gerichtsprozess wegen Untergrabung des Staats zu entgehen.
Als Erdogans Partei AKP 2002 an die Regierung gelangte, kam ihr das Netz der Gülen-Anhänger im Staatsdienst gerade recht. Denn ihr fehlten die Kader, um sämtliche Posten in Politik und Verwaltung zu besetzen.
Von einer Allianz zu erbitterten Feinden
Die Allianz hielt bis 2013, als es zu einem Zerwürfnis kam. Von Verbündeten wurden Gülen und Erdogan zu erbitterten Feinden. Als 2013 die Justiz Korruptionsermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld Erdogans einleitete, warf der damalige Ministerpräsident der Gülen-Bewegung einen versuchten Staatsstreich vor.
Erdogan kündigte an, den "Parallelstaat" der Gülen-Bewegung zu zerschlagen, und entließ tausende mutmaßliche Anhänger des Predigers aus Polizei und Staatsanwaltschaft. 2014 ordnete das Parlament dann die Schließung der Nachhilfeschulen an, die das Rückgrat der Gülen-Bewegung gebildet hatten.
Auch für den versuchten Staatsstreich im Juli 2016 machte Erdogan die Gülen-Bewegung verantwortlich. Er sei traurig, dass er "das wahre Gesicht dieser verräterischen Organisation nicht viel früher enthüllt habe", sagte er. Auch weite Teile der Bevölkerung waren überzeugt, dass Gülen hinter dem Putschversuch stand.
Mit aller Härte gegen Gülens Bewegung
Gülen wies die Vorwürfe zurück und verurteilte von den USA aus mit scharfen Worten den versuchten Staatsstreich. Die Regierung ging dennoch mit aller Härte gegen seine Bewegung vor: Gegen 700.000 mutmaßliche Anhänger wurden Verfahren eingeleitet, etwa 3.000 von ihnen wurden wegen der Beteiligung an dem Putschversuch zu lebenslanger Haft verurteilt. Etwa 125.000 Staatsangestellte wurden damals entlassen, unter ihnen zahlreiche Richter. Bildungseinrichtungen und Medien der Gülen-Bewegung mussten schließen.
Gülen verbrachte die letzten 25 Jahre seines Lebens in dem Ort Saylorsburg im US-Bundesstaat Pennsylvania. Das Seniorenheim, in dem er lebte, wurde rund um die Uhr bewacht. Zuletzt zeigte sich Gülen nur selten in der Öffentlichkeit.
Die Hizmet-Bewegung ist auch in Österreich präsent, gemeinsam mit einer Reihe von Institutionen und Einrichtungen wie der "Hizmet-Gemeinschaft" in Wien, dem Wiener Institut für Dialog und Frieden oder dem Linzer Bildungsinstitut "Phönix". Auch eine Reihe weiterer Schulen, Bildungseinrichtungen und Vereinen an verschiedenen Orten in Österreich sollen zumindest von der Gründungsidee her der Hizmet-Bewegung nahestehen, wobei mehrere dies nicht offen auf ihren Webseiten erwähnen.
Dieser Artikel wurde um 12:14 Uhr aktualisiert.
Immer triffts die Falschen......