Zwei Fräulein- und ein Oma-Wunder
Das gibt’s doch nicht“, hörte man sie aufjaulen in der Westkurve des Olympiastadions, die deutschen Journalisten, die am Donnerstagabend neu lernten, was Zeitdruck bedeutet.
Das gibt’s doch nicht“, hörte man sie aufjaulen in der Westkurve des Olympiastadions, die deutschen Journalisten, die am Donnerstagabend neu lernten, was Zeitdruck bedeutet. Erst sprintete Verena Sailer über 100 Meter zu Gold, fünf Minuten später stand Lena Stahl im Rampenlicht – Verena hier, Lena da, der Redaktionsschluss lag im Nacken. Doch Lena? Die Sieger-Story war doch schon mit Christina Obergföll vorgetippt gewesen, der Olympia-Bronzemedaillengewinnerin von Peking. Aber von Deutschlands Nummer drei wusste man reichlich wenig, wie ärgerlich. Denn Stahls Speer bohrte sich bei 66,81 Metern in den nassen Stadionrasen. Obergföll Silber, Stahl Gold, drei Medaillen, ein glänzender Abend.
Dass Sailer die Deutschen nach zwei Jahrzehnten aus dem Dornröschenschlaf im Sprint gerissen hat und ihnen wieder EM-Gold schenkte, kam für manche überraschend, für die 24-jährige blondhaarige Läuferin nicht. „Ein Reporterkollege von euch hat ja vor der EM zu mir gemeint: Du hast hier nix verloren“, sagte sie. So gesehen sei es schon eine Genugtuung, gesiegt zu haben. Sailer ist Bayerin aus dem Allgäu, was man nicht hört, denn sie spricht ohne Dialekt. „Ich muss ja viele Interviews geben, da muss ich mich sonst so oft wiederholen, wenn ich nicht verstanden werde.“
Auch nach Katrin Krabbe wurde Sailer gefragt, nach Deutschlands sprintender Weltsportlerin von 1991, die vom Glamourgirl zum gefallenen, gedopten Star wurde. „Mit all dem will ich mich nicht so beschäftigen“, antwortete sie. Sailer läuft lieber, als sie spricht, heute im Vorlauf mit Deutschlands 4x100-m-Staffel, die schon bei der WM 2009 im eigenen Land Bronze erobert hatte.
Zwischen der 100-m-Europameisterin von 2010 und der 200-m-Weltmeisterin von 1993 und 1995 liegen 26 Jahre, aber vielleicht nur eine Laufbahn. Als Sailer geboren wurde, war Merlene Ottey schon Weltmeisterschafts- und Olympiamedaillengewinnerin.
Mit 50 Jahren geht die Altmeisterin heute als älteste Teilnehmerin bei der EM an den Start. Die gebürtige Jamaikanerin darf bei diesen Kontinentalkämpfen starten, weil sie sich seit 2002 für Slowenien aufstellt. Ihre Bestzeit hatte Ottey 1996 in 10,74 Sekunden erzielt, zwischen 1988 und 1991 hatte sie sogar 88 Läufe in Folge gewonnen. Im Vorjahr hatte Ottey, der nur der Titel Olympiasiegerin fehlt, einen Weltrekord aufgestellt. Noch nie lief eine über 50-Jährige schneller als sie: 11,72 Sekunden. Ein Ablaufdatum gibt sich Ottey noch immer nicht. (czm)