"Ein Sonntagskind": Schuld. Scham. Lüge
Jan Koneffkes dritter Teil einer pommerschen Familiengeschichte ist höchst lesenswert
Der deutsche Autor Jan Koneffke hat an seiner pommerschen Familiengeschichte weitergeschrieben. Was 2008 mit "Eine nie vergessene Geschichte" begann und 2011 mit "Die sieben Leben des Felix Kannmacher" seine Fortsetzung fand, rundet sich jetzt mit "Ein Sonntagskind" zu einer höchst lesenswerten Trilogie.
Am Anfang des neuen Romans steht ein Vater-Sohn-Konflikt. Vergeblich versucht der Buchhalter Ludwig Kannmacher seinem Sohn Konrad klarzumachen, dass der Kampf für Führer, Volk und Vaterland keine patriotische Großtat ist, sondern Mittäterschaft an einem infamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Siebzehnjährige, der sich freiwillig für die Waffen-SS melden will, hält seinen Vater für einen verachtenswerten Vaterlandsverräter und ist knapp daran, ihn zu denunzieren. Sein erster Fronteinsatz im Jahr 1944 versetzt den biederen, bislang eher furchtsamen Gymnasiasten in eine andere Welt, aber erstaunlich bald gewöhnt er sich an das Handwerk des Tötens. In den letzten Kriegsmonaten landet er bei einer Sondereinheit, einem Himmelfahrtskommando, das fast alle daran Beteiligten das Leben kostet.
Eisernes Kreuz für Sonntagskind
Konrad, das Sonntagskind, überlebt, und wird mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse ausgezeichnet. Aber nichts ist mehr, wie es einmal war. Diese biografische Bruchstelle wird Konrad Kannmacher sein Leben lang begleiten, so sehr er sich auch anstrengt, die Spuren zu verwischen. Nach 1945 sind Eiserne Kreuze nichts mehr wert. Konrad hat, wie viele Kriegsheimkehrer, enorme Probleme, sich in der Zivilgesellschaft der Nachkriegsjahre zurechtzufinden. Um Halt und Orientierung zu bekommen, greift er auf seinen Großvater Leopold zurück, der als Lehrer und deklarierter Kantianer eine respektable Vorbildfigur abgibt.
Konrad wird zunächst Dorfschullehrer, vertieft sich wie der Großvater in Kant, findet durch die Förderung des Philosophieprofessors Jochen Moosbach Zugang zur Universität und zum linken Flügel der SPD. Und schon bald bahnt sich im politischen Klima der siebziger Jahre eine Karriere als linksliberaler Universitätsprofessor an. Seine NS-Vergangenheit kann Konrad Kannmacher so gar nicht mehr brauchen. Aber irgendwo bleiben Erinnerungen und Beweisstücke immer hängen, und so sieht sich der Protagonist plötzlich in Abhängigkeit von der bestens informierten DDR-Stasi.
Jan Koneffke gelingt es, Konrads Nachkriegsweg von verständlicher Scham über schamhaftes Verschweigen bis hin zur Lüge aus Eigennutz psychologisch überzeugend zu erzählen. Er beschränkt sich aber nicht nur auf die politische und berufliche Biografie Konrad Kannmachers, sondern zeigt ihn auch in seinen Frauenbeziehungen als emotional beschädigten Menschen, der in wechselnden Liebesbeziehungen letztlich beziehungsunfähig bleibt.
Jan Koneffke macht kein Geheimnis daraus, dass trotz aller Fiktionalität die Vorbildfigur für Konrad Kannmacher sein eigener Vater ist, der im Jahr 2008 verstorbene Bildungstheoretiker Gernot Koneffke.
Roman: Jan Koneffke: "Ein Sonntagskind". Galiani Berlin, 580 Seiten, 25,70 Euro
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