Christoph Eschenbach setzte Bruckners "Edelbeserl" äußerst gekonnt in Szene
Wiener Philharmoniker begeisterten mit Bruckners "Erster" in der Stiftsbasilika St. Florian
Bruckners Sinfonien und ihre Fassungen sind ein Thema, das Bände füllt und auch die Konzertpraxis immer wieder aufs Neue auf die Probe stellen wird. Denn von einigen Sinfonien haben sich bestimmte Fassungen mehr oder weniger fix ins Repertoire gespielt, während hingegen andere eher selten aufgeführt werden. So ist es auch bei der ersten Sinfonie, die am Sonntag beim Fortissimo-Festivals des Brucknerhauses in der Stiftsbasilika St. Florian zu hören war. Prominent besetzt mit den Wiener Philharmonikern, die damit ihr Bruckner-Projekt mit Christoph Eschenbach eröffneten.
Man wählte die so genannte "Wiener Fassung", die Bruckner 1890/91 etwa 25 Jahre nach der ursprünglichen Komposition nach sieben weiteren Sinfonien herstellte und dabei zentrale Teile neu verfasste. So sind viele Übergänge und manche Durchführungspassagen komplett anders gestaltet beziehungsweise hinzugefügt, und teilweise auch harmonisch der Sprache der 8. und 9. Sinfonie angeglichen. Einzigartig im ganzen Werk schreibt Bruckner in dieser Fassung eine Überleitung vom Trio zur Wiederholung des Scherzos, die in der Linzer Fassung noch strikt getrennt sind.
Ungestümes Frühwerk
Diese erste Fassung – von Bruckner liebevoll "Keckes Beserl" genannt – wird so Jahre später zu einem Edelbesen, der mit der urwüchsigen Originalität nur mehr wenig gemein hat. Auch wird die Instrumentation dichter, wodurch so manche Nebenstimmen nicht mehr so deutlich durchkommen. Dennoch zeigt die spätere Fassung, wie wichtig Bruckner dieser "Erstling" war, und wie er es für nötig ansah, diese Musik zu aktualisieren. So muss man sich entscheiden zwischen einem ungestümen Frühwerk und dessen abgeklärter Retusche. Fast so, wie wenn eine flüchtige Skizze dick mit Öl übermalt wird.
Und genauso hat auch die Aufführung geklungen. Keine Frage, dass die Philharmoniker mit ihrem Klang die Idealbesetzung für Bruckner sind, dass dieses Orchester, wie kaum ein anderes die typisch österreichischen Idiome nicht nur bestens versteht, sondern auch dementsprechend inszenieren kann und sich alleine schon dadurch von anderen Orchestern unterscheidet. Dennoch braucht es Koordination, und da wäre von Christoph Eschenbach mehr Differenzierung möglich gewesen. Sowohl in dynamischer Abstufung, um so manchen kleinen Melodien zum Vorschein zu verhelfen, beziehungsweise um die Klangmassen vor allem im letzten Satz zu bändigen. Dennoch von der grundlegenden Intention und den ideal gewählten Tempi her ein überzeugender Einstieg in ein großes Projekt.
Klanglich fein ausgelotet
Klangfarblich hingegen fein ausgelotet war Wolfgang Rihms "Spiegel und Fluss". Ein Werk, das 1999 entstand und, ohne bewusst zu Bruckner komponiert worden zu sein, ideal passt.
Einerseits mit subtil entwickelten Streicherklängen, die teilweise das typische Tremolo Bruckner’scher Satzanfänge aufgreifen, und andererseits mit choralartig zelebrierten Melodien, getragen von einem Zeitgeber, der durch raffiniert eingesetzte Woodblock-Schläge evoziert wird.
Ein großartiges Werk, das perfekt zu Bruckner harmoniert. Man darf gespannt sein, ob auch bei den folgenden Sinfonien ähnliche Querverbindungen zur Musik der Gegenwart gesetzt werden.
Konzert: Wiener Philharmoniker unter Dirigent Christoph Eschenbach, Stiftsbasilika St. Florian, 3. Juni
OÖN Bewertung:
Nach dem, was Blomstedt und und bei der #7 und #8 auch Poschner mit dem Brucknerorchester gezeigt haben, was Gergiev letzten Sommer mit den Münchnern in St Florian und was Rattle am Sonntag in Wien mit den Berlinern geleistet hat, erscheint mir die Aussage, dass die Wiener die "Idealbesetzung" für Bruckner seien, mehr als gewagt. Muss lange her sein...
Alles super und schön - außer ... dass
1. die Florianer Basilika immer wieder komplett umgebaut werden muss. Eigentlich gehört sie jedesmal neu geweiht.
2. dass ich mich nie an den Applaus in einer Kirche gewöhne. Da gehe ich auch nicht hin.