"Ich kann schlecht lügen, es waren 19 Operationen"
MERIBEL. Nach langem Leidensweg hat sich Nina Ortlieb (26) mit WM-Silber selbst belohnt
"So schließt sich irgendwie der Kreis", sagte Nina Ortlieb (26), die sich nach langer Leidensgeschichte am Samstag zur Vizeweltmeisterin in der Abfahrt von Meribel kürte. Also rund 100 Kilometer von Val d’Isere entfernt , wo Papa Patrick Ortlieb (55) 1992 Olympiasieger in der Königsdisziplin geworden war. Klar, dass der heutige ÖSV-Finanzreferent und Inhaber des Viersternehotels Montana in Oberlech seiner Tochter vor Ort die Daumen drückte.
"Wenn man weiß, was in den vergangenen Jahren alles passiert ist, dann hat sich Nina für sehr, sehr viel entschädigt. Unter diesen Umständen ist der Erfolg noch zehn Mal höher einzuschätzen", sagte der Weltmeister von 1996 (Sierra Nevada). 27 Jahre später wäre Nina um ein Haar in die Fußstapfen des Vaters getreten, letztlich fehlten nur vier Hundertstel auf die Schweizerin Jasmine Flury, die als Einzige im nur 29 Frauen starken Teilnehmerinnenfeld Skier der Innviertler Firma "Fischer Sports" angeschnallt hatte. Es sollte eine Rakete sein.
Nina Ortlieb kann das verschmerzen, obwohl sie natürlich gerne gewonnen hätte. "Ich weiß, wo ich die Zeit verloren habe. Es waren zwei kleine Fehler dabei", analysierte die zweimalige Junioren-Weltmeisterin. "Aber jede findet etwas, das sie hätte besser machen können. Es ist jetzt wunderschön, dass ich mit mehr Gepäck heimfahren darf. Ich sehe das nicht nur als Entschädigung, sondern auch als Belohnung und Bestätigung, dass sich die harte Arbeit ausgezahlt hat und ich auf dem richtigen Weg bin."
Das ist nicht selbstverständlich. Denn nach einem schweren Sturz im Abfahrtstraining von Crans Montana im Jänner 2021 hing Ortliebs Karriere nach einem Kreuzband-, Seitenband-, Außenmeniskus- und Patellasehnenriss an einem seidenen Faden. 23 Monate lang hatte die junge Dame vom Arlberg kein Weltcuprennen bestritten, ehe sie sich mit einem zweiten Platz in der Lake-Louise-Abfahrt Anfang Dezember 2022 eindrucksvoll zurückmeldete.
Der Opa aus Frankreich
"Natürlich hadert man manchmal, aber ans Aufgeben habe ich nie gedacht, dafür mache ich das viel zu gerne", erläuterte Ortlieb, die sich erst am 4. Februar dazu entschieden hatte, doch zur WM anzureisen. Denn vor drei Wochen warf sie ein Sturz in Cortina mit Knieblessur und Gehirnerschütterung weit zurück, zwei Tage vor der WM-Abfahrt wurden die Fäden vom (hoffentlich) letzten Eingriff – Entfernung eines Hämatoms an der Hüfte – gezogen.
Wie oft musste Ortlieb eigentlich schon unter das Messer? "Ich kann schlecht lügen, es waren jetzt 19 Operationen. Die letzte war die kürzeste – elf Minuten." Da dringt wieder die Analytikerin durch, auf die ihr Opa Guy Ortlieb mächtig stolz gewesen wäre. Der aus Straßburg stammende Koch, der die Gastronomie am Arlberg um etliche kulinarische Spezialitäten aus der "Grande Nation" bereichert hatte, starb 2020 an den Folgen einer Corona-Erkrankung.