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Eine Geburt mit Komplikationen

Von Hannes Fehringer, 11. Februar 2018, 00:04 Uhr
Eine Geburt mit Komplikationen
Ungewöhnlich kalter Winter in Boston: Wenn selbst das Fahrenheit-Thermometer gegen null sinkt, friert der Charles River zu. Bild: feh

Schneekrusten verdecken den gepflasterten "Freedom Trail" quer durch die Stadt. Dennoch findet der Kulturtourist den Weg zur Wiege der USA in Boston auch im Winter.

Patriotismus, das hat sich unter Präsident Donald Trump nicht geändert, füllt in den Vereinigten Staaten auch die Freizeit aus. Bei einer Werbepause des Spiels der National Hockey League zwischen den Boston Bruins und den New York Islanders fährt die ganze Halle im "TD Garden" aus den Sitzen hoch. Jeder steht stramm und hält die Hand ans Herz, wenn Veteranen des US-Militäreinsatzes im Irak aufgerufen werden, um über Lautsprecher geehrt zu werden, wofür das Eishockeymatch unterbrochen wird: Männer, die für das Gute die Köpfe hinhielten und gegen das Böse kämpften.

Die Einteilung der Welt könnte auch beim Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg von 1775 bis 1783 einfach sein, falls die Erinnerung bloß an der Oberfläche treibt. Das tut sie in Boston, an der Wiege des "Landes der Freien und der Heimat der Tapferen", nicht. Der "Freedom Trail", eine mit roten Ziegelsteinen ausgelegte, vier Kilometer lange Leitlinie zu den wichtigsten historischen Schauplätzen der Stadt, führt nicht in die Irre einer aus Nationalstolz geblendeten Geschichtsbetrachtung. In der "Faneuil Hall", in der Samuel Adams bei Protestversammlungen flammende Reden gegen die Briten gehalten hat, sprechen den Gründervater auch die Nationalparkranger nicht heilig, die vor Schulklassen über die Geburtsstadt der USA referieren.

Eine Geburt mit Komplikationen
In der Faneuil Hall, die eine Gedenkstätte der US-Nationalparks ist, geben Ranger Geschichtsunterricht, der keine Schwarzweiß-Malerei von bösen Briten und guten Gründervätern der USA bietet. Der blutige Unabhängigkeitskrieg war Folge schlechter Politik und manch’ unglücklicher Umstände. Bild: feh

Adams, eine wenig ansehnliche Gestalt mit Doppelkinn und Spitzbauch, bibeltreu, abstinent und streng den Sabbat einhaltend, trieb sich an Wochentagen in Kneipen herum, weil dort politisiert wurde. Die Theke war sein Herd, auf dem er die Volksseele aufkochte. Mit heutigen Worten würde man ihn einen Populisten nennen: Das England des 18. Jahrhunderts war tief verschuldet. Der Krieg, in dem das Mutterland gemeinsam mit den Siedlern in Massachusetts und eingekauften Indianerstämmen die Franzosen vertrieben hatte, hatte die Krone an den Rand des Bankrotts gebracht. König Georg III. brauchte höhere Steuern. Ihm als auch dem Parlament in London fehlte das Verständnis dafür, warum die Kolonisten vom Fiskus ungeschoren davonkommen sollten, zumal die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verwaltung in deren Gebieten Unsummen kosteten. Eher zaghaft führten die Premierminister ab 1860 eine Zuckersteuer und dann Stempelgebühren in den Überseegebieten ein. Leute wie Adams verfassten gegen die Abgaben Petitionen, den Rest erledigte ein Mob auf der Straße, der rasch gegen die Steuereintreibung zusammengetrommelt wurde. Die Doktrin der Anführer der Rebellion wie James Otis Jr., John Hancock und Adams lautete stets: "Es ist ein Unrecht, wenn wir an ein Parlament Steuern abliefern, aber nicht wählen können."

Das "Bostoner Massaker"

Derlei widerspenstig, wurde Boston 1768 von der britischen Armee schließlich besetzt, eine Stadt mit 15.000 Einwohnern musste zwangsweise 2000 Soldaten einquartieren. Welches Pulverfass das war, daran erinnert die Gedenkstätte des "Bostoner Massakers" an der King Street beim Old State House. Ein Trunkenbold pöbelte am 5. März 1770 einen Soldaten an, der das Zollamt bewachen musste, Saufkumpane kamen dazu, worauf Private Hugh White seine Kameraden aus der Baracke um Hilfe rief. Bald waren neun Rotmäntel von 200 Randalierern umringt, als einer der Soldaten von einem Eisklumpen getroffen wurde und sich dabei aus seinem Gewehr ein Schuss löste. Die Nerven lagen blank. Alle neun Soldaten feuerten daraufhin wild in die Menge, fünf Männer wurden getötet.

Die "Boston Tea Party" – heute eine Belustigung, bei der Touristen selber Pakete ins Wasser werfen dürfen – steht dann als weiterer Anlass des Unabhängigkeitskrieges in den Geschichtsbüchern. Bei der Provokation ging es längst nicht mehr um die Vermeidung unzumutbarer finanzieller Belastungen, sondern nur noch ums Prinzip. Nachdem sie in der Maskerade von Indianern und mit Kriegsgeheul 45 Tonnen Tee ins Wasser geworfen hatten, kamen die rund 50 Akteure, machten auf den Schiffen sauber und entschuldigten sich auch noch in aller Form bei der Hafenwache, dass sie ein Schloss aufgebrochen hatten.

Eine Geburt mit Komplikationen
Goldhaube: Auf der Kuppel des Massachusetts State House sind sechs Kilogramm echtes Gold verbaut. Das Gebäude war über 200 Jahre Regierungssitz des US-Bundesstaates. Bild: feh

Die Ausgewogenheit der Geschichtsbetrachtung, wie man sie in den Museen der Stadt pflegt und in den Katalogen der Ausstellungs-Shops zu lesen bekommt, beeindruckt. Es erweckt den Eindruck, dass die Bostoner bei ihrer Selbsteinschätzung nicht in Größenwahn verfallen. Das überlassen sie lieber den New Yorkern, sagen sie. "Wir mögen Leute, die sich die Mühe machen, bei dem Sauwetter zu uns zu kommen", scherzt Sam, Bauhofarbeiter der Stadtregierung, der sich zu einer Zigarettenpause beim Schneeschaufeln hinzugesellt. Tabak gepafft darf nur noch an ausgewiesenen Plätzen werden, Bier oder Wein gibt es – wenn überhaupt – nur im Papierbeutel und nicht einmal in einem normalen Supermarkt zu kaufen, weil Händler dazu eine sündteure Sonderlizenz brauchen.

Schilder klären an Bushaltestellen auf, das man bei Nichtbeachten des Rauchverbotes bis zu zehn Tage lang ins Gefängnis muss oder zu bis zu 100 Dollar Bußgeld verdonnert wird – möglich sei auch beides. Adams und sein Puritanismus lassen bis in die Gegenwart grüßen.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass zu seiner Zeit in dem kleinen Boston, das sich auf zweieinhalb Meilen Länge erstreckte, in mehr als 20 Destillerien fleißig Rum gebrannt wurde und Adams, der nie Alkohol trank, gleichgültig gegenüber dem Seelenheil anderer, selbst eine Brauerei besaß.

"Na, Leute, was sagt ihr zu unserem Eiskasten hier", muntert uns Sam auf, "diese Saukälte ist nicht normal." Dieser Winter in Boston erfordert Wetterfestigkeit, die Temperaturen messen wir spöttisch bereits in "Fadenheit" statt "Fahrenheit". Die Quecksilbersäule hat sich diesen Vormittag auf nur noch acht Grad verkrochen, das sind minus 13,3 Grad Celsius. Wer dumm genug war, keinen Schal, keine Haube und keine Handschuhe mitgenommen zu haben, findet in der Newbury Street Abhilfe, die auch modisch schick ist. In den Häuserzeilen im viktorianischen Stil mit ihren Treppenaufgängen und Veranden hat sich eine Vielzahl an Geschäften und Restaurants eingemietet. Selber schuld, wer mittags im "Quincy Market", der mittlerweile zum Kalorienstadel gewandelten, im Jahr 1826 erbauten Markthalle neben der Faneuil Hall, im Menschengedränge Fastfood mampft. In den Shops sind die globalen Markenartikler vertreten, wenn nicht Bohemians selbst kreiertes Handwerk verkaufen.

Fehlplanung bei Wolkenkratzer

Dass in Boston menschliches Augenmaß zwischen Superleistung und Versagen nicht verloren ging, verrät auch der Blick nach oben. Der "John Hancock Tower" ist mit seinen 241 Metern Höhe der höchste Wolkenkratzer der sechs Bundesstaaten von Neu-England.

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241 Meter hoch: Hancock Tower Bild: feh

Seine ursprüngliche Fassade war aber eine Fehlkonstruktion, wie – nur nebenbei erwähnt – auch die meisten Warm-kalt-Wasserduschköpfe in amerikanischen Hotels. Weil sich die Verglasung als Windfang entpuppte, mussten alle 10.344 Fenster ausgetauscht werden. Sonst wäre der Turm umgestürzt.

 

Tipps

Sport: Die „Boston Celtics“ aus der 618.000-Einwohner-Stadt werfen in der National Basketball Association (NBA) ihre Körbe, die „Red Sox“ laufen in der Major League Baseball (MLB) ihre Homeruns und die Boston „Bruins“ haben in der National Hockey League (NHL) im Eishockey schon sechsmal den Stanley-Cup gewonnen. Damit ist die Stadt in drei Sportarten in den wohl besten Ligen der Welt vertreten. Tickets zu bekommen, ist mittelfristig von zu Hause vor der Reise über das Internet kein Problem.

Wissenschaft: Harvard wird in vielen Rankings als die beste Universität der Welt genannt, jedenfalls ist sie die reichste: Die Ausstattung des Campus wird mit 30 Milliarden Dollar beziffert. Auf dem Gelände befinden sich großartige Museen.

Ältester Park: Der Boston Common Park ist der älteste öffentliche Park der Vereinigten Staaten, der bereits 1634 von den Puritanern angelegt wurde. Die 20 Hektar große Grünfläche diente ursprünglich als Weide für die Milchkühe und später auch als Exerzierfeld für die Miliz der Kolonialisten.

Individualreise: Flug und Hotel – mehr braucht es nicht für eine Boston-Reise. Zu einem noch günstigeren Arrangement als die Internetabfrage führte die Buchung über die „Restplatzbörse“ (Citypoint Steyr).

U-Bahn und U-Bus: Das Bostoner U-Bahn-System ist mit der Eröffnung der ersten Sektion 1897 das älteste in Nordamerika. Einzigartig: Auf der „Silver Line“ fährt auch der Bus durch einen eigenen Tunnel.

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