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Zeit, sich Zeit zu nehmen

Von Bernhard Lichtenberger, 26. März 2022, 05:04 Uhr
Der spanische Surrealist Salvador Dalí hat die Vorstellung der verrinnenden Zeit auf seine Art dargestellt. Bild: Dalí

In der Nacht auf Sonntag werden die Uhren um eine Stunde auf Sommerzeit vorgestellt. Die rechte Zeit, mit einem Zeitforscher zu sprechen.

Wieso vergeht die Zeit schneller, wenn wir älter werden? Wie gewinnen wir Zeit? Fragen, mit denen sich Dr. Marc Wittmann forschend am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg befasst.

OÖN: Ab wann nimmt der Mensch Zeit bewusst wahr?

Den Umgang mit der sozialen Zeit, dass wir wissen, was Minuten, Stunden, Tage, Wochen sind, ist ein Prozess, den wir mühsam mit Beginn der Schulzeit lernen müssen. Unmittelbarer erleben Kinder Zeit aber schon viel früher. Das hat mit der Impulsivität der Kinder zu tun, die lieber gleich jetzt alles wollen, als zu warten.

Kann man Warten lernen?

Das sollten wir, denn unser Leben besteht leider immer wieder aus Wartezeit. Da hilft es nichts, böse zu werden und andere Leute dafür verantwortlich zu machen, wenn wir im Stau stehen oder der Zug nicht kommt. Ich rate zur paradoxen Intervention: Gehen Sie im Supermarkt extra an die längste Kasse und versuchen Sie, das einmal in Ruhe zu erleben. Meistens steht man ja nicht länger als fünf Minuten, ein Zeitraum, der ganz kurz ist. Wenn man sagt, ich komme in fünf Minuten, dann meint man, gleich zu kommen. Aber an der Kasse finden wir fünf Minuten subjektiv als Blockade. Da kann man sich kognitiv umstrukturieren, in sich hineinfühlen und versuchen, so eine leere Zeit, die sonst wütend macht, in einem positiven Lichte zu sehen und zu entspannen.

Wie lässt sich das Zeitempfinden messen?

Bei einem Versuch saßen mir Probanden und Patienten gegenüber, es herrschte Stille und nichts passierte, und nach 50 Sekunden klingelte ein Wecker. Ich fragte, wie lange das Intervall gedauert hat, und es wurde eine Zeitschätzung abgegeben. Dabei kam heraus, dass Leute, die etwas impulsiver sind, diese Zeit länger eingeschätzt haben. Diese Menschen können nicht richtig warten, wollen gleich eine Belohnung oder sofort raus aus einer unangenehmen Situation. Man kann auch Zeitdauer reproduzieren lassen, indem man zum Beispiel einen Ton mit einer bestimmten Dauer präsentiert, dem ein zweiter Ton folgt, den man dann durch Knopfdruck abstellen soll, wenn man das Gefühl hat, jetzt ist er so lange wie der erste.

Wieso vergeht die Zeit gefühlt schneller, je älter wir werden?

Das ist ein Gedächtniseffekt, weil wir im Laufe des Lebens routinierter werden. Das, was wir in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter an erstmaligen Ereignissen erlebten – das erste Bier, der erste Kuss – ist so besonders. Dieser Zauber setzt sich sehr stark im Gedächtnis fest. Die Dinge kommen einem länger vor, weil so viel Erlebtes spannend, neu und emotional ist. Aber irgendwann ist man dann 30 Jahre lang am selben Ort, im selben Beruf, fährt vielleicht immer zum selben Urlaubsort. Das kann gar nicht so fest eingespeichert werden wie die Neuartigkeiten, diese überraschenden Momente. Die Routine des Immergleichen macht, dass die Zeit in der Rückschau immer schneller vergeht.

Die Uhr gibt die Zeit vor. Was würde passieren, wenn es keine Zeitmessung gäbe?

Die Uhrzeit oder der Kalender sind soziale Zeiten, die wir benutzen, um uns mit anderen Menschen exakt zeitlich absprechen zu können. Gerade für die Wirtschaftsprozesse und -abläufe ist es sehr wichtig, dass wir genau wissen, wann was passiert. Wir haben in unserer komplexen Gesellschaft Millionen Menschen, die alle zusammenarbeiten müssen, die sich nur koordinieren lassen, indem sie über die Zeit hinweg strukturiert miteinander kommunizieren.

Nun gibt es auch Kulturen, die es mit der Zeit nicht so genau nehmen. Sind die zufriedener?

Das ist eine romantische Vorstellung. Ein Aspekt ist, dass der Wohlstand in uhrzeitorientierten Gesellschaften größer ist. Auf der anderen Seite gibt es, wie es der amerikanische Sozialpsychologe Robert Levine definiert hat, ereigniszeitorientierte Gesellschaften. Die haben eine Sitzung, die dann zu Ende ist, wenn sie zu Ende ist, und nicht vorher. Uhrzeitorientierte Gesellschaften haben eine Zusammenkunft bis 15.15 Uhr, und dann ist sie aus, egal, was ist. Wenn man weniger Zeitdruck hat, bedeutet das auch eine gewisse Lebensqualität, aber meistens haben diese Gesellschaften auch weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung, was wiederum eine andere Form von Stress erzeugt.

Warum sprechen wir von einer beschleunigten Zeit?

Die Prozesse in der Gesellschaft laufen schneller ab. Im vordigitalen Zeitalter hat man einen Brief bekommen, den man dann vielleicht nach zwei Wochen handschriftlich beantwortet hat. Nun passierte mir, dass ich lange in einer Sitzung war, und als ich aus der zurückkam, waren da mehrere E-Mails von einer Kollegin. In der ersten ging es um eine Frage. In der zweiten hieß es: "Hast du mein Mail bekommen?" Und in der letzten stand: "Ich hab’s herausgefunden, ich weiß jetzt, wie’s geht, alles in Ordnung". Das heißt: Eigentlich hätte sie mir gar kein E-Mail schicken müssen. Aber heute erwartet man, dass alles sofort geht. Man ist in einer dauernden, schnell getakteten Interaktion mit der Welt.

Durch die veränderte Arbeitswelt haben wir mehr freie Zeit als früher. Wie passen dazu Fastfood und Powernapping?

Das Problem hatten wir schon mit der Einführung der Waschmaschine. Die Mutter, so war es damals, hat nicht mehr drei Stunden in der Waschküche zugebracht, sondern mit einem Knopfdruck die Maschine angestellt. Zeit eingespart, könnte man sagen. Aber man füllt die leeren Intervalle gleich wieder mit neuen Aktivitäten. Das geht bis in die Freizeit, indem das Wochenende total verplant ist. So kann man das Frei-in-den-Tag-Hineinleben gar nicht mehr erfahren. Meditation, die uns im Idealfall eigentlich von der Zeit befreien sollte, lässt man auch schon zur fünfminütigen Powermeditation verkümmern.

Wie gewinnen wir Zeit?

Indem wir zum Beispiel einen Sonntag nicht verplanen, nichts tun, in den Tag hineinschlafen. Und, wenn man Kinder hat, diese nicht in der Gegend herumkutschiert. Das andere ist, am Abend zur Ruhe zu kommen, sich zu entspannen und nicht kurz vor Mitternacht noch die E-Mails zu checken, auf dass eine E-Mail vom Arbeitgeber nur noch schlecht schlafen lässt. Es ist ganz wichtig für die Psychohygiene, die Zeit von Ruhe und Aktivität strikt einzuhalten.

Unter welchen Umständen vergeht die Zeit wie im Flug, wann scheint sie stillzustehen?

Die sogenannten Flow-Erlebnisse sind dadurch charakterisiert, dass die Zeit schnell vergeht. Das kann sein, wenn mich ein Videospiel total absorbiert, aber auch eine hochinteressante Konversation mit Freunden, in die man sich hineinsteigert, oder ein Spaziergang, bei dem ich gedankenverloren bin. Bei allen passiert, dass man nicht sich selbst und damit auch nicht die Zeit beachtet. Je mehr ich mich selbst erlebe, zum Beispiel in der Wartezeit, desto langsamer vergeht die Zeit.

Was ist Langeweile?

Wenn ich sage, dass mir langweilig ist, sage ich eigentlich, mir ist mit mir langweilig, ich weiß mit mir nichts anzufangen – weil ich keine Beschäftigung, keine Zukunftsausrichtung, keine positiven Gedanken oder Gefühle habe.

Wie lässt sich das vor allem bei Jüngeren bemerkbare Streben nach Work-Life-Balance erklären?

Das hat zum einen mit der Psychohygiene zu tun, andererseits wohl auch rein hedonistische Gründe, weil man etwas vom Leben haben möchte. Es gab Nachkriegsgenerationen, die sehr viel gearbeitet haben, wenig Sport hatten und dicke Bäuche bekamen. Dann kam die Yuppie-Generation, die 14 Stunden am Tag arbeitete und dabei viel Geld machte, die gibt es übrigens heute noch. Und jetzt sind das Leute, die nach mehr Selbstverwirklichung streben, sich einen Job suchen, der etwas ruhiger ist, bei dem man weniger Stress hat, aber trotzdem noch genügend Geld für seine eigentlichen Aktivitäten im Freizeit- und Freundschaftsbereich.

Wie erkennt man Zeitdiebe?

Wir klauen uns selbst die Zeit, weil es äußere Anreize gibt, denen wir uns unterwerfen. Das kann die eigene Arbeit sein, in der man gefangen ist. Mütter können aufopfernd morgens bis abends nur noch für die Familie da sein, Wäsche waschen, Kinder rumfahren und dann dem Mann noch das Abendessen zubereiten – auch dieses Abarbeiten von Dingen nimmt die Zeit weg. Deshalb geht es darum, für sich Präsenzinseln zu finden, etwa eine Mußestunde pro Tag.

In der Nacht auf Sonntag wird uns eine Stunde "gestohlen". Wie geht man am besten mit der Zeitumstellung um?

Unsere innere Uhr ist an der Winterzeit orientiert, die eigentlich die echte Zeit ist. Und plötzlich ist alles um eine Stunde verschoben und dieser Mini-Jetlag kann etwa zu Schlafproblemen in der ersten Nacht führen. Aber weil es sich nur um eine Stunde handelt, sollte man nicht zu viel darüber grübeln, sondern eher mit Gelassenheit damit umgehen. Solche kleinen Jetlags haben wir jeden Montag, weil wir unsere Schlafgewohnheit am Wochenende ein wenig ändern, vielleicht länger in die Nacht hineinleben und dann am nächsten Tag ausschlafen. Da kommt unser innerer Zeitrhythmus auch durcheinander. Volkswirtschaftlich wird es aber wichtig, die Sommerzeit irgendwann einmal abzuschaffen.

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Bernhard Lichtenberger
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3  Kommentare
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higgs (1.260 Kommentare)
am 26.03.2022 12:59

Ich finde für Zeitumstellung schon gut. Sommerzeit in Winter wäre ein Problem und im Sommer genießen wir weiter die hellen Abende. Um 4:00 brauche ich noch kein Tageslicht.
Einführungsgrund war Energieeinsparung - das ist aktueller denn je...

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pferdekopf (3.039 Kommentare)
am 26.03.2022 10:06

Der US-Senat hat kürzlich beschlossen, die Zeitumstellung in den USA abzuschaffen. Wann wird das endlich in der EU passieren. Macht den Menschen nur Stress, kostet ein Vermögen und bringt keinen wirklichen Nutzen!

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SeppLinz (266 Kommentare)
am 26.03.2022 06:57

Wesentliches klar kommuniziert, das spart Zeit ; )

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