Als Menschen vom Gebirge aus für ihre Freiheit kämpften
BAD ISCHL. Dies ist die Geschichte zweier Männer. Sepp Plieseis hieß der eine. 1913 geboren, wuchs er als Arbeiterkind in ärmsten Verhältnissen im Bad Ischler Ortsteil Lauffen auf und fand früh im Sozialismus seine politische Heimat.
Plieseis stand bei den Februarkämpfen 1934 in Ebensee in den Reihen des Republikanischen Schutzbundes. 1937 ging er nach Spanien und kämpfte im Bürgerkrieg aufseiten der Republikaner. Nach dem Sieg der Faschisten wurde er verhaftet und von den Nationalsozialisten im KZ Dachau interniert. Als der 30-Jährige für Zwangsarbeiten nach Hallein verlegt wurde, gelang ihm von dort aus die Flucht. Plieseis schlug sich über die Osterhorngruppe in seine Heimat im Salzkammergut durch, tauchte hier unter und gründete die Widerstandsgruppe "Willy".
Netzwerk im Gebirge
Am Fuß des Schönbergs (Wildenkogel) richteten sich die Partisanen ein Versteck ein ("Igel"), das die Nazis nie entdecken sollten. Die Gruppe setzte nicht auf militärische Störaktionen, sondern baute zwischen Bad Ischl und Bad Aussee ein Netzwerk auf, das mehr als 500 Frauen und Männer umfasste. Wehrdienstverweigerer wurden im Gebirge versteckt und versorgt, ein Informationsnetzwerk wurde aufgebaut. Für die Nationalsozialisten bedeutete allein die Existenz der Widerstandsgruppe einen öffentlichen Kontrollverlust.
Nach dem Krieg wurde Plieseis von der US-Besatzungsarmee kurze Zeit als Berater verpflichtet und verdingte sich danach als Beamter im Bad Ischler Rathaus. Als er 1966 starb, war die Geschichte des Widerstands im Salzkammergut aber längst vergessen. Weder die Politik noch Historiker griffen nach 1945 das Thema auf – vor allem deshalb, weil die meisten ihrer Mitglieder (inklusive Sepp Plieseis) dem Kommunismus sehr nahestanden.
Und da kommt der zweite Mann ins Spiel. Peter Kammerstätter hieß er. Der Linzer war zwei Jahre älter als Plieseis, gelernter Elektriker und ebenfalls ein Kommunist, der wegen seiner politischen Überzeugung im KZ (Buchenwald) festgehalten wurde. Kammerstätter arbeitete nach dem Krieg in der VÖEST, wo er 1971 als Betriebsrat in Pension ging.
Unvergesslich machte sich Kammerstätter aber als Historiker. Der Autodidakt widmete sich dabei vor allem dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Und Kammerstätter war es auch, der die Kämpfer um Sepp Plieseis vor dem Vergessen bewahrte. Ausgestattet mit einem Kassettenrekorder befragte er nach dem Krieg Hunderte Männer und Frauen und hielt ihre Erinnerungen fest. Als leidenschaftlicher Bergsteiger organisierte er geführte Wanderungen auf den Spuren der Partisanen und legte eine umfangreiche Materialsammlung an. Nicht zuletzt die Gründung des Zeitgeschichte-Museums Ebensee (ursprünglich "Widerstandsmuseum" genannt) geht auf seine Initiative zurück.
Peter Kammerstätters wichtigstes Vermächtnis sind 20 Typoskripte. 780 maschinengeschriebene Seiten, auf denen er die Erinnerungen der Zeitzeugen festhielt. Er reichte Durchschläge der Typoskripte an einige ausgewählte Bibliotheken, Archive und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) weiter. Generationen von Historikern dienten sie als Basis. "Die Tatsache, dass zahlreiche Dissertationen, Diplom- und Seminararbeiten, Fachbücher, Wanderführer, Dokumentar- und Spielfilme, Ausstellungen, Radiofeatures, Novellen und Romane publiziert wurden und bis heute Exkursionen zu den Originalschauplätzen stattfinden, ist Peter Kammerstätters Verdienst", sagt Wolfgang Quatember, Gründer und Leiter des Zeitgeschichte-Museums Ebensee.
Die Erinnerungen sind bewahrt
Und jetzt kommt der Anlass dieses Artikels: Die Bibliothek der Provinz hat 31 Jahre nach dem Tod Kammerstätters als erster Verlag das Wagnis auf sich genommen, die Typoskripte in Buchform zu veröffentlichen. "Salzkammergut – Ausseerland. Widerstand und Partisanenbewegung 1943–1945" heißt der Schmöker. Und so spröde dieser Titel ist, so berührend ist sein Inhalt. Kammerstätter hat die Erzählungen der Zeitzeugen aneinandergereiht. In Summe ergeben sie einen spannenden Erzählbogen, ein vielstimmiges Kaleidoskop der Auflehnung gegen Krieg und Faschismus in Gebirgsverstecken, Dachböden und Heustadeln. Seine Niederschrift solle "nur ein Beitrag, eine Anregung sein", schreibt Kammerstätter in seiner bescheidenen Vorrede. In Wahrheit ist dieses Buch aber schon jetzt ein Standardwerk für alle, die an der Geschichte des Salzkammerguts interessiert sind. Und es ist spannender zu lesen als jeder Krimi.
Das Vermächtnis von Plieseis und Kammerstätter färbt übrigens auch auf die Kulturhauptstadt Europas ab: In Bad Ischl wird heuer ein Platz nach Resi Pesendorfer benannt – einer Widerstandskämpferin und engen Vertraute Plieseis. Außerdem wird im Kulturhauptstadtjahr eine offizielle Fahrradroute auf den Spuren der Partisanen eröffnet.
Raphael Besenbäck (Hg.): "Salzkammergut – Ausseerland. Widerstand und Partisanenbewegung 1943–1945. Eine Materialsammlung von Peter Kammerstätter", Verlag Bibliothek der Provinz, 780 Seiten, 44 Euro