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24 Regierungen zwischen zwei Kriegen

Von Klaus Buttinger, 20. Jänner 2018, 00:04 Uhr

Gerade 20 Jahre dauerte Österreichs erster Versuch mit demokratischen Strukturen. Ihm folgte ein menschenverachtendes "Tausendjähriges Reich", das noch schneller kaputt ging. Wie sich die Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg in Oberösterreich darstellte, erzählt der Linzer Historiker Peter März.

OÖNachrichten: Wie wurde das Kriegsende 1918 in Oberösterreich aufgenommen? War man froh, war man ernüchtert?

März: Ein Großteil der Bevölkerung, insbesondere die einfache Bevölkerung, war schon sehr froh, dass der Krieg vorbei war – er dauerte ja doch vier Jahre, und schon seit 1915 waren der Mangel an Lebensmitteln und der Hunger spürbar. Gleichzeitig gab es von Seiten des Militärs und des Adels große Befürchtungen vor dem Demokratisierungsprozess.

Wie ging es den Leuten auf dem Land, den Leuten in der Stadt?

Im zweiten Kriegsjahr gab es die ersten Lebensmittelkarten und Rationierungen. Das hat die Stadtbevölkerung stärker getroffen als die Landbevölkerung, die sich ja teilweise noch selbst versorgen konnte. In der Stadt begann der Schwarzmarkt zu blühen. Die Leute sind zu Hamsterfahrten aufs Land aufgebrochen, so wie man das auch aus der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kennt.

Bald nach dem Krieg gab es neue Gesetze, davon einige mit großem Tiefgang: Frauenwahlrecht, Betriebsrätegesetz, staatliche Krankenversicherung etc. Wie wirkten sich die aus?

Das Frauenwahlrecht war schon vor dem Ersten Weltkrieg angedacht gewesen, es ist aber nicht mehr zum Beschluss gekommen. Erst danach hat es erstmals gleiche, geheime Wahlen gegeben, frei für alle Menschen beiderlei Geschlechts. Das war natürlich ein Riesenfortschritt, ist aber von den einzelnen Parteien ganz unterschiedlich gehandhabt worden. Die Sozialdemokratie hat mit Marie Beutelmayr und Ferdinanda Flossmann zwei Frauen am Start gehabt, die politisch erfahren waren, bei den Christlichsozialen war es Fanny Starhemberg, die stark mitgemischt hat und in den Bundesrat gekommen ist. In die Sozialgesetzgebung wurden große Hoffnungen gesetzt, und Österreich hat dabei tatsächlich eine europaweite und teils weltweite Vorreiterrolle innegehabt. Man muss aber dazusagen, dass diese Gesetze zwar rasch beschlossen und teilweise rasch umgesetzt, aber ab 1920 zum Teil schon wieder zurückgenommen wurden. Und ab 1933/34 war dieser Sozialabbau dann ganz manifest.

Bettlerlager
Bettlerlager in Schlögen Bild: Archiv der Stadt Linz (APA/DANIEL ZUPANC)

Bettlerlager in Schlögen

Kaum dass ein wenig Erholung eingesetzt hatte, begann mit der Völkerbundanleihe 1922 ein Sparkurs, der tausenden Beamten den Job kostete. Erinnert Sie das an die Austeritätspolitik jüngst in Griechenland, oder täuscht das?

Das täuscht auf keinen Fall, es hat ähnliche Mechanismen in Gang gesetzt. Auch die mit Sozialabbau verknüpften Bedingungen, die damals von Seiten des Völkerbunds gestellt wurden, haben ähnlichen Charakter: der Versuch, vorhandene Errungenschaften zurückzudrehen, um einen konsolidierten Haushalt zu erreichen. Die Frage in dieser schwierigen Situation wäre gewesen: Welche Alternative haben wir? Vor dieser Herausforderung steht Griechenland genauso. Deshalb gibt es da auch unterschiedliche Meinungen in der Geschichtsschreibung.

Was passierte mit der Schilling-Einführung am 1. 3. 1925?

Die hat dazu geführt, dass man die Inflation in den Griff bekam. Das war schon ganz zentral. Aber im Grunde genommen war die Schilling-Einführung ein deutliches Zeichen für die Bevölkerung, dass man sich tatsächlich in einem neuen, demokratischen Staat befindet. Die Einführung war wirtschaftspolitisch nicht mehr das ganz große, dramatische Thema. Man wollte zeigen, dass man loskommt von der Krone, die es schon in der Monarchie gegeben hat, und einen neuen Start hinlegen.

In den Folgejahren militarisieren sich die großen politischen Lager zunehmend. Was machte Heimwehr oder Schutzbund so attraktiv?

Anfang 1919 sind tausende Kriegsheimkehrer praktisch vor dem Nichts gestanden. Die waren jahrelang im Krieg und kannten auch nichts anderes mehr. Für sie eine Art von Heimat zu finden, wo sie quasi auch in Frieden leben konnten, war wahnsinnig schwierig. Das Militär hatte de facto kein Geld, obwohl rasch die Volkswehr und danach das erste Bundesheer aufgebaut wurde, aber es sind rasch wieder Tausende entlassen worden. Wohin mit all diesen Menschen mit ihren Problemen und Traumata? Da haben die Heimwehren, der Schutzbund und auch die kommunistische Arbeiterwehr relativ klug agiert und gesagt: Wir nehmen euch auf, wir bewaffnen euch und geben euch eine Art von Sicherheit.

Es gab sehr rasch eine landwirtschaftliche Überproduktion, und rumms, war die Weltwirtschaftskrise da und es ging wieder abwärts. Wie kam das?

Nach dem Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie lag der Großteil der wichtigen Industrien außerhalb von Österreich. Die wenigen Reste, die sich wieder erholt hatten, waren exportorientiert – etwa die Steyr-Werke, die durch die Weltwirtschaftskrise in schwerste Turbulenzen gekommen sind. Ein Jahr lang hat man es geschafft, den Niedergang des Exports abzufedern, danach ist es so richtig losgegangen. Zusammenbruch und Verstaatlichung der Bodenkredit-Anstalt, der Creditanstalt, was auf die Industrie zurückgewirkt hat.

Die NSDAP, die anfangs erlaubt und später verboten war, bekam immer mehr Zulauf. Wo hat da die Politik versagt?

Der Demokratisierungsprozess war schwierig. Nach 600 Jahren Monarchie auf demokratische Aspekte umzustellen, war eine ziemliche Herausforderung. Dazu kam: Ein großer Teil der politischen Eliten war gar nicht so sehr abgestellt auf Demokratie, sondern zeigte schon damals Tendenzen, wieder ein autoritäres Regime einzuführen beziehungsweise die demokratischen Errungenschaften zurückzunehmen. Einerseits ist der Sozialdemokratie vorgeworfen worden, sie wolle die Einführung des Sozialismus per Dekret – davon kann man halten, was man will. Andererseits hat man den Christlichsozialen vorgeworfen, sie wollten am liebsten eine österreichische Form von Faschismus etablieren, was auch höchst umstritten ist. Und da kommt die NSDAP ins Spiel. Wobei sie gar nicht so sehr bei den anderen Parteien ansetzt und Mitglieder abwerben will, sondern ganz stark auf die ländliche Bevölkerung und auf die Arbeiter setzt, indem sie verspricht: Euch geht es wirtschaftlich schlecht, wenn ihr zu uns kommt, sieht es anders aus.

Erinnert an eine soziale Heimatpartei …

Genau. Und man musste ja damals, ab 1933, nur nach Deutschland blicken, wo ein massiver Wirtschaftsaufschwung herrschte, der letztlich aber nur ein Kriegskeynesianismus war.

Die allgemeine Unsicherheit in Österreich lässt sich auch festmachen an den 24 Regierungen der Zwischenkriegszeit mit durchschnittlich achtmonatiger Amtszeit. Lässt sich so überhaupt Politik machen?

Naja, bedingt natürlich. Interessant ist schon, dass die Sozialdemokratie nur ganz kurz mit an der Macht war, und danach immer nur wechselseitige bürgerliche, rechtskonservative Regierungen. Man hat immer versucht, Parteien links von den Christlichsozialen von der Macht fernzuhalten.

Stichwort nationalsozialistischer Terror, der unter anderem in Oberösterreich zu einer Zugsentgleisung mit einem Toten geführt hat: Hätte die Politik – spätestens nach dem Putschversuch und dem Mord an Bundeskanzler Dollfuß 1934 – nicht viel entschlossener gegen die Nationalsozialisten vorgehen müssen?

Ja, selbstverständlich. Aber auch da sind die Parallelen zu heute frappierend. Siehe NSU ("Nationalsozialistischer Untergrund" in Deutschland, Anm.) und die Verstrickung von einzelnen Parteien und Politikern darin. Aber da gibt es noch viel zu wenig Untersuchungen. Die Frage ist, wie man damals die NSDAP hätte bekämpfen können. Sie war schon so ein Machtfaktor, dass deren Entwaffnung nicht mehr möglich war. Es hat auch halbherzige Versuche gegeben, die Heimwehren zu entwaffnen. Der Schutzbund ist 1934 entwaffnet worden, aber alles, was danach gekommen ist, waren mehr oder weniger nur noch bemühte Politik oder Absichtserklärungen.

Es gab auch in Oberösterreich Anhaltelager für Bettler, etwa in Schlögen, und Lager für Zwangsarbeiter. Heute spricht der Innenminister davon, Flüchtlinge konzentriert zu halten, und in der Regierung wird überlegt, Langzeitarbeitslose zu enteignen. Sehen Sie Parallelen zwischen damals und heute?

Ja, diese Parallelen werden immer mehr und stärker und treten deutlicher hervor. Was zur Frage der Bewertung führt und was man diesen heutigen Entwicklungen entgegensetzt. Damals war hinsichtlich der Bettler- und Zwangsarbeiterlager durchaus ein starker Konsens vorhanden – unter den Parteien und interessanterweise auch innerhalb der Bevölkerung. Und auch da sehe ich eine Parallele. Es ist ja nicht so, dass heute viele Leute bei uns da dagegen wären. Damals ist die Darstellung dieser Bettlerlager relativ offen vonstatten gegangen – auch in der medialen Berichterstattung. Es war kaum Protest dagegen vorhanden. Und das ist dann doch der Unterschied zu heute. Heute haben wir eine mehr oder weniger aktive Zivilgesellschaft, die hoffentlich dagegen vorgehen kann.

Was sollte man aus der Geschichte der Zwischenkriegszeit lernen, die ja in der staatlichen Unmündigkeit, im Anschluss an Hitlerdeutschland am 12. März 1938, endete?

Man muss bewusst und aktiv der schleichenden und zunehmenden Entdemokratisierung entgegentreten und versuchen, sich mit allen demokratischen Mitteln dagegenzustemmen. In der Zwischenkriegszeit ist das nicht gelungen, vielleicht weil die Menschen zu sehr daran interessiert waren, auf sich selbst zu schauen. Aber das haben wir heute ja genauso … Es ist schwierig.

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