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Wo Deutschland geboren wurde

Von Von Martin Duschek, 03. Juli 2010, 00:04 Uhr
Wo Deutschland geboren wurde
Die Wartburg. Deutschlands bedeutendste und geschichtsträchtigste Burg thront 200 Meter hoch über Eisenach im Westen Thüringens. Bild: Duschek

Eisenach/Thüringen. Hier gingen Bach und Luther zur Schule, fand die deutsche Sprache ihr Fundament, der demokratische Staat seinen Ursprung. Kaum ein Gemäuer weiß so viele Geschichten zu erzählen wie die tausend Jahre alte Wartburg.

Wer sich die Mühe macht, eine Deutschlandkarte aus Papier auszuschneiden, um sie auf einer Nadelspitze zu balancieren, findet den Schwerpunkt – und die Mitte Deutschlands. Tatsächlich liegt die geografische Mitte unserer Nachbarn seit der Wiedervereinigung fast genau dort, wo Deutschlands bedeutendste und geschichtsträchtigste Burg thront, die Wartburg, bei Eisenach im Westen Thüringens.

Die DDR-Zeit ließ das 43.000-Einwohner-Städtchen in unseren Breiten in Vergessenheit geraten. Heute putzt sich die Gemeinde mit ihren mittelalterlichen Fachwerkhäusern für die vielen tausend Besucher der Wartburg heraus. Im November des Vorjahres wurde der 30-millionste Besucher seit Beginn der Besucherstatistik 1894 begrüßt. In der alljährlichen Befragung des Deutschen Tourismusverbandes zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Deutschlands erreichte die Wartburg den fünften Platz.

Doch bevor ein Besucher die Wartburg erklimmt, lohnt sich ein ausführlicher Stadtrundgang in Eisenach. Vielerorts begegnen wir den beiden großen Söhnen der Stadt: Johann Sebastian Bach, der hier geboren wurde und aufwuchs, sowie Martin Luther, der hier ins Gymnasium ging. Übrigens besuchten beide die gleiche Lateinschule.

Im Geburtshaus von Johann Sebastian Bach wurde 1907 das erste Bach-Museum eingerichtet. Auf über 600 Quadratmetern erlebt der Gast die weltweit größte Ausstellung zu Bachs Lebenswerk. Einmalig: Jedem Besucher wird ein kleines Konzert auf fünf historischen Tasteninstrumenten dargeboten. Es erklingen live zwei Orgeln, ein Cembalo, ein Spinett und das Clavichord, eine Art Reise-Tasteninstrument.

Das Bach-Museum besteht aus zwei Gebäuden. Während im über 500 Jahre alten Bürgerhaus das Leben der Barockzeit im Mittelpunkt steht, widmet sich der angrenzende, architektonisch reizvolle Neubau ganz Bachs Musik.

Begehbares Musikstück

Ein „begehbares Musikstück“ entführt über eine multimediale 180-Grad-Installation in die Aufführung dreier Bach-Werke. Die vielen Möglichkeiten, Musik zu hören, und die aufwändigen Installationen machen das Bach-Museum auch mit Kindern zu einem lohnenden Besuch.

Einem anderen „Sohn“ Eisenachs begegnen wir mit ein bisschen Glück auf der Straße: dem „Wartburg“. Neben dem „Trabi“ war er Aushängeschild der ostdeutschen Automobilindustrie. Naturgemäß finden sich hier besonders viele, liebevoll gepflegte Oldtimer dieses Typs.

Im Erlebnismuseum „Automobile Welt Eisenach“ werden über 110 Jahre Eisenacher Automobilgeschichte dokumentiert. Fahrzeuge wie Dixi, BMW, EMW, Wartburg sowie Prototypen geben Einblick in den Automobilbau. Heute befindet sich in Eisenach eine Fabrik der Opel-Werke.

Ebenfalls ein „Must“ ist der Besuch des Lutherhauses südlich vom Hauptplatz. In dem am besten erhaltenen mittelalterlichen Fachwerkhaus Eisenachs wohnte Martin Luther während seiner Schulzeit von 1498 bis 1501.

„Wer war Luther? Wer war dieser Mensch, der so tiefgreifende historische Umwälzungen auslöste? Woran lag es, dass er solchen Einfluss erlangte?“ Diesen Fragen versucht die 1996 neu gestaltete Ausstellung auf den Grund zu gehen. Der Besucher wird mit der Welt konfrontiert, in der Luther lebte. Der Rundgang auf drei unterschiedlichen Ebenen soll einen Zugang zu dem Menschen Martin Luther ermöglichen.

Eine historische Landkarte führt den Interessierten durch die Wirkungsgeschichte der Reformation in Europa, auch nach Österreich. Gleichsam besuchen wir hier die Wurzeln für die aktuelle oberösterreichische Landesausstellung „Renaissance und Reformation“ in Grieskirchen. Der Besucher erfährt auch Kurioses, etwa dass Luther als Lateinschüler vor den Bürgerhäusern für Almosen geistliche Lieder sang.

Vom Eisenacher Marktplatz aus führt ein Fußsteig über Burgweg, Predigerplatz und Schlossberg als kürzeste Verbindung zur Wartburg. Erst jetzt erkennen Besucher, dass das mächtige Bauwerk auf einem schroff und steil aufragenden Felsen errichtet wurde. Gut 200 Meter erhebt sich die Kuppe aus rötlichem Konglomeratgestein über Eisenach. Den letzten und steilsten Anstieg bewältigt man zu Fuß, mit einem Kleinbus oder – zu Öffnungszeiten im Sommer – auf dem Rücken eines Esels.

Gästen des mondänen Wartburghotels öffnet sich die Zufahrtsschranke. Sie parken knapp unterhalb der Burg und werden dort vom Shuttleservice abgeholt. Die gepflasterte Straße mit 27 Prozent Steigung erweist sich auch für moderne Autos als Herausforderung.

Die Wartburg erschließt sich uns über eine hölzerne Zugbrücke. Überhaupt erweckt die Burg schon von außen genau jenen Eindruck, den sich Buben beim Ritterspielen ausmalen. Durch das Torhaus gelangt der Besucher in die innere Vorburg, wo im Museumsshop die Eintrittskarten für die innere Burg erworben werden können.

Atemberaubender Blick

Die Wartezeit bis zur nächsten erreichbaren Führung nutzen wir, um den Südturm – den letzten erhaltenen Turm der mittelalterlichen Hochburg von 1318 – zu besteigen. Von der 22 Meter hohen Plattform bietet sich nach Nordosten ein atemberaubender Rundblick über das Burggelände und Eisenach. Doch noch beeindruckender ist der Blick nach Westen. So weit das Auge reicht, erstreckt sich der Thüringer Wald. Weder Gebäude noch Straßen oder Hochspannungsleitungen stören das hügelige Grün. Bei diesem Anblick hatte Johann Wolfgang von Goethe die Eingebung für sein Wanderers Nachtlied:

Wer hätte gedacht, dass die Mitte Deutschlands einer gewaltigen grünen Lunge gleicht?

Im Zuge der kurzweiligen, rund 45 Minuten dauernden Führung durch den Palas, das spätromanische Wohngebäude der Wartburg, erfahren wir, wie eng die Wartburg mit Deutschlands Geschichte verbunden ist, wie diese zum Teil hier geschrieben wurde.

Den Grundstein zu dem wehrhaften Gebäudekomplex legte der Sage nach der fränkische Graf Ludwig der Springer im Jahr 1067. Von ihm stammen in der Folge die Ludowinger ab, das mächtige thüringische Landgrafengeschlecht. Die Wartburg wird vier Generationen später unter Landgraf Hermann I. zur Hochburg der mittelalterlichen Dichtkunst und des Minnegesangs.

Streit der Sänger

Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach und Heinrich von Veldeke verkehren am Hofe Hermanns. 1206 kommt es der Sage nach zum „Sängerkrieg auf der Wartburg“. Den Wettkampf zwischen den sechs berühmtesten Sängern des Mittelalters sollte einer mit dem Tode bezahlen. Doch die Geschichte geht – nach einer Wiederholung im Jahr 1207 – gnadenhalber gut aus. Unvergessen wurde die Sage vom Sängerkrieg auf der Wartburg durch die romantische Oper „Tannhäuser“ von Richard Wagner.

Im Gegensatz zum Sängerkrieg geschichtlich abgesichert ist der Aufenthalt der heiligen Elisabeth auf der Wartburg. Elisabeth, Tochter des ungarischen Königs Andreas II., kam mit vier Jahren an den Hof Hermanns I.

1221, mit 14, wurde sie mit Hermanns ältestem Sohn, Ludwig IV., verheiratet und gebar drei Kinder.

Doch Elisabeth lebte streng nach dem Vorbild des heiligen Franz von Assisi. Ihre Askese und ihr soziales Engagement wurden argwöhnisch beobachtet. Sie ließ am Fuß der Wartburg ein Siechenhaus für die Ärmsten der Stadt errichten und versah dort selbst karitative Dienste. Als ihr Mann 1227 während eines Kreuzzuges fiel, verließ sie die Wartburg und ging nach Marburg, um noch intensiver wohltätig zu wirken. Sie starb am 17. November 1231 im Alter von 24 Jahren. Ihre Heiligsprechung, der die Bezeugung von 99 Wundern vorausging, erfolgte bereits vier Jahre später.

Der Besuch der Elisabeth-Kemenate zählt zu den Höhepunkten der Wartburgführung. Die Mosaiken, die das Leben der heiligen Elisabeth von Thüringen darstellen, stammen aus den Jahren 1902 bis 1906 und wären in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beinahe abgerissen worden. Heute ist die Kemenate neben dem Festsaal der prunkvollste Raum der Wartburg.

290 Jahre nach Elisabeth rückte die Wartburg neuerlich ins Zentrum des religiösen Geschehens: Der in Acht und Bann stehende Martin Luther fand Zuflucht und Schutz in der Burg. Getarnt als bärtiger „Junker Jörg“ lebte er zehn Monate in einer kleinen Kammer. Hier übersetzte er in nur elf Wochen das Neue Testament vom Altgriechischen ins Deutsche.

Die Lutherbibel eröffnete nicht nur den christlichen Glauben für das Volk, sondern gilt als Grundstein des vereinheitlichten Neuhochdeutschen.

Auch um Luthers Aufenthalt rankt sich eine Sage: Eines Nachts erschien ihm der Teufel, um ihn von der Übersetzung der Heiligen Schrift abzuhalten. Luther schleuderte das Tintenfass nach dem Gehörnten. Viele Jahrhunderte wurde der Tintenfleck neben dem grünen Kachelofen restauriert und von neugierigen Pilgern wieder abgekratzt.

Im Anschluss an die Burgführung besteht die Möglichkeit, das Wartburg-Museum zu besichtigen. Hier finden sich einmalige Schaustücke wie der Dürer-Schrank und zahlreiche Originale von Lukas Cranach d. Ä. Die Idee für das überaus sehenswerte Wartburgmuseum stammt von keinem Geringeren als Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe, der bei einem seiner zahlreichen Besuche der Wartburg die Sammlung und Präsentation von Altertümern anregte.

Demokratie und Einheit

Nach der Völkerschlacht 1813 und dem Wiener Kongress 1815 war Deutschland zersplittert in unzählige Kleinstaaten. 1817 lud die Urburschenschaft von Jena Studenten aller deutschen Hochschulen auf die Wartburg. Gut 500 kamen und forderten beim Wartburgfest erstmals ein geeintes Deutschland unter einer freiheitlichen, demokratischen Verfassung. Noch heute hängt im Festsaal der Wartburg die Fahne der Jenaer Urburschenschaft in den Farben Rot-Schwarz-Rot mit goldenem Eichenzweig. Aus ihr leiten sich die Farben Schwarz-Rot-Gold der Flagge der heutigen Bundesrepublik ab. In freier Sicht der Wartburg gegenüber erinnert das mächtige Burschenschafterdenkmal an das Wartburgfest.

Gasthof für fröhliche Leut‘

Nur wenige Meter unterhalb der Wartburg liegt das Wartburg Hotel. Der schlossähnliche Bau vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war das Aushängeschild der DDR-Interhotels, jener staatseigenen Beherbergungsbetriebe, die der Beschaffung von Devisen dienten. Heute erinnert man sich lieber an die ursprüngliche Bezeichnung: „Gasthof für fröhliche Leut’“. Das Haus trägt verdient und mit Stolz fünf Sterne sowie zahlreiche Auszeichnungen. Wenn sich nach der letzten Führung die Wartburg leert, können die Hotelgäste noch bis 20 Uhr durch die Höfe der Burganlage schlendern und eine besondere Romantik dieses einzigartigen Platzes erleben.

Am Abend erwartet den Gast eine vielfach prämierte Küche, unter anderem mit zwölf Punkten im Gault Millau oder zwei Sternen bei Varta. Das kulinarische Erlebnis wird vom traumhaften Ausblick auf den Sonnenuntergang im Thüringer Wald begleitet. Später, auf dem Zimmer, nehme ich das Neue Testament vom Nachtkästchen zur Hand: Eine besondere Ehrfurcht befällt mich angesichts des Wissens, dass diese Zeilen einst keine 50 Meter entfernt vor 489 Jahren niedergeschrieben wurden.

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