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Missbrauch im Skisport - "Der Körper, die Seele dieses Kindes sind kaputt"

Von Nora Bruckmüller, 26. Mai 2023, 06:48 Uhr

Vor einem halben Jahrhundert stand sie erstmals auf der Bühne des Linzer Landestheaters. Ab 26. Mai ist Eva-Maria Aichner dort im Stück "Schnee Weiß (Die Erfindung der alten Leier)" nach Elfriede Jelinek zu sehen. Ein Theater, das am österreichischen Mythos Skisport rüttelt.

Sie schwieg fast so lange, wie Eva-Maria Aichner in Linz Theater spielt: 2017 machte Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg nach 40 Jahren Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe im österreichischen Profi-Skisport publik, Jelinek inspirierte dies zu "Schnee Weiß". Eva-Maria Aichner (68) spielt im Stück dazu einen Mann, ein mächtiges Mitglied des österreichischen Skiverbands.

Was ist für Sie das Reinste am Theater, seine Urform?

Eva-Maria Aichner:
Das Miteinander, das gemeinsame Erarbeiten eines Themas, egal welcher Epoche, und dabei den Autor oder die Autorin ganz ernst zu nehmen, ihn oder sie nicht mit extremen Regieeinfällen zuzuschütten. Ich schätze natürlich Übersetzungen, aber ich schätze es nicht, wenn man Autoren und Autorinnen nicht mehr zu Wort kommen lässt.

Geschichten werden in Hinblick auf Diskriminierung oder Rassismus aktuell einer Revision unterzogen. Wie stehen Sie dazu?

Wir müssen hier sicher einen neuen Stil finden. Und bei diesen Prozessen müssten wir tatsächlich mit Leuchtbuchstaben drüberschreiben: Miteinander, bitte! Keine Egotrips.

Theater darf nie Kampf sein?

Genau. Theater heißt, ich erzähle eine Geschichte und ich möchte, dass das Publikum, das ganze Auditorium mitatmet. Das ist das Ideal. Man nimmt die Menschen mit auf eine Reise, die sie gar nicht erwartet hätten, die sie überrascht. Das strebe ich immer an. Es packt mich immer noch, nach 50 Jahren, wenn das Licht aus- und der Vorhang aufgeht. Und das ist nicht nur für die aufregend, die auf der Bühne stehen. Ich glaube, die Menschen sollten sich davon anstecken lassen, von diesem Flirren, den Schwingungen, der Frage: Was kommt jetzt? Was erzählt uns der Autor? Um dann spüren zu können, wie der Raum auf einmal mitschwingt.

Was hat man Ihnen in Ihren Anfängen zum Leistungsanspruch mitgegeben?

Mein erster Intendant, Alfred Stögmüller, hat gesagt: Wissen Sie, es ist egal, wo Sie die Bühne betreten, ob in Hamburg, Zürich oder Linz, Sie müssen Höchstleistung bringen. Wenn Sie das in Linz nicht tun, müssen Sie gehen. Die Höchstleistung ist überall Voraussetzung.

Harte Bühnenstoffe gehen Zusehenden nahe. Wie gehen Sie damit als jemand um, der sich diesen Stoff wie eine zweite Haut anziehen soll?

Es gibt Situationen, in denen man sehr viel Leistung bringen muss, da versuche ich mich keinen zusätzlichen Situationen und Inszenierungen auszusetzen, die belasten. Es gibt eben Stücke, die sind belastend, weil sie den Glauben an die Zukunft, die Hoffnung reduzieren können. Ich muss hier im zunehmenden Alter aufpassen, weil ich gerne mein optimistisches Niveau halten möchte und nicht will, dass es angekratzt wird.

Ist das Stück nach Jelinek für Sie belastend?

Die Geschichte ist natürlich heftig, aber die Sprache von Jelinek ist so wunderbar. Einer meiner Lieblingssätze in dem Stück ist: "Worte können töten, warum tun sie es nur so selten?" Und in dieser Qualität geht’s dahin. Ich bin verliebt in diese Sprache, in ihre Schonungslosigkeit.

Nicola Werdenigg war zum Zeitpunkt, als sie Missbrauch erfahren hat, noch ein junger Mensch. Wie geht Jelinek auf die Rolle der Eltern ein?

Wie sich die Mütter und auch die Väter einmischen, kommt ganz stark vor. Die Mutter steht etwa vor der Zimmertüre und sagt: Tu alles, was er sagt. Die Mutter steht draußen und hört, wie das Kind weint und schreit und nicht weiß, wie ihm geschieht, doch die Mutter sagt: Sie braucht die Startnummer eins. Es partizipieren ja alle, die ganze Familie hat etwas davon, wenn das Mädchen gewinnt. Der Körper von diesem Kind ist kaputt, die Seele ist kaputt, aber die Familie ist in aller Munde.

Damit wird das Kind nicht nur sexualisiert, sondern auch für ökonomische Belange und sozialen Reichtum ausgebeutet.

Und das hat sich bis heute nicht verändert. Aber das Stück ist bei uns nicht so ausgelegt, dass es nur runterzieht. Man erlebt irrsinnig viel Bühnengeschehen, du musst auch lachen und schmunzeln. Man muss sich nur vorstellen: Die haben mehr oder weniger eine Streif auf die Bühne gebaut. Das ist eine Schräge, die ist der Hammer.

Jelinek zieht religiöse und gesellschaftspolitische Ebenen in diesen Text ein. Somit wird begreifbar, wie stark Frauen von diesen Systemen nach wie vor aufgerieben werden. Sehen Sie das auch so?

Ja, genau. Und solange nicht mehr Frauen in den großen Machtpositionen sind, wird sich kaum etwas ändern können.

Werdenigg hat 40 Jahre gewartet, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Was denken Sie wäre passiert, hätte sie zu früh darüber gesprochen?

Sie hätten sie ausgespottet und nicht für relevant gehalten. Wir sprechen das auch sieben oder acht Mal in Stück aus: "40 Jahre danach." Und ich sage in meiner Rolle sogar einmal den Satz: "40 Jahre ist es doch gut gegangen, dass man sich an dieser Frau vergangenen hat. Was wollen Sie?"

Inwiefern stimmen Sie zu, wenn man sagt, dass Jelinek noch immer eine bestimmte Vorverurteilung anhaftet?

Ja, etwa, sie habe sich im Feministischen festgebissen. Sie sei aus "Die Klavierspielerin" (1983) nicht rausgekommen. Und das stimmt einfach nicht. Wenn man etwa an ihren Text "In den Alpen" denkt (eine Reaktion auf das Unglück von Kaprun, Anm.), sieht man eines: Sie zeigt Missstände auf, die nie passieren hätten dürfen und die nur deshalb passiert sind, weil man immer weggeschaut hat.

Spielt man an Österreichs Theatern genug Jelinek?

Am Landestheater spielen wir sie immer wieder, aber es könnte landesweit mehr sein.

Steht Sie in Konkurrenz zu den sogenannten Klassikern?

Ja, aber die Klassiker musst du spielen – wegen den heutigen Gymnasiasten und Mittelschülern. Die sollen wissen, wer Shakespeare und Goethe sind, was ihre Werke für die Gesellschaft bedeuten. Wenn wir das nicht spielen, findet es für sie nicht zur Genüge statt. In der Schule sind sie vom Digitalen nur so geprägt.

Studien zur Lebenslage junger Menschen zeigen, dass diese Generation viel Angst hat.

Und diese Angst könnte man ihnen so einfach nehmen, indem man ihnen Hoffnung macht, ihre Talente so stark fördert, dass sie vergessen, dass man vor etwas Angst haben muss.

Wie kann hier die direkte Auseinandersetzung in einem Zwiegespräch helfen, das ja auch das Theater im weitesten Sinne zwischen Ensemble und Publikum ist?

Das direkte Aufeinandertreffen könnte diese Angst wohl sehr gut lindern. Eines meiner liebsten Zitate von Goethe ist dieses: Was ist herrlicher als Gold? Das Licht. Und was erquicklicher als das Licht? Das Gespräch. Selbst in der Dunkelheit kann dir ein gutes Gespräch die Angst nehmen. Ich bin sehr für alle digitalen Errungenschaften, aber wir dürfen das Haptische, das direkte Gespräch nicht außer Acht lassen. Darum telefoniere ich so gerne. Am Telefon hörst du, wie es dem anderen geht. Die Stimme erzählt dir, ob du dich mit einer Fröhlichkeit nur tröstest oder ob du wirklich fröhlich bist. Und bei einem Telefonat kannst du gleich helfen und schnell reagieren, wenn du beim Gegenüber eine Idee witterst. In einem Mail kann ich das nicht leicht erkennen.

Schnee Weiß (Die Erfindung der alten Leier)“

Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat Nicola Werdeniggs Beschreibungen einer von Frauenverachtung, Elitismus und Leistungsdruck geprägten Welt (mehr li.) zum Anlass genommen, um ihr „Sportstück“ (1998)
fortzuschreiben.

Landestheater-Premiere am 26. Mai
In der Regie von Katrin Plötner stehen sieben Frauen, darunter Katharina Hofmann, Theresa Palfi und Angela Waidmann, auf der Bühne der Linzer Kammerspiele. Termine bis 4. 7.
www.landestheater-linz.at

Eva-Maria Aichner ist seit 1975 fix im Landestheater-Ensemble, ab 1973 war sie zwei Jahre Elevin. Das Studium der Innenarchitektur (Kunstuni) hatte sie bei einer Landestheater-Exkursion auf die Hinterbühne einer „Tosca“-Inszenierung geführt. Sie war begeistert. Die Schauspiel-Aufnahmeprüfung folgte nur, weil sie dachte, sie nie zu schaffen. Es kam anders. Aichner ist passionierte Sprech- und Stimmtrainerin.

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Autorin
Nora Bruckmüller
Redakteurin Kultur
Nora Bruckmüller
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2  Kommentare
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zlachers (7.939 Kommentare)
am 26.05.2023 16:49

Ich habe viele traumatisierte Menschen kennengelernt. Aber sexuelle Gewalt ist die Art von Gewalt, die den Menschen anscheinend "zersplittern" lässt. Wie eine Porzellantasse die zu Boden gefallen ist. Zig Splitter, die alle beginnen ein Eigenleben zu führen. Und die dann: Endloses-lebenslanges-Leid, dauernde Schmerzen: körperlich, seelisch und psychisch bei den Betroffenen verursachen…
Wie kann ein Mensch einen anderen das antun?

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vjeverica (4.297 Kommentare)
am 26.05.2023 08:13

Eine grandiose Schauspielerin, die mein Leben theatermäßig nun schon seit Jahrzehnten begleitet.

Kann mich noch gut erinnern, wie lange sie an Kinder- und Jugendrollen quasi festgemacht war, weil sie so klein und zart ist und so lange sooo jung ausschaute.

Sie und ihre KollegInnen haben mir viele schöne Stunden im Theater bereitet.

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