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Der butterlächelnde Bruder

Von Roswitha Fitzinger, 07. November 2020, 00:04 Uhr
Der butterlächelnde Bruder
Stephan Lohse Bild: Max Zerrahn/Suhrkamp Verlag

Stephan Lohse: Der Schauspieler und Autor aus Hamburg schickt in seinem zweiten Roman ein ungleiches Brüderpaar durch die dunkelsten Stunden ihrer eigenen und der deutschen Geschichte.

Paul ist Johanns Bruder. Mit zwölf Jahren hat er aufgehört zu sprechen. Er verspricht sich nichts vom Sprechen, sagt Johann stets, wenn er gefragt wird. Denn eigentlich rede Paul viel. Er kommuniziert über eine Zaubertafel, eine Art Kinderspielzeug, das die Brüder Wunderblock nennen. Außerdem schreibt er jede Kleinigkeit auf Zettel, die er stets mit sich herumträgt.

Wenn Paul lächelt, dann nennt es Johann sein Butterlächeln, weil es einen faul und träge macht, einen alles vergessen lässt, was man gerade sagen wollte. Vor 28 Jahren haben sich die beiden Brüder zum letzten Mal gesehen. Aber dann bekommt Johann einen Anruf. Paul hat 17 Hühnern den Kopf abgeschlagen – wegen Adolf Eichmann, wie er seinem Bruder verrät. Der Tatort des Hühnermords ist ein Dorf namens Altensalzkoth, jener Ort, in dem der einstige SS-Sturmbannführer nach Kriegsende zunächst untertauchte. Seinen Weg hat Paul minutiös verfolgt und aufgeschrieben – auf Zetteln. Der Standort seines Hauses, 52 Grad, 44 Minuten und 24 Sekunden nördlicher Breite, markiert schließlich auch den Startpunkt der Reise des ungleichen Brüderpaars.

Es ist eine Reise zu Orten des Horrors, den Gräueltaten der Nazis. Lohse gibt ihnen ein Gesicht – Opfern wie Tätern. Der Leser begegnet besagtem Otto Adolf Eichmann, für viele der Kriegsverbrecher Nr. 1, der sechs Millionen Menschen in den Tod schickte. Man macht Bekanntschaft mit Sieg Maandag, Sohn eines niederländischen Diamantenjuden, der das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebte, und bekommt schonungslos und detailliert geschildert, wie das Polizeibataillon 322 innerhalb eines Jahres 11.000 Menschen erschoss, unter ihnen 9000 Juden.

Stationen und Verbrechen unvorstellbaren Grauens, die Lohse einbettet in die Geschichte der beiden Brüder und ihrer eigenen Tragödie: der christlich-fanatische und gewalttätige Vater, der nur bei Johann zuschlug, die Mutter, die sich wortlos davonmachte. Dennoch verbindet die beiden eine tiefe Liebe und Nähe, der auch die lange Trennung nichts anhaben konnte und die ab der ersten Seite spürbar ist. Eine Verbundenheit, die keine großen Worte braucht, sondern die man zwischen den Zeilen liest. Überhaupt ist Lohses Sprache eine, die die Schwere des Themas abzufedern vermag, ohne dabei an Kraft zu verlieren. Sie und die außergewöhnlichen Charaktere bringen einen dazu, den zahlreichen Perspektivenwechseln bereitwillig zu folgen. Nie hat sich ein Wechselbad der Gefühle besser gelesen!

Stephan Lohse: "Johanns Bruder", Suhrkamp Verlag, 343 Seiten, 22,70 Euro

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Autor
Roswitha Fitzinger
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