Sturz eines perversen Kirchen-Systems
Der Film "Spotlight" zeigt beeindruckend, wie Journalisten sexuellen Missbrauch enthüllten
Im Kino gibt es zwei Klischees, mit denen Journalisten charakterisiert werden. Das eine zeigt sie als korrumpierte Blutsauger, das andere feiert sie als moralisch überlegene Wesen in einer bösen Welt.
Thomas McCarthy, Regisseur des sechsfach für den Oscar nominierten Films "Spotlight", hat nicht den Fehler begangen, sich von ihrer inhaltlichen Maßlosigkeit verführen zu lassen.
Das allein ist schon sehr gut. Das Überragende an seinem Werk über einen extremen Missbrauchsskandal im Bostoner Erzbistum ist aber, wie facettenreich und stimmig er davon erzählt, was sich jenseits aller künstlichen Extreme in der Medienwelt abspielt.
Im Zentrum steht das Team "Spotlight", das für die US-Zeitung "The Boston Globe" heikle Aufdeckungsrecherchen erledigt. Und aufgrund eines Berichts über einen vergewaltigenden Priester beginnt, ein komplexes System innerhalb der Kirche und der Stadt zu enthüllen, das Pädophile schützt (mehr dazu in der Box).
Diese "Kultur der Geheimhaltung" löst Abscheu aus. Das tut es natürlich auch bei den "Spotlight"-Journalisten, doch sie reagieren auf ihre Art darauf. Walter "Robby" Robinson (Michael Keaton), Mike Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und Steve Kurkjian (Gene Amoroso) starten den Autopiloten, hinein in ein geschäftiges Graben nach Beute. Das mag befremdlich nüchtern erscheinen. Wer aber sieht, wie sie – auch Liev Schreiber als Chefredakteur Marty Baron und John Slattery ("Mad Men") als leitender Redakteur Ben Bradlee Jr. – agieren, spürt Spannendes. Dass sie fest an Strukturen kratzen, die bloß verwerflich sind, an widerlichen, in Stein gemeißelten Seilschaften, Schmerz und Unrecht freilegen werden.
Fast unmerklich steigt das Maß an Emotionalität, während scheinbar unspektakuläre Szenen vorbeiziehen. Sie finden in Büros statt, Archiven, Lokalen. Es wird notiert, telefoniert, vor allem aber diskutiert. In einer fantastisch nuancierten Ensembleleistung werden Gratwanderungen bestritten, in denen die stärksten Auftritte und Überlegungen immer den Überlebenden gelten. Antworten auf schwierige Fragen werden gesucht: Inwiefern nimmt man in Kauf, dass das Privatleben der Opfer zum "Kollateralschaden" wird? Kontakte verheizt werden? Soll man seinen Kindern sagen, dass ein pädophiler Priester nebenan lebt, und damit den ganzen Fall gefährden? Und, vielleicht die wichtigste: Wieso hat man diesen Skandal nicht früher aufgedeckt? Erste Infos wurden fast zehn Jahre vor der Aufklärung an die Redaktion geschickt. Sie sind versandet.
Spotlight: USA 2015, 128 min, T. McCarthy, ab heute
Ein großartiger Film!
Wenn doch das Thema nicht so tragisch wäre...
Die (tw. fehlende) Aufarbeitung der Missbrauchsfälle durch die kath. Kirche wäre auch in Ö und Europa ein gutes Thema für einen erfolgreichen Film!