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Der Blinde, die Berge und die Bilder in seinem Kopf

Von Roswitha Fitzinger, 04. April 2015, 06:04 Uhr
Der Blinde, die Berge und die Bilder in seinem Kopf
Das steile Gelände komme seiner Wahrnehmung entgegen, weil er mehr Zeit hätte zu analysieren, wo der nächste Schritt hingehöre, sagt Andy Holzer. Bild: Thimfilm

Andy Holzer ist Extrembergsteiger und von Geburt an blind. Am Freitag feiert die Dokumentation über sein Leben "Unter Blinden" in Oberösterreich Premiere.

Herr Holzer, warum sollte man sich den Film anschauen?

Holzer: Weil im Fernsehen eh nichts Gescheites läuft (lacht). Nein, ich glaube, es ist einfach ein Fensterl, die Betonung liegt auf Fensterl, also, ein kleines Fenster in die Welt, die nur vordergründig die Welt der Blinden ist. Dieser Film ist auch eine Hommage an meine Eltern, ein Lösungsvorschlag für Integration und Barrierefreiheit. Eltern sollten verstehen, dass Kinder enorm viel Potenzial haben. Meine haben das verstanden. Das Wichtigste, das sie gemacht haben, war, den Spezialisten in Sachen Blindheit zu fragen, und das war ich selber.

Der kleine Andy wollte, dass keiner von seiner Blindheit erfährt. Sie galten 16 Jahre als schlecht sehend, haben 16 Jahre Ihre Blindheit überspielt. Das stelle ich mir extrem anstrengend vor?

Das ist brutal anstrengend. Als Kind bin ich nie in die Verlegenheit gekommen, ein gemütliches Leben zu leben. Aber das war für mich Training. Damals als Kind hat mir auch der Erfolg so viel zurückgegeben. Der Erfolg war, dass ich gemeinsam mit den anderen Kindern alles gemacht habe, überall mit dabei war. Heute als Erwachsener, als blinder Bergsteiger in den Bergen merke ich die Anstrengung an meinem Stoffwechsel. Ich muss mehr trinken und essen als andere, weil ich viel mehr Energie brauche. Wenn ich von einer zehnstündigen Skitour nach Hause komme, hat sich in der äußersten Schale des Tourenskischuhs ein Viertel Liter Wasser gesammelt. Ich schwitze normalerweise nicht, aber wenn ich auf extremstem Niveau unterwegs bin, rinnt mir der Schweiß über den Rücken bis in die Schuhe.

Sie haben Bilder und Farben im Kopf und behaupten, dasselbe zu sehen wie Sehende auch. Aber wie geht das?

Ich bin der User einer Software, die ich von meinen Eltern auf meine Festplatte gespielt bekommen habe. Sie haben mich als sehendes Kind erzogen, der reife Apfel war rot, der Himmel blau. Auch bei Sehenden existiert die Farbe erst, so bald unser Gehirn das Bild ins Bewusstsein holt. Das Bewusstsein, welches Bild unser geistiges Auge projiziert, ist einfach nur eine biochemische Funktion, die ich auch besitze. Dementsprechend färben mein Gehirn, mein Sehzentrum, meine Synapsen etwa den Himmel blau ein.

Der Film, dann Ihre Vorträge, bei denen Sie auch mit Bildern arbeiten. Warum ist das Bild als Medium für Sie so wichtig?

Ich habe schon als kleiner Bub gemerkt, dass die sehende Welt überfordert ist mit meiner Welt. Ich hab’ mir überlegt, was kann ich machen, damit die Kinder mit mir spielen. Ich habe also die Bilderwelt simuliert. Heute ist das genauso. Würde ich Vorträge aus meiner Perspektive halten, müssten diese im Dunklen stattfinden. Abgesehen davon, dass es nicht stimmen würde, weil ich ja Bilder in meinem Kopf habe, wären alle überfordert. Also habe ich es aufgegeben, die Menschen in meine Welt zu bringen. Ich muss sie dort abholen, wo sie sind: im Licht. Der Film ist das Werkzeug.

Sie verdienen Ihr Geld als Vortragender. Was können Sehende von Ihnen lernen?

Ich bin im höchsten Management unterwegs, werde von Indien bis Dubai gebucht. Dort ist meine Blindheit und wie ich auf die Berge komme nicht von Interesse. Wichtig ist, wie man mit einer schlechten Startnummer das Rennen gewinnst oder den Kurs halten kann. Ich vermittle keine Rezepte oder Regeln, ich vermittle, was sie schon längst vergessen haben: emotionale Intelligenz. Der Mensch ist keine Maschine, sondern ein zutiefst emotionales Wesen. Wichtig ist, dass man Werte wie Demut, Dankbarkeit lebt.

Sie klettern auf Berge, reparieren Ihr Dach, fahren Ski und Rad, fotografieren. Wann sind Sie zuletzt an Ihre Grenzen gestoßen?

Ich stoße jeden Tag an meine Grenzen, immer dann, wenn ich es nicht vermute. So wie kürzlich bei der Filmpremiere in Innsbruck: ein großes Foyer, eine enorme Geräuschkulisse, 100 Leute, alle wollen ein Foto. Als die Fotos gemacht sind, laufen alle weg und der wahnsinnig gute Bergsteiger steht plötzlich allein da und weiß nicht wo er hingehört. Aufgrund der Lautstärke kann er nicht mehr orten, wo seine Freunde stehen.

Was, wenn Sie plötzlich sehen könnten – würde dann wirklich eine Welt zusammenbrechen, wie Ihr Onkel im Film behauptet?

Tatsache ist, wenn ich plötzlich sehen würde, hätte ich sicher große Angleichungsprobleme, wie die Welt tatsächlich und wie sie für mich seit 48 Jahren ist. Ich hätte Monate daran zu arbeiten, aber ich bin ein neugieriger Mensch und sehen zu können, täte mich sicher jucken. Die Augen kann ich ja immer noch zumachen (lacht).

Am Montag beginnt Ihr zweiter Versuch den Mount Everest zu besteigen. Gibt es auch Menschen, die sagen: Was will denn der da oben, der soll lieber daheim bleiben?

Ja, die gibt es, und aus deren Sicht ist das absolut verständlich. Ich würde auch so reagieren, wenn ich mich nicht damit beschäftigt hätte. Gott sei Dank hab’ ich ein Talent mitbekommen, das Talent, medial gut zu funktionieren. Ich kann gut reden, die Menschen hören mir zu und durch meine Vorträge und Bücher werden die Kritiker weniger. Ich höre auch immer wieder: "Jetzt lässt er sich mit Sauerstoff den Everest aufizahn’. Das allerdings ist für mich zum Lachen. Von jenen, die den Everest bezwungen haben, haben das fünf Prozent ohne Sauerstoff geschafft. Ich brauche keine Messlatte. Ich weiß, dass das was ich leiste, in meiner Welt genug ist.

Und nach dem Everest? Gibt es schon neue Pläne, neue Ziele?

Ich freu mich, egal ob mit Gipfel oder ohne, wenn ich die Türschnalle meines Hauses drücken und den Luxus haben darf, kein Ziel zu haben. Wieder so zu denken wie der Junge mit sieben Jahren. Der hatte auch keinen Pan für die großen Ferien, weil der Zeitrahmen nicht fassbar war. Diesen kleinen Jungen will ich wieder spüren. Kurz: Der Plan ist, keinen Plan zu haben.

Andy Holzer

Er fährt Rad, geht Langlaufen, fotografiert und steigt auf die höchsten Berge der Welt. Dass er aufgrund einer Netzhauterkrankung seit seiner Geburt nichts sieht, hat Andy Holzer nie daran gehindert, all das zu tun. 1966 in Lienz geboren und in einem kleinen Osttiroler Dorf aufgewachsen, verbietet er seinen Eltern als Kind, den Menschen in seiner Umgebung von seinem Handicap zu erzählen. Er will so sein wie alle Kinder, die gleichen Sachen machen. Von Kindesbeinen ist er in den Bergen unterwegs. Auch das hat er seinen Eltern zu verdanken, die ihm einen Bergführer organisieren. Erst mit 16 Jahren kann er seine Blindheit nicht länger verheimlichen.
Der Osttiroler ist gelernter Heilmasseur, übt diesen Beruf auch 20 Jahre lang aus, bevor er sich als Bergsteiger und Vortragender selbstständig macht. Immer an seiner Seite: seine Frau Sabine, mit der er seit 25 Jahren verheiratet ist.

OÖ-Premiere: Der Film „Unter Blinden – das extreme Leben des Andy Holzer“ feiert am Freitag, 10. April, um 20 Uhr im Linzer Moviemento Premiere.

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3  Kommentare
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Ruskija (543 Kommentare)
am 06.04.2015 08:14

Bin gerade von moscow nach Lienz gekommen und ein Bekanter Tischler hat gesagt das wir mit Andy Klettern gehen.Erst als Andy in die Wand einstieg wurde mir gesagt das er Blind ist.Sagenhaft was der TYP kann. Auch dann beim Hüttenwirt als er über Sein Leben erzählt hat und mit welcher Lebensfreude und wie Lustig es dann wurde ist nicht zu Beschreiben.
Also wirklich sehen Sie sich Seine Vorträge an.Liebe Grüße Andy

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pepone (60.622 Kommentare)
am 04.04.2015 18:18

unglaublich was er alles kann ... CHAPEAU und RESPEKT ! zwinkern

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capsaicin (3.878 Kommentare)
am 04.04.2015 08:20

immer wieder gibts es menschen, die meinen, anderen sagen zu müssen, was gut für sie sei und wie das leben im allgemeinen/speziellen zu funktionieren habe.

seinen ganz INDIVIDUELLEN weg zu gehen, sehen/hören andere halt nicht so gerne.

conclusio: erlaubt ist --> was spass macht...

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