Pierre Cardin wäre heute 100 geworden
Überraschung in Venedig: Zum Jubiläum gibt es eine große Modenschau in "Casanovas Villa".
Der Palazzo Bragadin liegt direkt am Kanal Rio de San Lio mitten in Venedig. Den Prachtbau, in dem einst auch der venezianische Schriftsteller und Abenteurer Giacomo Casanova lebte, nannte auch der französische Modeschöpfer Pierre Cardin sein Zuhause. Dort hielt er sich gerne auf – wenn er nicht gerade in Paris oder an der Côte d’Azur weilte. Heute, am 2. Juli, wäre der vor eineinhalb Jahren gestorbene Designer und Geschäftsmann 100 Jahre geworden. Ein Jubiläum, das in Venedig mit einem großen Defilee gefeiert wird.
Die Schau, für die der Palast mit der roten Fassade in einen riesigen Laufsteg verwandelt wird, verspricht Überraschungen. Man werde neben neuen Modellen auch Original-Kreationen aus allen Epochen zeigen, angefangen von den 1950er-Jahren bis 2020, sagte Rodrigo Basilicati-Cardin, der Großneffe des Designers.
Cardin wird nachhaltig
Basilicati-Cardin hat nicht nur das Imperium von seinem Großonkel übernommen, sondern auch dessen Visionen und Geschäftssinn. In Venedig wolle er mit der neuen Cardin-Kollektion nachhaltige Mode präsentieren, erzählt er. Es gehe darum, wasser- und energiesparend zu produzieren. Interessant sei auch der Einfluss der neuen Materialien auf Herstellungstechniken und Design. Dafür arbeite er mit Wissenschaftlern zusammen.
Aus den Worten von Rodrigo Basilicati-Cardin hört man den Fachmann heraus. Der 51-Jährige ist Ingenieur und Grafikdesigner. Ende der 1990er-Jahre begann er mit seinem Großonkel zusammenzuarbeiten und war an der Kreation von Accessoires beteiligt. Im Jahr 2018 ernannte Pierre Cardin ihn zum Generalmanager.
Für Cardin war heute schon morgen und gestern bereits vorgestern. Neben Paco Rabanne und André Courrèges galt er als Erfinder der futuristischen Mode. Sie wollten neue Formen schaffen und neue Materialien verwenden.
So vereinte Cardin etwa Materialien wie Plastik und Vinyl mit Jersey und schuf Modelle, die von großer Experimentierfreudigkeit zeugten: angefangen vom Bubble-Kleid mit aufgebauschtem Rock bis hin zur Weltraumkleidung und Unisex-Mode. Noch im hohen Alter entwarf er Anzüge, die sich aufblasen ließen.
Mit seiner futuristischen Mode hat der Sohn eines französischen Weinhändlers manche Ästhetiker vor den Kopf gestoßen. Er finde seine Ideen einfach überall, erklärte er seine grenzenlose Kreativität. Oder wie er einst sagte: "Ein Tischbein, eine Wurzel, ein Baum, ein Blatt, alles Material, das mir Ideen gibt. Ich kann eine Artischocke sehen und dann ein Artischockenkleid machen."
Cardin war den meisten seiner Kollegen weit voraus. Als erster Couturier brachte er eine Prêt-à-porter-Kollektion auf den Markt. Als Erster seiner Branche gab er seinen Namen für unzählige Produkte wie Armbanduhren, Essbesteck, Mineralwasser, Plattenspieler, Bettwäsche und Autos her. Als Erster entwarf er Linien für Männer.
In mehr als 70 Jahren schuf er eine Marke und ein Mode-Imperium aus Hunderten Fabriken und Lizenzen weltweit.
Auch sonst verwehrte er sich nichts: Er kaufte ein Theater in der Nähe des Pariser Präsidentenpalasts Elysée. Dann interessierte er sich für das Markenzeichen "Maxim’s", in dessen Namen er Delikatessen wie Champagner und Gänseleber kommerzialisierte. Im Jahr 1981 kaufte er schließlich das legendäre, gleichnamige Jugendstilrestaurant im Herzen von Paris, das sein Großneffe derzeit renoviert. Zwischen 1979 und 1984 ließ er sich das Ferienhaus Palais Bulles an der Côte d’Azur erbauen, eine der teuersten Villen Frankreichs, die aus über 20 Kugeln besteht – ohne Ecken und Kanten.
Er schuf ein Imperium
Zu dem Imperium, an dessen Spitze Rodrigo Basilicati-Cardin steht, gehört auch das Schloss des freidenkenden Grafen und Schriftstellers Marquis de Sade im südfranzösischen Lacoste, wo Pierre Cardin vor über 20 Jahren ein Theater- und Musikfestival ins Leben rief. Dieses Jahr findet es von Ende Juli bis Mitte August statt – mit Künstlern wie Isabelle Adjani und Gérard Depardieu. Ganz im Sinne von Pierre Cardin.