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Stadt, Land, Flucht

03. Oktober 2015, 00:04 Uhr
Stadt Land flucht
Im Garten im Haus Im Dörfl 3, in der Stadt – hier empfing Margit Greinöcker ihren „Kontrahenten“ W. Eduard Sageder Bild: VOLKER WEIHBOLD

Er machte Karriere in Wien, bevor es ihn in ein Forsthaus im Nationalpark zog. Sie suchte in Linz, was sie auf dem Land nicht gefunden hatte. Bernhard Lichtenberger bat Margit Greinöcker und W. Eduard Sageder zum Streitgespräch über ihre Ortswechsel.

Wo bringt man zwei Menschen zusammen, um sich darüber auszutauschen, warum sie von der Stadt aufs Land geflohen sind und umgekehrt? Wir haben uns bei der Künstlerin Margit Greinöcker in Linz getroffen, an deren Adresse auch der pensionierte Manager und umtriebige Theatergründer W. Eduard Sageder Gefallen fand: Im Dörfl 3.

 

Hoamatland: Herr Sageder, Sie sind in Linz aufgewachsen, waren acht Jahre in Wien Marketing- und Vertriebschef einer Versicherung für Österreich. Was ist in Ihrem Stadtleben passiert, dass Sie in die Einschicht wollten, in ein abgelegenes Forsthaus im Nationalpark Kalkalpen?

W. Eduard Sageder: Das ist eine lebenslange Passion. Als ich noch in Linz lebte, hatte ich im Mühlviertel, in Neußerling, einen kleinen, strohgedeckten, alten Bauernhof und Pferde. In Wien wohnte ich im 1. Bezirk, fuhr mit dem Auto von Tiefgarage zu Tiefgarage – und als ich mit meinem Top-Job aufgehört habe, brauchte ich ein Ausgedinge. Das musste auf dem Land sein, wo ich mit Hund, Katz, Pferd leben kann. Ich liebe die Einsamkeit.

Frau Greinöcker, Sie sind in Kleinstrohheim bei Grieskirchen aufgewachsen, wo aktuell 125 Menschen wohnen. Was hat Sie in die Stadt gelockt?

Margit Greinöcker: Ich habe in Klein- strohheim eine sehr glückliche Kindheit verbracht. Wir taten, was wir wollten. Es kam aber eine Zeit, in der mir irrsinnig langweilig war. Ich habe auf dem Land eine Lehre gemacht, technische Zeichnerin für Maschinenbau. Aber ich dachte mir, das kann es nicht gewesen sein, da muss es etwas Besseres geben. Und so bin ich nach der Lehre mit einer Berufsschulkollegin für ein halbes Jahr nach Mexiko, wo ich beschlossen habe, dass ich Architektur studieren werde. Das habe ich dann in Linz gemacht – und bin in die Kunst geschlittert.

"Die Stadt hat mehr kulturelle Vielfalt und Buntheit in mein Leben gebracht. Man trifft auf viele Suchende." - Margit Greinöcker, Künstlerin     Bild: (Volker Weihbold)

Warum war Ihnen langweilig?

Greinöcker: Es war immer dasselbe – dort, wo ich gewohnt habe, und in der Arbeit mit firmeneigenen Normen. Ich wollte einfach mehr erleben. Und die Unzufriedenheit der anderen schwappte irgendwann dann auch auf mich über. Es gab keine Schulen für den kreativen Bereich und ich wollte auch beruflich weiterkommen und mich entfalten. Das gab es auf dem Land nicht – auch keine Verbündeten, bei denen ich mich hätte anhängen können. Ich wollte weg.

Wie ging es Ihnen als Zuagroasta in Molln?

Sageder: Zuerst hieß es: Na, das haben wir gebraucht, dass ein Direktor aus Wien kommt und das schönste und traditionellste Haus von Molln pachtet. In den dreieinhalb Monaten, die ich mit einem Hilfsarbeiter, mit dem ich das Jaidhaus umgebaut und erneuert habe, beim Wirt in der Breitenau wohnte, habe ich einen Grundstein gelegt für die Verbindung zu den Einheimischen. In Wien war es auch schön, die Anonymität der Großstadt zu genießen – aber nach 14 Jahren in Molln kenne ich fast jeden und jeder kennt mich. Man grüßt sich auf der Straße, bindet sich ein und diskutiert, und zwar viel mehr als in der Stadt, wo man nicht so eine Ansprache findet.

Greinöcker: In der Stadt sind der Kern der Bekanntschaften Gleichgesinnte. Die finde ich hier eher als auf dem Land, wo es an den Stammtischen eine andere Gesprächsbasis gibt.

Meinen Sie auch eine andere Gesprächskultur, ein anderes Niveau?

Greinöcker: Früher dachte ich: Nein, mit denen kann ich nicht reden. Jetzt ist das ortsunabhängig.

Sageder: Da gibt es keinen Unterschied zwischen Stadt und Land. Ein niveauloses Gespräch ist überall niveaulos...

Greinöcker: ... und Herkunft und Beruf sind dabei total egal. Das hängt vom Charakter ab.

Sageder: In Molln gehört es dazu, dass sich alle duzen. Das muss man nicht begrüßen, aber es hat eine kommunikationsfördernde Tangente. Wenn du offen bist, bist du sofort im Gespräch.

Verkehr, "Jeder-kennt-jeden", Ende der Dorfstruktur? Margit Greinöcker und W. Eduard Sageder nähern sich diesen Theman an. Bild: (Volker Weihbold)

War die Stadt so etwas wie ein Erweckungserlebnis?

Greinöcker: Es hat mehr kulturelle Vielfalt und Buntheit in mein Leben gebracht. Man trifft auf viele Suchende. Denn meist zieht man ja in die Stadt, weil man etwas sucht. Man lernt so viel voneinander, hat unterschiedliche kulturelle Hintergründe. Das bereichert.

Sageder: Mindestens ein Drittel der Einwohner von Molln sind Zugereiste, darunter unheimlich interessante Leute. Der eine arbeitet bei MAN in Steyr, der andere ist Professor an der JKU. Die wohnen aber in Molln, weil die Lebensqualität eine sehr hohe ist. Hier kann man auf sehr hohem Niveau diskutieren.

Wie definieren Sie Lebensqualität?

Greinöcker: In Ried wird gerade die Spange 3 gebaut. Die führt direkt durch den Grund einer jungen Familie, die einen Biobauernhof aufgebaut hat. Wenn so viele Schnellstraßen und Umfahrungen gebaut werden, kann man wohl kaum von besserer Lebensqualität auf dem Land sprechen. Die einen haben die Autos weg, die anderen kriegen sie dazu. Man muss sich die Land- und Stadtentwicklung anschauen. Wenn das Bauen intelligent abseits des Geschoße-Stapelns funktioniert, hat auch die Stadt extreme Qualitäten. Für mich bedeutet es, die Tür aufzumachen, ins Theater, ins Kino oder Fortgehen zu können, ohne weit herumfahren zu müssen. Linz hat auch viele Naherholungsgebiete.

Die Stadtflucht ergreifen meist die, die es sich leisten können. Die Landflucht wird durch fehlende Möglichkeiten ausgelöst.

Greinöcker: Ich hörte einmal das Zitat eines Politikers, der über Genossenschaftswohnungen in Linz sagte: Die Wohnung muss eh nicht so schön sein, Hauptsache, sie haben ein Dach über dem Kopf – und wenn sie fleißig arbeiten, dann können sie eh auf dem Land ein Häusl bauen.

Sageder: Ob’s einem gefällt oder nicht: Er beschreibt die Realität. Ich weiß aber nicht, ob diese Mode des Zweitwohnsitzes noch so intensiv wie vor 20 Jahren ist. Manche gehen schon den anderen Weg, ziehen aufs Land, nehmen ein altes Sacherl, bauen sich etwas, pendeln in die Stadt zur Arbeit, wohnen aber im Grünen. Das ist etwas anderes als die Wochenendhausproblematik, die eine größere Pest ist.

Greinöcker: Wenn die Leute in der Stadt arbeiten und am Land wohnen, gehört das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut. Es kann nicht sein, dass alle mit dem Auto fahren... 

...auf Umfahrungen, die zwar vom Verkehr verschonen, aber die Ortszentren aushöhlen.

Ausgschnapst Bild: Volker Weihbold

Greinöcker: Und jede Gemeinde hat dann ihre Billigdiskonter-Wucherungen an diesen Straßen, bei denen man schnell ist, einkauft und wieder abrauscht.

Sageder: Aber was ist die Alternative?

Greinöcker: Im kleinen Geschäft oder direkt beim Bauern einkaufen.

Sageder: Aber beim Bauern kriegst du nur ein beschränktes Angebot.

Greinöcker: In Linz gibt es etwa Kaufgemeinschaften, die geben am Dienstag ihre Listen ab und am Freitag kriegen sie das Bestellte. Ich brauche auch nicht so ein großes Angebot, um zufrieden zu sein.

Sageder: Ich verstehe Ihre landschafts- und städteplanerischen Argumente durchaus, aber das ist doch aus der städtischen Sicht des Bewahrens oder Steigerns der Lebensqualität gesehen. Es gibt einen Bus am Tag, der nach Molln fährt. Es gibt keine Öffis, die nach Hinterstoder oder sonst wo hinkommen. Wenn die Leute einkaufen wollen, müssen sie mit dem Auto fahren.

Greinöcker: Oder zum Kramer gehen.

Sageder: In Molln gibt’s auch noch einen – früher waren es vier. Dafür haben wir einen riesen Supermarkt. Das ist sehr bedauerlich. Und natürlich haben wir das Problem, dass der Ortskern verödet. Außer einer Trafik, einem Friseur und einem Wirtshaus gibt es nichts mehr. Aber ein kleiner Greißler ist halt in einer kleinen Gemeinde heute kaum mehr überlebensfähig.

"In Molln kenne ich fast jeden und jeder kennt mich. Man grüsst sich auf der Strasse, bindet sich ein und diskutiert." - W. Eduard Sageder, Pensionist, Theatermacher Bild: (Volker Weihbold)

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Welche Schattenseiten sehen Sie dort, wo Sie jetzt leben?

Greinöcker: Die Verkehrsplanung. Wenn in Linz weiter Straßen ausgebaut werden, wird der Verkehr nicht weniger, sondern mehr.

Sageder: Das von mir zuvor positiv hervorgekehrte menschliche Miteinander auf dem Land hat auch die Schattenseite, dass das Jeder-kennt-jeden sehr schnell zu Vorurteilen und Verurteilungen führen kann. Die mangelnde Privatheit hat ihre guten und schlechten Seiten.

Wenn Sie an Kleinstrohheim zurückdenken – woran erinnern Sie sich gerne?

Greinöcker: Dass ich auf dem Grund unseres Bauernhofes herumrennen konnte und keiner da war, der beurteilte, wie man herumrannte. Das Land war eine gesunde Basis, man wächst sehr bodenständig auf.

Sageder: Ich habe die Schulzeit in der Bundesgewerbeschule in der Goethestraße sehr genossen, das war damals im Vergleich zu den Gymnasien der Inbegriff an Freiheit und Offenheit. Überall sonst haben sie noch mit dem Staberl unterrichtet, uns haben sie als erwachsene Menschen behandelt.

Worauf können Sie aus Ihrer Stadt-Zeit getrost verzichten?

Sageder: Auf die vielen Menschen.

Was geht Ihnen aus der Land-Zeit nicht ab?

Greinöcker: Dass nichts los war.

 

Margit Greinöcker und Walter Eduard Sageder diskutierten mit Bernhard Lichtenberger.  Bild: (Volker Weihbold)

Zu den Personen

Margit Greinöcker: Die Künstlerin (41) ist in Kleinstrohheim aufgewachsen. Sie lebt in Linz und arbeitet an der Schnittstelle von Architektur und Kunst. 2013 erhielt sie den Gabriele-Heidecker-Frauenkunstpreis.

W. Eduard Sageder: Der 70-jährige gebürtige Linzer wirkte in Toppositionen in Wien. Vor 14 Jahren zog er in ein Forsthaus in der Breitenau. Er ist Begründer und Obmann der Theatergruppe frei-wild-molln, die 2014 den Landeskulturpreis erhielt.

 

Zahlen zur Stadt

10.000 Einwohner sind nötig, damit die Statistik von einer Stadt spricht. Das trifft in Oberösterreich auf 13 Gemeinden zu. Dazu kommen 19 Gemeinden mit Stadtrang, aber weniger Bewohnern.

2559 Einwohner leben im Schnitt in einer oberösterreichischen Gemeinde, wenn man die Statutarstädte Linz, Wels, Steyr nicht einbezieht. In 92 der 442 Gemeinden leben weniger als 1000 Menschen.

Klein: Peuerbach ist mit 2174 Menschen die nach Einwohnern kleinste Stadt ob der Enns.

 

Zahlen übers Land

2200 Hektar beträgt die Fläche, um die sich das Grünland in Oberösterreich in den vergangenen fünf Jahren
verringert hat. Das entspricht fast 3100 Fußballfeldern. 554.612 Hektar des Grünlandes werden landwirtschaftlich genutzt, 498.000 Hektar sind Waldfläche.

1545 Hektar betrug von 2010 bis 2015 der Zuwachs der als Bauland gewidmeten Flächen. Insgesamt gibt es in Oberösterreich derzeit 59.355 Hektar Bauland.

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