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Keine Angst!

Von Manfred Wolf, 20. Jänner 2018, 00:04 Uhr
Keine Angst!
Bild: GEPA pictures/ Wolfgang Grebien

Hahnenkammwochenende. Respekt oder doch Angst? Eine Frage, auf die Sportler und Experten Antworten wissen. Also stürzen wir uns direkt hinein ins Abenteuer

Die Streif ist die gefährlichste Abfahrt der Welt, der Superlativ im alpinen Weltcup. Sie schreibt die schönsten Geschichten – und die schockierendsten. Wie jene von Hans Grugger, der vor sieben Jahren beim Training in der Mausefalle schwer gestürzt ist.

Auch wenn es schlussendlich gut ausgegangen ist, so dauerte es doch Jahre, bis Grugger sich von den Spätfolgen erholt hatte. Multiple Frakturen, Blutung zwischen Hirnhaut und Gehirn, schwere Bewegungsstörungen vorwiegend im rechten Bein, ein schweres Trauma sowie Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen waren die direkten Auswirkungen. Ein neuerliches Comeback, nachdem er sich zuvor schon viermal die Bänder gerissen hatte, scheiterte schließlich.

Ein mahnendes Beispiel? Mitnichten. Doch warum nicht? Warum "schmeißen" sich Jahr für Jahr Sportler die Mausefalle hinunter, setzen sich der Gefahr augenscheinlich bar jeglicher Angst aus?

Nun, eine Antwort liegt in der Motivationsforschung: Der deutsche Psychologe Falko Rheinberg unterscheidet zwischen den kompetenzabhängigen und den zufallsabhängigen Risiken. Sprich: Extremsportler, also auch Abfahrer, überlassen nichts dem Zufall. Sie kennen ihre Fähigkeiten und wissen, wie weit sie gehen können. "Für Außenstehende wirkt es so, als wären sie größenwahnsinnig", sagt die Sportpsychologin Marie Ottilie Frenkel, die seit 2010 am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Heidelberg forscht. "Der Sportler selbst hat diesen Eindruck nicht. Er hat das Gefühl der absoluten Kontrolle." Ein Gedankenbild, das als Schablone für Hans Grugger dienen könnte ...

Wie sehr waren Sie von sich überzeugt?

Grugger: Ich musste das Gefühl haben, dass ich das, was ich mache, im Griff habe. Und dieses Gefühl hatte ich stets. Nur die Realität war manchmal eine andere. (lacht)

Wenn Sie sich auf der Streif ins Starthaus begeben haben, gab es da etwas wie Angst?

Angst nicht, aber ich hatte immer Respekt. Wenn wir am Beginn der Saison auf die schnellen Skier umgestiegen sind, habe ich immer einen Tag länger als die anderen gebraucht, bis ich mich wieder wohlgefühlt habe. Aber dadurch habe ich mich sicher gefühlt. Dann war ich bereit, das Risiko einzugehen.

Was auch beinhaltete, wie in Ihrem Fall, schwer zu stürzen.

Es war mir immer bewusst, dass man mit diesem Sport ein Risiko eingeht, aber für mich endete das Risiko-Denken damit, dass man sich die Füße brechen oder die Bänder reißen kann. Das andere Risiko, die Verletzung, die mir passiert ist, das habe ich immer verdrängt.

Wären Sie sich dessen bewusst gewesen, hätten Sie diesen Sport überhaupt ausüben können?

Mittlerweile ist das für mich undenkbar. Ich war ein paar Mal in Kitzbühel zuschauen. Heute denke ich mir, das sind lauter Verrückte, extrem wilde Hunde. Im Nachhinein habe ich während meiner Karriere in einem anderen Modus gelebt. Ich habe schon mitbekommen, wenn sich jemand ein Band gerissen hat, aber das empfindet man nicht als so schlimm. Natürlich sind es schlimme Verletzungen, aber ich habe das für mich verharmlost, es als Betriebsunfall gesehen. Die schweren Sachen habe ich nie an mich herangelassen.

***

"Sensation-Seeker"

Stichwort Risiko. In der Forschung gibt es den Ausdruck der High- und Low-Sensation-Seeker. Also jener Menschen, die auf der Suche nach Herausforderungen wie der Streif sind, und jenen, die sie meiden. In einer Stressstudie zeigt sich, schildert Marie Ottilie Frenkel, dass bei Letzteren, wenn sie mit einer Stresssituation konfrontiert sind, der Cortisol-Spiegel eklatant steigt, während bei Ersteren kaum eine Veränderung messbar ist.

Demnach empfinden "High-Sensation-Seeker" einen Zustand des Wohlempfindens, sie reagieren unter Stress höchst effektiv, während das Pendant mit einer Reizüberflutung zu kämpfen hat, sich bei ihnen Angst ausbreitet und sie aus der Situation heraus wollen. "Diese Persönlichkeitsmerkmale sind nicht leicht veränderbar. Zwar kann mit Training jemand dazu gebracht werden, Dinge zu machen, die er sonst nicht machen würde, dennoch fühlt sich ein ängstlicherer Mensch ab einem gewissen Punkt unwohl."

Extremsportler bringen also neben dem von Natur aus gegebenen Talent noch völlig andere Voraussetzungen mit.

Und doch gibt es sie, die Angst im Sport. Nicht zwingend vor der Situation, sondern vor den Konsequenzen, die es zu befürchten gibt. Als Bewältigungsstrategie vor dieser Emotion hilft zum einen das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit. Zum anderen, sagt Frenkel, hilft es, sich mit der Angst im Vorhinein auseinanderzusetzen. "Dadurch entsteht das, was die Sportler Respekt nennen."

"Selbsterfüllende Prophezeiung"

Wer mit Angst startet, kann seine Leistung nicht abrufen und kommt in einen "Vermeidermodus", wie es der Salzburger Sportwissenschafter und Psychotherapeut Thomas Wörz nennt. "Du stehst am Start, der Druck wird so groß, dass es dir am liebsten wäre, es wäre schon vorbei. Das ist eine mentale Flucht: Du willst aus der Situation raus, du machst es zwar, denkst aber ‚es wird schon irgendwie gut gehen‘."

Oft ist dieser Modus mit einer negativen selbsterfüllenden Prophezeiung gekoppelt. Man weiß schon vorher, dass es nichts wird und bei jedem Fehler bestätigt sich dies.

Dem erfolgreichen Fahrer, dem Konfrontierer, muss es also gelingen, umzuschalten. "Geist und Muskulatur müssen zu 100 Prozent synchron sein. Das, was du denkst, wird auf den Muskel übertragen. Wenn ich verunsichert bin, weiß der Muskel nicht, was zu tun ist. Die Bewegungen werden unrund, dann kommt die Angst dazu, die den Muskeltonus erhöht, du wirst eher müde und bist nicht mehr so flexibel", sagt Wörz.

Einem Profi müsse dieses Umschalten am Start gelingen, sagt Wörz. Auch vom Platzierungsdenken müsse man sich verabschieden. Denn es kann auf der Streif für die heimischen Abfahrer zu einer zusätzlichen Herausforderung werden. "Wenn du denkst, du musst aufs Stockerl, es allen zeigen, dann bist du nicht in der Handlung und das verursacht Druck."

Eine weitere Gefahr birgt die subjektive Bedeutsamkeit dieses Rennens in sich. Bei der Streif käme es, so Frenkel, für die österreichischen Sportler zu einer Abwägung zwischen dieser und der eigenen Kompetenz. Der Wille und Wunsch mitzufahren sei größer, als der Respekt davor, dass etwas passieren könne. Dann kann auch etwas Schlimmes passieren."

Doch ist die Streif tatsächlich etwas Besonderes? Eine Frage, die Hans Grugger beantworten kann:

Ist Kitzbühel anders?

In meinem Bewusstsein war es das nie, vielleicht unbewusst. Immerhin ist es die einzige Abfahrt in Österreich. Du kommst in eine größere Drucksituation. Für mich war es von der Herangehensweise aber nie speziell. Doch die Zusehermassen bewirken schon etwas in dir.

Wie waren Ihre ersten Eindrücke?

Der Respekt war riesengroß. Das erste Mal war ich im Sommer dort, wir sind den Steilhang und die Mausefalle rauf gelaufen. Da hab’ ich mir schon gedacht: ‚Bist du deppert, da musst du runter?‘ Während der Saison ist es dann aber gut gelaufen, ich bin mit viel Selbstvertrauen hin und hab’ nicht viel nachgedacht. Aber wenn du dann oben stehst und der Hang fällt unter dir weg ... Das ist schon eine Herausforderung. Das erste Training ist dann gut gegangen, somit waren Ehrfurcht und Schrecken weg. Der Respekt blieb aber. Ich wusste ja, dass fast jedes Jahr etwas passiert.

Wie weit überschreitet man trotzdem seine Grenzen?

Beim Sturz auf der Streif kann ich es nicht sagen, weil mir da vorher und nachher zwei Monate fehlen. Die anderen Stürze sind passiert, weil es gut gelaufen ist, ich war vielleicht zu leichtsinnig, hatte zu viel Selbstvertrauen. Ich bin dann noch einen Schritt weitergegangen.

Ihren Sturz haben Sie erst gesehen, bevor Sie wieder mit dem Skifahren beginnen wollten.

Ich habe mich monatelang davor gedrückt. Es war dann nicht so schlimm. Aber ich habe mich nicht damit identifizieren können. Das bin nicht ich, ich weiß aber, dass es der Person mittlerweile gut geht und dass es gut ausgegangen ist.

***

"Das Verletzungsrisiko ist immer dann besonders hoch, wenn jemand zu aufgeregt, zu müde oder verängstigt ist. Bei Müdigkeit verlangsamen sich Körperspannung, Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit. Selbst wenn man sich subjektiv fit fühlt. Dann tendieren Sportler dazu, technische Feinheiten in ihren Bewegungsabläufen zu vernachlässigen", sagt Frenkel. Und Wörz ergänzt: "Jeder hat einen Stressregler, und der hat zwei Pole. Panik ganz oben und Tiefschlaf ganz unten. Steigt der Stress, geht der Regler Richtung Panik, dann ist die geistige Fähigkeit eingeschränkt. Der Muskeltonus, die Atmung und die Spannung sind hoch. Dann musst du den Regler wieder auf optimalen Zustand bringen. Die Schwierigkeit ist, unter extremen Stressbedingungen ein super Feeling zu erlangen und dann auch noch Lust zu verspüren. Zu viel Stress verursacht Fehler, zu wenig ist auch nicht gut. Darum ist es gerade in Kitzbühel wichtig, schon eine gewisse Erfahrung zu haben. Ein Debütantensieg ist nicht auszuschließen, aber es ist doch unwahrscheinlich."

Vielleicht auch ein Grund, warum Didier Cuche mit zunehmendem Alter auf der Streif fast unschlagbar geworden ist. Auch das ist eine Geschichte, die die Streif geschrieben hat. Sie zählt zu den schönen Geschichten. Selbst wenn kein Österreicher ganz oben gestanden ist. Aber keine Angst, irgendwann wird auch wieder Rot-Weiß-Rot jubeln. Vielleicht heute ...

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