Als der „quälende Angsttraum“ begann
Vor 75 Jahren wurde Österreich Teil des NS-Reichs und verlor großartige Künstler.
Der Möglichkeit, ihre Berufung auszuleben, beraubt, vom Tod bedroht. Das Schicksal österreichischer Künstler, die von der schleichenden wie rigiden Entmachtungspolitik des NS-Regimes bedroht ins Ausland flüchteten, ruft besonders am heutigen Tag, an dem sich der Anschluss an Hitler-Deutschland zum 75. Mal jährt, eine sehr bittere Erkenntnis hervor: Die Kreativität des Landes wurde zur Ader gelassen.
Für den Bereich Film beispielsweise mit Folgen bis in die Gegenwart. „Film war in Österreich lange ein Zwitterwesen, das scheel angeschaut worden ist. Das hängt absolut mit der Emigration der Filmschaffenden vor 1938 zusammen“, sagt Veit Heiduschka, Wiener Produzent von Michael Hanekes „Amour“, im OÖN-Gespräch.
Und gerade das jüngste Beispiel österreichischer Filmgeschichte – Oscar, Golden Globe und die Goldene Palme für „Amour“ – gibt den Blick auf ein dunkles Kapitel der Kultur in Österreich preis.
Tauber unterschätzte Ideologie
Der letzte Österreicher – wenn diese Zuschreibung einer Nationalität überhaupt gerechtfertigt ist –, der davor diesen Preis-Hattrick schaffte, war Billy Wilder (Bild 2) mit „The Lost Weekend“ (1945). Als Samuel Wilder wuchs der Sohn jüdischer Eltern in Wien auf. Eine Woche nach dem Reichstagsbrand 1933 emigrierte er als Erwachsener aus seiner Wahlheimat Berlin bis nach Los Angeles, wo er zum gefeierten Drehbuchautor und Regisseur („Some Like It Hot“, „Irma La Douce“) aufstieg. Was ihn zum Gehen veranlasste? „Ich sah einen alten Juden, er muss 85 gewesen sein. Zwölf SS-Männer haben ihn zu Tode geprügelt.“
Die Gewalt, die er in Berlin am eigenen Leibe erfuhr, rüttelte einen Künstler aus Linz wach, dem der Anschluss bislang nur eins schien: „Unmöglich!“ Doch dem war nicht so: „Judenlümmel, raus!“, schlug ein SA-Trupp 1933 den Tenor und Schauspieler Richard Tauber („Dein ist mein ganzes Herz“, Bild 3) vor seinem Hotel in Berlin zusammen. Zuvor sah sich der Sohn des jüdischen Schauspielers Richard Anton Tauber „als deutscher Sänger und unterschätzte in politischer Naivität die NS-Ideologie“, heißt es über ihn. Der Anschluss überraschte ihn während einer Konzertreise in Mailand: Was blieb? Das Exil in London.
Dass er sich zur Zeit des Anschlusses in Hollywood aufhielt, an seiner oscarprämierten Filmmusik zu „Robin Hood“ arbeitend, war auch für Erich Wolfgang Korngold (1) ein Glück: Seine Kontakte zu den Warner Brothers ermöglichten es dem Schöpfer der Oper „Die tote Stadt“ und seinerzeit meistgespielten Komponisten neben Richard Strauss, seine Familie in die USA zu holen.
Den mutigen wie unvermeidlichen Schritt, eine neue Sprache zu erlernen, ergriffen auch weniger bekannte Künstler. Schauspielerin und Autorin Hertha Pauli erfuhr gestern vor 75 Jahren im Wiener Café Herrenhof vom Anschluss. Ihre Flucht über Frankreich in die USA war ein 30 Monate dauernder „quälender Angsttraum“. In Amerika schrieb sie darüber eine Artikelserie für die Exilzeitung „Aufbau“ mit überwältigender Resonanz. Es folgten: Anstellung, Sprachbeherrschung, Ehe und das Jugendbuch „Silent Night“ – ihr Beginn als US-Autorin.
Nur wenige Künstler kehrten wieder nach Österreich zurück. Eine war 1963 die Schriftstellerin und Journalistin Hilde Spiel (4). Vielen anderen war die Heimat hingegen zur Fremde geworden.
Vertreibung und Kontrolle mit System
Jüdische Kultur: 1938 wurde in Wien der jüdische Kulturverein aufgelöst. Dennoch gab es eine weitere Organisation für Leben und Künste: den jüdischen Kulturbund. Generalsekretär Werner Levie hatte es geschafft, diese Vereinigung in Wien zu gründen. Sie bestand im Deutschen Reich bis 1941, diente den Nazis aber bloß zur Kontrolle. 1940 waren jüdische Künstler in Wien rar und völlig schutzlos.
UFA: Ein weiteres Beispiel für die Exklusion Kulturschaffender nach Rassen-Ideologie lieferte das mächtige deutsche Filmstudio „Universum Film AG“, kurz UFA. 1933 entledigte sich die UFA wegen „nationaler Umwälzungen“ aller jüdischer Mitarbeiter. Österreichs Filmindustrie spürte die NS-Herrschaft auch vor dem Anschluss. Einspielergebnisse aus Deutschland wurden etwa nicht mehr ausbezahlt.