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Eine völlig andere Art von Meer

Von Bert Brandstetter, 05. September 2020, 00:04 Uhr
Eine völlig andere Art von Meer
Kein Abstandsproblem auf den endlos langen Ostseestränden Bild: travemedia

Es ist kühler, man riecht weniger davon und auch die Städte entlang der Ostsee sind anders. Eine der vielen Besonderheiten stellt Travemünde dar. Dort hat Thomas Mann gekurt und seine Buddenbrooks erfunden.

"Der Dorsch ist aus für heute!" Gerade hat Kai den letzten Dorsch in seinem Kutter geköpft, filetiert und verkauft. Was er noch hat, sind jede Menge Schollen. Auch die werden verlangt hier am Fischereihafen von Travemünde, am liebsten ist den Leuten aber Dorsch. Wolfgang vom nebenan liegenden Kutter hat vergangene Nacht mehr Glück gehabt und etliche Dorsche herausgeholt aus der Ostsee. "Manchmal sind es fünf Kilo, es waren aber auch schon 500", sagt Kai, der bereits 15 Jahre hinausfährt. "Um 18 Uhr geht’s los, um vier Uhr früh sind wir zurück, immer drei Mann pro Boot und das vier- bis fünfmal die Woche." Die Männer wissen, wo und wann welche Fische zu fangen sind. Nicht nur aus Erfahrung, sie sind mit elektronischen Geräten ausgestattet, die ihnen beim Fang helfen. Eine Garantie für volle Netze bieten aber auch sie nicht.

Die Ostsee zu befischen wird für kleine Fischer wie Wolfgang und Kai immer schwieriger. Die Konkurrenz der industriell organisierten Fischerei ist groß geworden. Viel Zeit zum Reden gibt es nicht. Immer wieder kommen Käufer, es sind vor allem Leute aus der Gegend, aber auch Urlauber, die in den zahlreichen Ferienwohnungen untergebracht sind. "Der Fisch hier ist billiger und frischer als in jedem Geschäft", erklärt einer der Käufer und bestellt gleich fünf Kilo Scholle zum Einfrieren – für sechs Euro das Kilo. Die Abwaage erfolgt großzügig. Die 30 Euro gehen sich nicht ganz aus, also kommt eine kleinere Scholle einfach drauf, halbe Schollen gibt es nicht. Blitzschnell entfernt Wolfgang deren Köpfe samt den Innereien, wirft sie ins Meer und sofort stürzt sich eine Möwe auf den Leckerbissen: "Filetiert wird nicht, dann schmeckt Scholle nicht mehr", sagt er ganz seemännisch.

Eine völlig andere Art von Meer
Dorsch wird filetiert, die Scholle nicht Bild: Brandstetter

Gleich mehrere Fischbuden stehen hier am Fischereihafen von Travemünde. Ihre Fischbrötchen sind ein Muss für jeden Urlauber. Zwischen 2,50 bis 4,50 Euro werden für ein knackiges Brötchen, wie die länglichen Semmeln heißen, samt riesigem Matjesfilet, Seelachs, Brathering oder Shrimpsbefüllung verlangt. Fastfood der besten Sorte, wobei: Gar so fast, also schnell, lassen sich diese Brötchen weder kaufen noch essen. Viele werden frisch, manche sogar warm zubereitet, was dauert.

Die Brötchen sind groß, teils mit Zwiebeln oder Mayonnaise gefüllt. Um sie zu essen, braucht es ebenfalls Zeit und vor allem Geschick, um dabei nicht zu patzen. "Passen Sie auf die Möwen auf", empfiehlt die Verkäuferin – und sie tut dies nicht ohne Grund. Schon öfters haben die frechen Küstenbewohner unvorsichtigen Kunden die Brötchen aus der Hand gerissen und weg waren sie.

Baden in der Ostsee? Natürlich ist es möglich – und wie! Viel wärmer als 18 Grad wird das Wasser aber selten. Wem das nicht zu frisch ist, der erfreut sich an sanft abfallenden, sandigen Ufern, niedrigen Wellen und kaum spürbaren Gezeiten. Mehr frequentiert als die zahlreichen, windschützenden Strandkörbe sind die endlos langen Radwege entlang der Strände. Radfahrer erleben die wunderbare Architektur in dieser Gegend. Strohbedeckte Backsteinhäuser mit liebevoll gepflegten Blumenbeeten entzücken genauso wie das satte Grün der Landschaft. Der Preis für die grüne und blühende Pracht sind immer wieder eintretende, kurze Regenschauer.

Donnerkeile und Hühnergötter

Hunderte Kilometer bis nach Polen reicht der wunderbare Sandstrand, der hier in Travemünde seinen Anfang nimmt. Im Unterschied zu den Sandstränden am Mittelmeer ist er immer auch barfuß begehbar, weil er wegen der niedrigeren Temperaturen selten heiß wird. Vorsichtig zu sein lohnt sich dennoch. Immer wieder spült das Meer tote Seesterne oder Muscheln an den Strand, von denen Verletzungsgefahr droht.

Eine völlig andere Art von Meer
Hühnergötter aus der Kreidezeit Bild: Brandstetter

Auf den Boden starrende Spaziergänger halten hier nach speziellen Steinen Ausschau. Sie stammen von Ausspülungen am teilweise steilen Ufer und gelten als Glücksbringer: die Hühnergötter und Donnerkeile. Erstere sind Feuersteine, die von einer weißen Kruste umgeben sind und fossile Einschlüsse hatten. Durch die Verwitterung entstanden Löcher, die aus den 60 bis 70 Millionen Jahre alten Steinen eine Besonderheit machen. Thorsten Walter hat für den Namen "Hühnergott" eine praktische Erklärung parat: "Die Leute banden einzelne Steine zu Ketten zusammen und hängten sie vor die Hühnerställe als Schutz vor dem Fuchs." Anderen Legenden zufolge sind die Hühner durch die Steine zu vermehrter Legetätigkeit angespornt worden oder sahen in den Steinen ein Zaubermittel gegen Unheil.

Donnerkeile, Reste urzeitlicher Tintenfische, am Ende der Kreidezeit ausgestorben, sind ebenfalls begehrte Sammlerstücke an den Stränden der Ostsee. Die "Spitzen der Blitze", für die man sie früher gehalten hat, haben ihnen zu dem kriegerischen Namen verholfen. Weil Blitze angeblich niemals an einer Stelle zweimal einschlagen, gelten Donnerkeile, die gerne um den Hals gebunden werden, als Glücksbringer. Bekannter ist Bernstein, der im Bereich von Travemünde vor allem nach stürmischer See immer wieder gefunden wird.

Meereswelt zum Angreifen

"Willst du den Krebs angreifen?", fragt Thorsten die elfjährige Emily. Vorsichtig und ängstlich nimmt die Schülerin den Krebs aus der

Reuse und lässt ihn sicherheitshalber gleich wieder fallen. Jetzt liegt er auf dem Rücken und Thorsten dreht ihn zurecht. Schneller als man schauen kann, flüchtet das Tier zurück in die Ostsee. Der 52-Jährige leitet die Ostseestation auf der Halbinsel Priwall. Es ist eine Mischung aus Aquarium und Museum, wie er sagt.

Seit zwölf Jahren gibt es das Haus, das sich ganz als Bildungseinrichtung versteht, und das mit gutem Recht. Wobei es weniger die vielen Aquarien mit den kleinen und größeren Meerestieren sind, die hier bewundert werden können. Es ist die unkomplizierte und pädagogisch geschickte Art, wie Thorsten Walter und seine paar Mitarbeiter mit ihren (jungen) Besuchern umgehen. Kindergeburtstage oder Firmenfeiern können dabei schon zu unvergesslichen Expeditionen in Sachen Meereskunde werden. Fische, sogar Quallen werden berührt, und Emily darf erstmals spüren, wie sich ein Seestern an ihrer Hand anzusaugen beginnt.

Auf Thomas Manns Spuren

Travemünde ist ein Stadtteil von Lübeck, der 20 Kilometer von der Stadt entfernt, aber für sie unverzichtbar ist. Durch Travemünde hielt Lübeck im 13. Jahrhundert den Zugang zum Meer und wurde zur Hansestadt. Trotzdem erlebt der Besucher Travemünde als Ort mit eigener Identität. Gar nicht großstädtisch, eher ruhig, gelassen und friedlich wird es empfunden, auch wenn in letzter Zeit ein starker Zuwachs erfolgt ist durch neue Hotels samt unzähligen Ferienwohnungen wie etwa das elegante Slow Down Hotel direkt am Ostseestrand. Sie tragen nicht unwesentlich dazu bei, dass das vielleicht etwas verschlafene, ehemalige Fischerdörfchen zu frischem Leben erwacht.

Zentrum der 13.000 Einwohner zählenden Gemeinde ist die sogenannte Vorderreihe mit der kleinen St.-Lorenz-Kirche, der Strandpromenade, dem Badestrand und der mondänen Halbinsel Priwall, die am besten mit der Fähre über die Trave erreicht wird, will man sich nicht einen halbstündigen Umweg antun.

Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Mann bezeichnete Travemünde einst als "Ferienparadies, wo ich die unzweifelhaft glücklichsten Tage meines Lebens verbracht habe". Sein Erfolgsroman "Buddenbrooks" greift den Küstencharme der "schönsten Tochter Lübecks" auf. Am Ende seines Lebens, nach den langen Jahren des Exils, besuchte Thomas Mann das Ostseebad noch einmal. "Thomas Mann und Travemünde – Liebe eines Lebens" nennt sich auch ein Buch, das die enge Verbundenheit des Schriftstellers mit dem Lübecker Stadtteil unter anderem mit historischen Fotos dokumentiert.

Auf und mit Sand gebaut

Zeitsprung in die Gegenwart: "Bis zu 150.000 Besucher werden schon benötigt, um die hohen Kosten abzudecken, die das ganze Unternehmen schluckt", sagt Daniela Rathsmann von der Musea Gmbh. Sie kümmert sich darum, dass möglichst viele Menschen von der spektakulären Sandskulpturenausstellung erfahren, die es heuer zum zweiten Mal in Travemünde zu sehen gibt. 35 internationale Künstler wurden eingeladen, sich zum Thema "Märchenwelt" in Sandstein zu verwirklichen. Das Ergebnis lässt nicht nur Kinderherzen höherschlagen. In Überlebensgröße sind Märchenfiguren wie "Der gestiefelte Kater", die "Bremer Stadtmusikanten", "Hänsel und Gretel" und viele andere zu bewundern. Klar, dass Kinder in riesigen Sandkisten auch ihre eigene Kreativität ausprobieren dürfen.

Eine völlig andere Art von Meer
Die Bremer Stadtmusikanten aus Sandstein Bild: Brandstetter

"Viele heulen, wenn sie ihre Eltern zum Heimgehen mahnen", sagt Daniela Rathsmann. Es ist eine alte, 3000 Quadratmeter große Maschinenhalle, in der im Winter die Boote vom Travemünder Bootshafen lagern, in der die Sandskulpturen bis Oktober gezeigt werden. "Danach werden sie zerstört und der Sand bis zum nächsten Jahr woanders gelagert." Bei den Künstlern handelt es sich übrigens in den meisten Fällen um Bildhauer, die sich auf die Arbeit mit Sandstein spezialisiert haben und für ihre Ausstellungsarbeit bezahlt werden.

Nähere Infos: travemuende-tourismus.de ostseestation-travemuende. sandskulpturen-travemuende.de

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Bert Brandstetter
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