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Spieltrieb, Juli Zeh

25. Jänner 2005, 00:00 Uhr

Szymon Smutek stammt aus Polen. Er kommt nach Deutschland, lernt nicht nur mit Eifer Deutsch, sondern studiert sogar Germanistik und wird Gymnasiallehrer für Deutsch und Sport. Er ist mit einer schönen Frau verheiratet, die er liebt, und so könnte er sich über sein gelungenes Leben freuen, aber leider...

Ada ist die vierzehnjährige Tochter einer Mutter, die mit Männern wenig Glück hat. Nicht nur die Beziehung mit Adas Vater gibt es nicht mehr, auch die zweite Ehe war nicht für die Ewigkeit gemacht. Ada ist unauffällig, aber außergewöhnlich intelligent. Nach einem Gewaltausbruch gegen einen Mitschüler muss sie ihre Schule verlassen, findet aber gnädige Aufnahme in einem Privatgymnasium. Und so könnte sie sich jetzt darauf konzentrieren, ein nettes Mädchen zu werden, aber leider...

Aber leider gibt es noch eine dritte Hauptfigur, den achtzehnjährigen Alev, zur Hälfte ägyptischer Herkunft, multikulturell sozialisiert, charismatisch, überheblich und klug. Er hat bereits eine abwechslungsreiche Schullaufbahn hinter sich, als er den Weg der anderen beiden Romanfiguren kreuzt.

Der Ort, an dem diese drei Biografien auf bizarre Weise aufeinander prallen, ist das Ernst-Bloch-Gymnasium im entthronten Regierungssitz Bonn. Aber nicht das "Prinzip Hoffnung", für das der Name des Philosophen Bloch steht, nicht die Utopie einer Gesellschaft mit humanem Gesicht bestimmt den Gang der Ereignisse, sondern das Prinzip "Spiel". Alev hat nämlich Gefallen an der Spieltheorie (siehe "Wissen") gefunden und will diese faszinierende Theorie in der Praxis erproben.

Ada macht sich freiwillig zur ersten Mitspielerin (oder Spielfigur?), der Deutschlehrer Smutek wird - vorerst wider Willen - zum zweiten Mitspieler. Alevs luziferischer Spielplan ist amoralisch, menschenverachtend und zynisch - aber nicht unumstößlich. Denn es gehört nun einmal zur Spieltheorie, dass Mitspieler auch Regeln verändern können, und so steht am Ende nicht zwangsläufig das Ergebnis, das der Spielleiter vorgesehen hat. Und so endet auch der Roman nicht mit dem Sieg des Täters. Denn auch die Rollen von Opfer und Täter sind instabil.

Juli Zeh hat einen ganz großen Roman geschrieben, beunruhigend, spannend, stilsicher und mit der reflexiven Kraft eines Robert Musil, dessen "Mann ohne Eigenschaften" nicht ohne Grund als Schullektüre in die Romanhandlung eingebaut ist. Im Alltag eines Provinzgymnasiums spiegelt die dreißigjährige Autorin den kulturellen Zustand des neuen Europa. Nach dem "Tod Gottes", nach der Ermüdung der Aufklärung (ihr Vertreter, der Geschichtslehrer Höfi, begeht Selbstmord) und nach den humanitären Katastrophen, die Faschismus und Kommunismus angerichtet haben, hat die europäische Gesellschaft weder Sinn noch Utopie anzubieten sondern nur noch den materiellen Gewinn und läppische Spaßverheißungen für Konsumenten.

Aber dieses postmoderne Supermarktangebot für Doofe ist für anspruchsvolle Zeitgenossen wie Alev und Ada unbefriedigend. Nach der Relativierung aller Werte bleibt dem klugen Kopf, den Pop, Fun und Börse nicht ausfüllen, offenbar nur eines: der Spieltrieb. Bis eines Tages klar wird, dass diese Tiefkühlvariante kreativer Intelligenz in die Katastrophe führen muss.

Juli Zehs Roman ist nicht nur ein großartiges Sprachkunstwerk. Er ist auch eine höchst intelligente Zeitdiagnose.

Juli Zeh: "Spieltrieb". Roman. Schöffling&Co., 566 Seiten. 24,90 Euro
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