Verdis „Don Carlo“ als packend zeitlose Sternstunde an der Wiener Staatsoper
WIEN. Am Samstag fand in der Wiener Staatsoper mit Verdis „Don Carlo“ die letzte und zugleich vielumjubelte Premiere der Saison statt.
Eine Produktion, die musikalisch wohl das Beste, das zurzeit zu bekommen ist, bot und von der Regie her ein höchst kluges Konzept zeigte, das weder in die eine oder andere Richtung extrem sein wollte, sondern neutral die Geschichte umsetzte.
Für Daniele Abbado, Sohn des großen Dirigenten und Direttore artistico der Teatri in Reggio Emilia, ist jede Figur ein Gefangener in sich selbst, aber auch in den institutionellen Mühlen. Abbado macht packendes, zeitloses Theater mit viel Interpretationsfreiraum. Es ist hier wirklich das Stück und nicht eine Idee davon inszeniert. Neues wird man nicht erfahren, dafür ist die Bühnenkonzeption von Graziano Gregori perfekt darauf abgestimmt und der ganze Abend spielt in einem dunklen, gefängnisähnlichen Kubus, der durch veränderbare Wände immer neue Ein- und Ausblicke gewährt. Eine weder extrem konservative noch extrem moderne, handwerklich exzellente Inszenierung, für ein Repertoiretheater genau das Richtige.
Franz Welser-Möst gab sein Wiener Verdi-Debüt und stieß dabei auf volle Zustimmung. Seine Lesart der Partitur ist konträr zu dem, was man sonst oft erlebt, ohne auf das Gewohnte verzichten zu müssen. Verdi wird meist auf die wunderbaren Melodien reduziert. Bei Don Carlo gibt es viele Zwischentöne, die das traumhaft spielende Staatsopernorchester bereitwillig herausarbeitete. Dass man immer wieder aus dem wohl Bekannten neue Aspekte heraushört, macht den Abend so spannend. Gleichzeitig weiß Franz Welser-Möst die Tradition zu wahren und den Sängern genügend Freiräume zu geben. Genau das ermöglicht es Sängern, zur Höchstform aufzulaufen. Allen voran Krassimira Stoyanova, die eine Elisabetta von unglaublicher Sinnlichkeit mit makelloser Technik gab. Eine Traumbesetzung. Ebenso leidenschaftlich und präsent Luciana D’Intino als Eboli. Einen König von unfassbarem Leid mimte mit großartigem musikalischen Ausdruck und ebenso großer Stimme René Pape. Sein Filippo dürfte zurzeit auch ein ziemlich singuläres Ereignis sein. Bei Bariton Simon Keenlyside passten Timbre und Gefühl für diese Musik, ein ganz großer Marquis Posa. Ramón Vargas ist ein Möchtegern-Kronprinz, Möchtegern-Revolutionär und auch ein Möchtegern-Liebhaber. Das kam perfekt und stimmlich absolut sicher herüber. Bei der sonst oft schweren Besetzung von Großinquisitor und Karl V. kann die Staatsoper mit dem gewaltig Furcht einflößenden Eric Halfvarson und mit Dan Paul Dumitrescu aufwarten. Ileana Tonca überzeugte als Tebaldo, und selbst die Stimme des Himmels war mit Valentina Nafornita exquisit besetzt. Tadellos wie immer der Chor unter Thomas Lang. Für unsere heutige Zeit, in der das italienische Fach immer schwieriger zu besetzen ist, war das eine Sternstunde, die beweist, dass es nicht immer der großen Namen bedarf, um erstklassige Oper zu machen.
Staatsoper: Verdis „Don Carlo“, Premiere am 16. Juni
OÖN-Bewertung: sechs von sechs Sterne
Die Oper
Historischer Hintergrund: Giuseppe Verdis Oper „Don Carlo“ basiert auf Friedrich Schillers gleichnamigem Trauerspiel. Die Hintergründe sind einerseits die Anfänge des Achtzigjährigen Krieges, in dem die niederländischen Provinzen ihre Unabhängigkeit von Spanien erkämpften – und andererseits die familiär-soziale Intrige am Hofe von König Philipp II. (1556–1598).
Zum Inhalt (in aller Kürze): Don Carlo liebt Elisabeth von Valois, um deren Hand jedoch sein Vater, Philipp II. von Spanien, anhält. Elisabeth kann aus politischen Gründen nicht ablehnen. Im Streit um die Freiheit Flanderns erhebt Don Carlo das Schwert gegen seinen Vater, wird verhaftet und zum Tod verurteilt. Don Carlo gelingt letztlich die Flucht.
Zur Oper: Abgesehen vom französischen Original mit fünf Akten (uraufgeführt am 11. März 1867 in Paris) gibt es mehrere Varianten der Oper: Laut der Musikwissenschaftlerin Ursula Günther gibt es insgesamt sieben Fassungen von Don Carlo, allein bis zur zweiten Aufführung seien es schon vier verschiedene gewesen.
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