Buchkritik: Literarischer Ausflug nach Paris
Der fundiert recherchierte Roman "Paris" des Briten Edward Rutherfurd lädt mit seinen 928 Seiten zum Versinken in die spannende Geschichte der französischen Hauptstadt ein.
Gleich vorweg: "Paris – Roman einer Stadt" ist alles andere als ein handliches Buch, das man schnell beim Arzt aus der Tasche zieht oder im überfüllten Autobus liest. Mit seinen 928 Seiten erfordert dieser Roman nicht nur viel Ausdauer, sondern auch einiges an Muskelkraft. Die 1,5 Kilogramm dieses Monumentalwerks können nach stundenlangem Lesen ziemlich schwer in der Hand liegen.
Nicht jedoch der Inhalt, der den Leser regelrecht über die Pariser Boulevards flanieren und das berühmte Flair der französischen Hauptstadt atmen lässt.
Es sind unglaublich viele Aspekte, die Edward Rutherfurd in dieser Pariser Entstehungsgeschichte bis zur Nachkriegszeit abarbeitet. Aus dieser Stofffülle wählt er genau die Themen aus, die zum einen prägend für die Geschichte waren, zum anderen aber auch den Leser bei der Stange halten und die Erzählung voranbringen: Die Zeit der Templer und Hugenotten, die Pariser Commune und der Sturm auf die Bastille, die Dreyfus-Affäre und die Resistance, Kriege und Hungersnöte werden hier auf spannende Weise nacherzählt.
Interessante historische Details
Selbst beim Bau des Eiffelturms ist der Leser zugegen und erfährt dabei interessante historische Details. Auch auf gesellschaftliche Entwicklungen wie die veränderte Stellung der Frau wird in diesem opulenten Werk nicht vergessen.
Die verbindenden Elemente durch die verschiedenen Epochen sind die Schicksale von fünf Familien, deren Mitglieder nicht nur mit einzelnen Aspekten der Stadtgeschichte, sondern auch untereinander verwoben sind: Für den Adel steht die Familie Le Cygnes, für die Mittellosen die Familie Le Sourds. Die Handwerker werden durch die Brüder Gascon vertreten, von denen Thomas am Bau des Eiffelturms beteiligt ist. Die Blanchards repräsentieren die Händler und machen sich einen Namen als Besitzer der großen Kaufhäuser. Und schließlich die Familie Jakob, die ebenfalls im Handel tätig ist, sich aber auch den schönen Künsten verschrieben hat.
Man begegnet sich, verliebt sich und verliert sich wieder. Es kommt aber auch zu folgenschweren Missverständnissen, deren Wirkung sich über mehrere Generationen hinzieht.
Der Engländer Edward Rutherfurd muss für seinen detailreichen und historisch fundierten Roman jahrelang recherchiert haben. Es gelingt ihm, bildprächtig und farbenreich zu formulieren, sodass sich beim Lesen Paris wie ein Pop-up-Buch öffnet. Trotz aller Schrecken, Ungerechtigkeiten, Zerwürfnisse und verlorenen und verpassten Möglichkeiten kann sich der Leser diesem Bann nicht entziehen. Um bei dem ständigen Wechsel zwischen den Zeiten und Perspektiven nicht die Orientierung zu verlieren, hilft der Stammbaum auf der ersten Buchseite.
Nach dem Ende der Lektüre stellt sich dann fast so etwas wie Wehmut ein. Zu gerne würde man die einzelnen Familien bis in die unmittelbare Gegenwart begleiten.
Fazit: Geschichtsunterricht kann auch ungemein spannend sein. Ideal für schlaflose Nächte, nicht nur für Parisliebhaber.
Edward Rutherfur: "Paris", Blessing-Verlag, 928 Seiten, 30,90 Euro