Letzter Akt: Löw sehnt sich nach einem Abgang mit Stil
MÜNCHEN. Mit der EURO endet die Ära des deutschen Bundestrainers, der mit seinem Team in München gegen Weltmeister Frankreich startet.
Nach zwei Jahren in der österreichischen Fußball-Bundesliga beim FC Tirol (2001/02) und bei der Wiener Austria (2003/04) folgte Joachim Löw dem Ruf seines Freundes Jürgen Klinsmann, der ihn 2004 als Assistent zum Deutschen Fußballbund (DFB) lotste, um das "Sommermärchen" akribisch zu planen. Der DFB-Auswahl gelang es tatsächlich, die Massen bei der Heim-WM 2006 zu begeistern und das Turnier mit einem dritten Rang abzuschließen.
Für Klinsmann war damit die Mission beendet und Löw der logische Nachfolger als Bundestrainer. 15 Jahre später geht eine Ära, in die der Weltmeistertitel 2014, ein EM-Endspiel 2008 und drei weitere Semifinale bei großen Turnieren fallen, zu Ende. Der 61-jährige Schwabe dankt ab.
Ob Löws Abschiedstournee, die heute (21 Uhr, ORF 1 und nachrichten.at) mit dem Schlager gegen den amtierenden Weltmeister Frankreich vor 14.000 Zuschauern in München beginnt, drei, vier, fünf, sechs oder gar sieben EURO-Spiele serviert, liegt in den Händen – oder besser in den Füßen seiner Mannschaft.
Löw sehnt nach der doch heftigen Kritik in der jüngeren Vergangenheit mit den schmerzhaften Stacheln eines Vorrunden-Aus bei der WM 2018 und eines 0:6-Debakels in der Nations League in Spanien (2020) einen Abgang mit einem sportlichen Feuerwerk herbei. "Es macht mir Spaß, ich spüre sehr viel Energie. Ich weiß, dass wir etwas erreichen können. Dazu müssen alle ihren Teil beitragen – durch Kritik, Lob, über Anfeuern, Mitziehen, Bestärken. Da ist jeder in der Verantwortung", sagte Löw, der eine bärenstarke Bilanz vorzuweisen hat. Heute sitzt er zum 195. Mal hauptverantwortlich auf der deutschen Trainerbank, bei 39 Unentschieden und 32 Niederlagen feierte der Coach 123 Siege.
Geringe Erwartungshaltung
Für den legendären Lothar Matthäus war Löw "ein Segen für den deutschen Fußball". Zu den Fans der DFB-Auswahl ist der Optimismus des Bundestrainers noch nicht durchgedrungen. In einer Umfrage glauben weniger als 50 Prozent an eine erfolgreiche EURO 2021. Vielleicht liegt das auch am ersten Gegner. Die Franzosen um Superstürmer Kylian Mbappe werden als EM-Favoriten gehandelt. "Diese Rolle nehmen wir an, aber Qualität und Talent allein reichen nicht", sagte Teamchef Didier Deschamps. (alex)
Ein echter Klassiker
Deutschland hat eine negative Bilanz gegen den amtierenden Weltmeister Frankreich. Von 31 Duellen gingen 14 an die Equipe Tricolore und nur neun an die DFB-Auswahl, die seit der WM 2014 auf einen vollen Erfolg wartet. Damals glückte den Schützlingen von Jogi Löw im Viertelfinale von Rio ein 1:0-Erfolg. Mats Hummels erzielte per Kopf das „goldene Tor“ und ebnete den Weg für den Titel. In der Historie dieses Klassikers haben aber andere Begegnungen einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
- WM 1982 in Spanien, Halbfinale: Deutschland – Frankreich 3:3 nach Verlängerung, 5:4 im Elfmeterschießen. Dieses Match in Sevilla gilt bis heute als eines der spektakulärsten in der WM-Geschichte. Frankreich führt bis zur 102. Minute 3:1, Karl-Heinz Rummenigge (102.) und Klaus Fischer (108./per Fallrückzieher) retten die Deutschen in das Elfmeterschießen, in dem Horst Hrubesch den entscheidenden Versuch versenkt. Die Schlagzeilen gehören aber DFB-Torhüter Harald „Toni“ Schumacher, der in der 57. Minute Patrick Battiston brutal anspringt und „ausknockt“. Der Verteidiger ist kurz bewusstlos, erleidet eine Gehirnerschütterung, Wirbelverletzungen und den Verlust von zwei bis vier Zähnen. Schumachers Reue nach dem Match hält sich in Grenzen: „Wenn es nur die Jacketkronen sind, die bezahle ich ihm gerne“, sagt er damals. Spätere Versöhnungstermine verlaufen im Sand. Battiston wird 2014 mit den Worten „Freunde werden wir keine mehr“ zitiert.
- Freundschaftsspiel am 13. November 2015: Frankreich – Deutschland 2:0. Die Tore von Olivier Giroud (45.) und Andre-Pierre Gignac (86.) geraten in dieser „Terror-Nacht“ von Paris zur Nebensache. Um 21.17 Uhr, es läuft gerade die 16. Spielminute im Stade de France, ist ein Knall zu hören, wenig später folgt ein zweiter. Erst nach dem Schlusspfiff erfahren die Protagonisten auf dem Rasen, dass Attentäter in Frankreichs Hauptstadt ein Massaker angerichtet haben. 130 Menschen sterben bei fünf islamistisch motivierten Anschlägen, 683 werden verletzt. „Es war ein großer Schock, man hat eine gewisse Angst verspürt“, blickt Bastian Schweinsteiger zurück. Er und seine DFB-Kollegen müssen die Nacht aus Sicherheitsgründen in den Katakomben der Arena verbringen.
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