„Vergewaltigung war kein Einzelfall“: Allianz für Reform im Jugendstrafvollzug
WIEN. Experten drängen auf die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofs und regionale Zentren, Nationalratspräsidentin Prammer (SP) kritisiert Reaktion der Justizministerin.
Die Vergewaltigung eines 14-jährigen Untersuchungshäftlings in der Justizanstalt Josefstadt „war kein Einzelfall, sondern nur die Spitze des Eisbergs“: Das sagt Strafrechtler Udo Jesionek, bis zur Schließung des Wiener Jugendgerichtshofes vor zehn Jahren dessen Präsident. Er wisse „von einer Reihe weiterer Fälle“, die Betroffenen würden sich aber nicht trauen, Anzeige zu erstatten, „denn dann gelten sie in der Subkultur des Gefängnisses als Vernaderer – und dann ist es vorbei“, sagt Jesionek im Gespräch mit den OÖNachrichten.
Und genau das sei Kern des Problems und Grund dafür, warum Jesionek gemeinsam mit anderen Rechts- und Justizexperten gestern die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofes forderte: „Es braucht für Jugendliche eigene Einrichtungen“, so Jesionek. Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser unterstützt die Forderungen der „Allianz gegen die Gleichgültigkeit im Strafvollzug“:
Jugendgerichtshof, regionale Jugendkompetenzzentren: In Wien soll Gerichtsbarkeit und Vollzug für Jugendliche wieder an einem eigenen Gericht zusammengefasst werden. Zudem soll es regionale Zentren für den Jugendstrafvollzug geben. „Vorbild ist die Schweiz“, sagt Jesionek. Dort gebe es solche Zentren, wo auch Schulen und Werkstätten eingerichtet sind. Diese Anstalten sollten auch für junge Erwachsene, „wenn sie keine schweren Straftaten begangen haben“, offen stehen.
Mehr Personal: Wichtig sei mehr Personal, vor allem im sozialpädagogischen Bereich. Auch dürften maximal zwei Jugendliche in einer Zelle untergebracht sein. Im Ansatz sei das Jugendgefängnis in Gerasdorf der richtige Weg, es mangle aber an genügend Personal zur Betreuung.
Alternativen zur U-Haft: Eine „generelle Abschaffung“ der Untersuchungshaft für Jugendliche hält Jesionek für „unmöglich“. Es solle aber verstärkt auf betreute Wohneinrichtungen, wo Jugendliche mit Fußfessel untergebracht werden, gesetzt werden.
Prammer rügt Justizministerin
Justizministerin Beatrix Karl (VP) ist gegen die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofes (Details siehe unten). Für ihren Umgang mit dem Fall des 14-jährigen Vergewaltigten erntete sie gestern scharfe Kritik von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SP): „Dass diese Wortwahl nicht sehr glücklich war, darüber ist sich die ganze Republik einig“, sagte sie.
Karl hatte zunächst erklärt, Strafvollzug sei „kein Paradies“. „Sehr merkwürdig“ und „unangemessen“, so Prammer. Es sei aber gut, wenn es „nach der ganzen Latte an Fehlern“ zu Verbesserungen komme, erhofft sie Konsequenzen.
Jugendgerichtshof: Vor zehn Jahren abgeschafft
Seit 1929 hatte es in Österreich einen eigenen Jugendgerichtshof gegeben, 2003 wurde dieser von der schwarz-blauen Regierung aufgelöst. Ein Proteststurm folgte, die Schließung blieb aufrecht. Die Zuständigkeit für den Jugendstrafvollzug wurde auf die bestehenden Gerichte aufgeteilt.
2010 gab es unter SP-Justizministerin Maria Berger Bemühungen, den Jugendgerichtshof wieder einzuführen, diese scheiterten aber.
In Gerasdorf bei Wien gibt es zwar ein eigenes Jugendgefängnis, wo auch Werkstätten eingerichtet sind, dort werden aber nicht alle Jugendlichen in Untersuchungshaft überstellt. In Wien sind sie in der Justizanstalt Josefstadt untergebracht, wo sich auch der jüngste Vergewaltigungsfall abgespielt hat.
Die Vorteile des Jugendgerichtshofes fasst desen damaliger Präsident, Udo Jesionek, so zusammen: „Wir hatten ein spezialisiertes Team, das auf Jugendliche eingehen konnte und ausschließlich für diese zuständig war.“ 16 Jugendrichter, vier Psychologen, zehn Sozialarbeiter und drei Pädagogen waren für 40 bis 60 Jugendliche – U-Häftlinge und Verurteilte – zuständig.