„In Deutschland gibt es klare Tabugrenzen“
Interview: Politologe Peter Filzmaier über Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich
OÖNachrichten: In Österreich vermeiden die Parteien vor Wahlen konkrete Koalitionsansagen. In Deutschland ziert man sich bei weitem nicht so. Warum?
Peter Filzmaier: In Deutschland haben Lagerwahlkämpfe Tradition, eine große Koalition gilt als Ausnahme in Sonderfällen. Ein entscheidender Unterschied liegt im Wahlrecht: In Deutschland steht die Person stärker im Vordergrund. Die Erststimme im Wahlkreis gehört der Person, erst mit der Zweitstimme wird eine Partei gewählt. Die großen Parteien erreichen einen großen Teil ihrer Sitze im Parlament über die Direktmandate der einzelnen Kandidaten in den Wahlkreisen.
Gibt es sonst noch entscheidende strukturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich?
Die Rolle des Bundeskanzlers bzw. der Bundeskanzlerin ist in Deutschland formal viel stärker, weil er bzw. sie über die sogenannte Richtlinienkompetenz verfügt. In Österreich fehlt diese Möglichkeit, da ist der Kanzler gegenüber seinen Ministern nicht mehr als ein Primus inter pares. Darum kommt dem Kanzler in Deutschland eine viel stärkere Führungsrolle in der Regierung zu.
Als Beobachter hat man den Eindruck, dass die politische Debatte in Deutschland – auch in Wahlkämpfen – ein bisschen kultivierter geführt wird.
Nicht nur ein bisschen. In Deutschland gibt es klare Tabugrenzen, die nicht überschritten werden. Deutschland musste nach dem Zweiten Weltkrieg auf Drängen der Alliierten auf politische Bildung großen Wert legen und dafür Strukturen schaffen. In Österreich hat man das verabsäumt. Das ist ein Grund, warum bei uns Tabus immer wieder leichtfertig gebrochen werden.
Deutsches Wahlrecht
Das deutsche Wahlrecht ist kompliziert. Mit der Erststimme wird in jedem der 299 Wahlkreise ein Kandidat direkt in den Bundestag gewählt. Entscheidend ist jedoch die Zweitstimme: Mit ihr wählt man die Partei und bestimmt damit die Sitzverteilung im Bundestag. Derzeit hat der Deutsche Bundestag 620 Mandatare.
Lesen Sie hierzu auch den Artikel "Ungleiche Brüder – ungleiche Wahlen".
also doch etwas vorraus!?