Ukraine: Schwache Wahlbeteiligung und schon traditionelle Verstöße
KIEW. Die Partei von Präsident Selenskyj, "Diener des Volkes", fährt einen deutlichen Sieg ein.
Der Präsident schritt im kragenlosen hellblauen Hemd zur Wahlkabine, flankiert von Leibwächtern. Und schon mit einem Regierungschef im Kopf. Nach seinem Urnengang bei den gestrigen Parlamentswahlen erklärte Wolodymyr Selenskyj vor Journalisten, der neue Premierminister müsse ein professioneller Ökonom sein. "Ich hätte sehr gern einen absolut unabhängigen Menschen, der nie Premierminister, Parlamentssprecher oder Führer irgendeiner Partei gewesen ist."
Insgesamt nahmen 65 Parteien an den vorgezogenen Wahlen teil, sie konkurrierten um 225 Listen- und 199 Direktmandate. Nach den ersten Prognosen kurz nach Wahlschluss sollten nur fünf Parteien die nötige Fünfprozenthürde überspringen: Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" als hoher Favorit mit 44 Prozent, dahinter folgt die prorussische "Oppositionelle Plattform – für das Leben" mit 11,5 Prozent.
> Video: ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz spricht von einem wenig überraschenden Ausgang der Wahlen in der Ukraine.
Falscher Bombenalarm
Die "Europäische Solidarität" des vorherigen Präsidenten Petro Poroschenko kommt demnach auf knapp neun Prozent, dahinter folgt mit 7,5 Prozent die Partei "Vaterland" von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Wahrscheinlich ebenfalls über die Fünfprozenthürde schafft es die liberale Partei "Stimme".
Die Wahlen verliefen großteils ruhig, die Beteiligung fiel jedoch mit knapp 50 Prozent geringer als vor fünf Jahren aus. Vorerst registrierte die Polizei rund 800 Wahlverstöße, in der Donbas-Frontstadt Torezk gab es sogar falschen Bombenalarm – diesen gleich in allen 14 Wahllokalen.
Solche Zwischenfälle haben bei Wahlen in der Ukraine schon eine gewisse Tradition, ebenso die eigentlich rechtswidrige Veröffentlichung laufender Exit-Polls im Internet noch während der Abstimmung. Nach deren Ergebnissen gewann der "Diener des Volkes" gegenüber den Umfragen vor den Wahlen noch etwas dazu, eben auf die später in ersten Prognosen ausgewiesenen 44 Prozent.
Direktwahlkreise umkämpft
Die "Oppositionsplattform" und die Partei "Vaterland" legten im Verhältnis zu den Umfragen ebenfalls zu, die "Stimme" rutschte dagegen Richtung Fünfprozentgrenze ab. Zugleich näherten sich dieser von unten die Partei "Kraft und Ehre" des Ex-Geheimdienstchefs Ihor Smeschko sowie der "Oppositionsblock", die zweite russlandfreundliche Partei im Land.
"Vielleicht hievt die schwache Wahlbeteiligung auch diese beiden Parteien über die Fünfprozenthürde", vermutete der Kiewer Politologe Ihor Rejterowytsch gegenüber den OÖNachrichten. Er hält die illegalen Exit-Polls erfahrungsgemäß für ziemlich genau.
Aber ihre Aussagekraft ist dennoch beschränkt, weil sie nicht die Resultate der umkämpften 199 Direktwahlkreise messen. Auch die politische Gesinnung vieler Direktkandidaten ist ungewiss. So könnte es sich erst bei den ersten Parlamentssitzungen zeigen, wie viele Abgeordnete sich tatsächlich der Fraktion "Diener des Volkes" anschließen werden.
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