"Filibuster" im US-Senat – Fluch statt Segen
WASHINGTON. Die als Schutz der Minderheit gedachte Senatsregel hat zur Polarisierung der US-Politik beigetragen.
Als die Bürgerrechtsgesetze zum Ende der Rassentrennung in den USA 1957 die altehrwürdige Kammer erreichten, betrat Strom Thurmond aus South Carolina den Flur des US-Senats. Der Südstaaten-Politiker zitierte aus der Verfassung, trug die Unabhängigkeitserklärung vor, las in Länge aus einem Urteil des höchsten Gerichts und der Bibel vor; unter anderem. Alles, um die Abstimmung des Senats über das Wahlrecht für Schwarze zu verhindern.
Nach 24 Stunden, 18 Minuten war der Spuk vorbei. Geblieben ist der Rekord des längsten "Filibuster" in der US-Geschichte. Damit gemeint ist eine erst viele Jahre nach der Konstitution des US-Kongresses 1804 eingeführte Senatsregel, die es einem einzelnen Senator erlaubte, so lange zu reden, wie er wollte. Und damit eine Abstimmung über ein Gesetz aufzuhalten.
"Filibuster" hat seine Wurzeln im niederländischen Wort "freebooter" und dem spanischen "filibusteros", zu Deutsch so viel wie "Pirat", und auf das freibeuterische Verhalten der Senatoren anspielt.
1917 einigte sich der Senat auf die "Regel 22", die es einer Mehrheit von zwei Drittel der 100 Senatoren erlaubte, ein Ende der Debatte zu erzwingen. Seit einer weiteren Änderung 1975 waren dafür nur noch 60 von 100 Senatoren nötig.
In diesem Jahrhundert kamen Ausnahmen bei der Bestätigung von Richterämtern und Wahlbeamten hinzu, die seitdem mit 51 Stimmen bestätigt werden können. Für alles andere blieb der "Filibuster" so etwas wie der Friedhof großer Wahlversprechen von Präsidenten. Der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Charles Schumer, will mit einem Verfahrenstrick die Eröffnung der Debatte über die blockierten Wahlgesetze erzwingen. In der Sache geht es um die Garantie freier und fairer Wahlen in allen 50 Bundesstaaten. Allen voran in den 19 Staaten, die nach der Schlappe Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen Restriktionen beschlossen haben.
Bis Montag, dem Feiertag des Bürgerrechtlers Martin Luther King, gibt Schumer den Republikanern Zeit, ihren "Filibuster" zu beenden. Danach droht er mit der "nuklearen Option" einer Regeländerung. Der schwarze Bürgerrechtler Jim Clyburn, der zur Demokraten-Führung im Repräsentantenhaus gehört, erinnert die Zauderer im 50 zu 50 geteilten Senat, Joe Manchin und Kyrsten Sinema, daran, dass die Verfassungsergänzung zum Wahlrecht der Schwarzen nicht überparteilich zustande kam. "Es waren die Stimmen einer einzigen Partei, die Schwarzen das Recht zu wählen gaben."
Nötige Mehrheit fraglich
Manchins und Sinemas Argument, dass die Verfassungsväter den "Filibuster" als Sicherung gegen die Tyrannei der Mehrheit wollten, ist nach Ansicht von Experten wie Norm Ornstein mehr als unscharf. "Der Filibuster existierte nicht bei der Gründung dieser Institution." Und schon gar nicht sei er ein Bestandteil der Verfassung.
Ob Schumer die nötige Mehrheit zur Änderung der Geschäftsordnung erhält, ist offen. Benötigt würden dafür die Stimmen von 50 Senatoren und die von Vizepräsidentin Kamala Harris. (spang)
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