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Von Vorständen und anderen Stehern

Von Roman Sandgruber, 21. September 2019, 00:04 Uhr
Von Vorständen und anderen Stehern
Bild: Reuters

Stehen ist nicht nur eine Ehrbezeigung, sondern kann auch recht ungemütlich und demütigend sein...

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat aus verständlichen Gründen das Privileg erhalten, bei Flaggenparaden, Militäraufmärschen und anderen diplomatischen Ehrenbezeugungen nicht mehr stehen zu müssen. Das aufrechte Stehen und Gehen ist zwar nach Meinung der Anthropologen die wichtigste Voraussetzung, dass der Mensch zum Menschen wurde. Doch das aufrechte Auf-der-Stelle-Stehen, das viel mühsamer und unmenschlicher ist als das Sitzen oder Liegen, ist eigentlich ein Ritual der Unterwerfung. Man erhebt sich, wenn man jemanden begrüßt, man steht während der Messe auf, wenn das Evangelium verlesen wird, man steht bei Hymnen und Festakten, und stehenden Applaus zu bekommen, ist eine ganz besondere Auszeichnung. Stehen ist aber nicht nur eine Ehrbezeigung, sondern kann auch recht ungemütlich und demütigend sein und zur Buße, Kasteiung und Folter werden: die mönchischen Säulensteher der Antike, das stundenlange Stehen in orthodoxen Kirchen, das reglose Wachestehen der Gardesoldaten, das In-der-Ecke-Stehen in einer gottlob veralteten Schulpraxis und nicht zuletzt die endlosen und schikanösen Stehappelle der Konzentrationslager. Aber man kann vieles überstehen.

Im öffentlichen Bereich war Stehen die Haltung vor dem auf dem Thron sitzenden Fürsten, König, Bischof oder Papst, im Rechtswesen die Haltung vor dem auf dem Richterstuhl Platz nehmenden Richter. Die Vorsteher waren sinngemäß die Wortführer einer vor den Herrscherstuhl tretenden Gruppe von Untertanen, Bittstellern und Beschwerdeführern und ganz allgemein die Leiter von Bruderschaften, Zünften, Vereinen, Instituten und sonstigen Vereinigungen. Das von Johann Christoph Adelung zwischen 1774 und 1786 herausgegebene "Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart" hielt die Bezeichnung Vorsteher schon damals für nicht mehr zutreffend, indem es schrieb: "Ehedem (!) bedeutete Vorstand eine vorstehende Person, d. i. einen Vorsteher, in welchem Sinne es aber im Hochdeutschen veraltet ist." Trotzdem ist der "Vorstand" bis heute höchst lebendig geblieben. Die Kapitalgesellschaften haben Vorstandsdirektoren, die Gemeinden und Vereine Vorstände und die Universitätsinstitute sogar – welch schreckliches Wort – Vorständinnen. Aber über allen Vorständen thront immer noch ein Vorsitzender oder Präsident oder auch eine Vorsitzende oder Präsidentin. Denn ein Präsident ist ja nichts anderes als das lateinische Wort für einen Vorsitzenden.

Es sind sehr grundlegende soziale und kulturelle Fragen und Ereignisse, die wir sprachlich mit dem Stehen in Zusammenhang bringen: Aufstände, Rückstände und Zustände und auch das, was entsteht und besteht, ansteht und einem zusteht. Am wichtigsten aber sind der Verstand, der zu all dem dazugehört, und der Anstand, von dem es letztlich abhängt, ob unser menschliches Zusammenleben überhaupt gut funktionieren kann.

Roman Sandgruber ist emeritierter Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz. 

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Roman Sandgruber
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