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Gewalt geht gar nicht

Von Klaus Buttinger, 13. November 2021, 00:04 Uhr
Bild: colourbox.de

Die Serie von Femiziden in Österreich reißt seit Jahren nicht ab. Pro Monat werden drei Frauen ermordet – zumeist vom (Ex-)Partner. Was dagegen zu tun wäre und warum viel zu wenig geschieht.

Als der blinde US-Soulsänger Ray Charles 1954 die Single "I Got a Woman" ("Ich habe eine Frau") aufnahm, war die patriarchale Männerwelt noch in Ordnung. Er sang: "She knows a woman’s place, is right there, in her home …" ("Sie weiß, dass sie an den Herd gehört.") Dann kam die Gleichberechtigung. Was seither gleich geblieben ist: Der potenziell gefährlichste Ort im Leben einer Frau ist ihr Daheim. Mordkriminalität an Frauen findet weit überwiegend zu Hause statt und wird hauptsächlich von Männern begangen. Laut einer Auswertung des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien wurden von den 2018 gewaltsam zu Tode gekommenen 41 Frauen 82,5 Prozent durch einen Intimpartner oder Familienangehörigen ermordet. Bei Männern betrug der Anteil 42,9 Prozent.

Warum ist das so? Männer werden häufig innerhalb krimineller Subkulturen wie Bandenkriminalität, bei eskalierenden Streitigkeiten oder unter Alkoholeinfluss getötet. Da Österreich ein relativ sicheres Land und das Mitführen von Waffen unüblich ist, liegt die Tötungsrate bei Männern niedrig im Vergleich zu anderen Ländern der EU. Um Frauen umzubringen, brauchten zwei Drittel der meist männlichen Täter in den vergangenen Jahren keine Waffe. Und so kommt es, dass Österreich statistisch mit Zypern, Lettland und Malta zu jenen Ländern zählt, in denen mehr als 50 Prozent der Opfer von Gewaltverbrechen Frauen sind. 23 Frauen wurden heuer in Österreich ermordet. 

Längst ist bekannt, wie diese oft über Jahrhunderte tradierten toxischen Verhaltensweisen von Männern überwunden werden können. „Wenn Männer vermehrt Fürsorgeaufgaben übernehmen, dann hat das eine unmittelbare Wirkung auf ihr Selbstverständnis, auf ihre Beziehung zu den Frauen und zu den Kindern, dann erwerben sie, wie Frauen eben auch, empathische Fähigkeiten“, sagt Ehe- und Familienberater Wolfgang Burtscher.

Laut UN-Bericht „State of the World’s Fathers“ (2015) erhöht eine aktive Vaterschaft das Wohlbefinden der Männer, schenkt ihnen Sinn und führt zum Abbau stereotyper, toxischer Männlichkeit. Wie sich dieses Gift auswirken kann, illustriert und bewertet eine Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs von 2017. Demnach sei es in besonderem Maße verwerflich, wenn ein Mann eine Frau tötet, weil sie ihn verlassen will. Eifersucht, Weigerung, eine Trennung zu akzeptieren, und die Geisteshaltung, eine Frau als Eigentum zu begreifen, über das er verfügen könne, stehe „sittlich auf niedrigster Stufe“.

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Das war nicht immer so. In der Vergangenheit zeigten Gerichte oft mehr Verständnis für „Verlustängste“ von Männern, ihre „Verzweiflung“ oder ihre „Wut“. Stellt man dies in den größeren Rahmen der Weltgeschichte, darf man sich wundern über die lange Verweilzeit dieser giftigen Verhaltensweisen. „Quer durch die Zeit sind friedliche Gesellschaften auch reicher, gesünder, gebildeter, besser regiert, respektvoller gegenüber ihren Frauen und sie treiben häufiger Handel“, schreibt der amerikanisch-kanadische Evolutionspsychologe Steven Pinker in seinem Buch „Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit“. Gewalt sei im Wesentlichen ein Zeitvertreib der Männer. Kulturen, die sich dem Prozess der Feminisierung widmen, entfernen sich von machohafter Gewaltverherrlichung und bringen weniger entwurzelte junge Männer in Subkulturen hervor. Darüber stehe die Erkenntnis, „dass die Kreisläufe der Gewalt sinnlos sind“ und dass man sie als Probleme sehen müsse, die es zu lösen gelte, und nicht als Wettbewerb, in dem „mann“ siegen müsse.

Aggression ist kein Instinkt

„Aggression ist kein innerer Drang oder ein Instinkt.“ Sie fuße auf mehreren inneren und äußeren Auslösern, auf neurobiologischer Grundlage: Herrschaftsstreben, Rache, Sadismus, gewaltrechtfertigende Ideologie. „Nicht sind wir von Natur aus gut oder böse“, schreibt Pinker und definiert den guten Weg: Empathie, das Vermögen zu mitfühlender Sorge, führe weg vom Pfad zur Gewalt, genauso wie Altruismus und Kooperation, Selbstbeherrschung und ein aktuelles Moralgefühl sowie schlussendlich die Vernunft, die schon im Namen des Homo sapiens steckt.

„Es ist eine aktive Männer- und Väterpolitik zu forcieren“, sagt Berater Burtscher. Zu unterstützen wäre ein Anreiz- und Regelungssystem auf betrieblicher und gesellschaftlicher Ebene, das die bekundete männliche Bereitschaft zur Fürsorgearbeit in die Pflicht nimmt, sie unterstützt und auch schützt. „Denn fürsorgende Männer sind ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft.“ Und sie täten einander selber viel Gutes – langfristig, richten Männer Gewalt doch auch häufig gegen sich selbst. Drei Viertel der Suizide in der EU werden von Männern begangen.

Was tun als Mann, dem die Sicherungen durchzubrennen drohen? Für Männerberater wie Josef Hölzl von der Diözese Linz ist klar, dass es niederschwellige Angebote geben muss. Das stehe dem Sozialstaat und der Kirche gut an. Solche Angebote finden sich bei der kirchlichen Beratungsstelle BEZIEHUNGLEBEN.AT oder beim steirischen Männernotruf (siehe unten). Auf den Internetseiten des Landes OÖ. hingegen legt man den Zugang kontraproduktiv hoch. Kontaktiert man das Zentrum für Familientherapie und Männerberatung, kostet schon das Erstgespräch Geld. Wie viel? Das hänge vom Familiennettoeinkommen ab, erfährt man kryptisch. Der Link zur Gewalthotline führt zu einer Fehlermeldung, da er offenbar falsch konfiguriert ist. Hat man diese Hürde übersprungen, wird man auf die Hotline 0820 43 92 58 einer deutschen Beratungsgesellschaft mit beschränkter Haftung verwiesen, die 14 Cent pro Minute kostet. Dieser mangelhafte Zugang zur Gewaltprävention des FP-geführten Familienreferats konterkariert das von der Bundesregierung im Mai geschnürte Maßnahmenpaket gegen Gewalt in der Privatsphäre.

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Mehr Einsatz der Männer

„Es braucht bei diesem Thema auch den Einsatz der Männer, die sagen: Ich bin nicht so!“, fordert Männerberater Burtscher den Aufbruch der guten Kräfte. Dazu zählt laut Justizministerin Alma Zadic die verstärkte Sensibilisierung von Polizistinnen und Polizisten. Das wird allerdings nicht reichen. Erschreckend löchrig ist nämlich die Datenlage bei Männergewalt gegen Frauen bei den Strafverfolgungsbehörden. Was noch geplant ist: der Ausbau von Präventionsarbeit, insbesondere die Stärkung der Männerberatungsstellen. In Sachen Täterarbeit sollen mehr Anti-Gewalt-Trainingsprogramme kommen, „da die Rückfallquote immer noch zu hoch ist“, sagt Zadic.

Seit 30 Jahren propagieren Menschenrechtsorganisationen den 25. November als „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Traditionell werden öffentliche Gebäude für 16 Abende orange angestrahlt. In diesem Sinne: Es werde Licht!

Frauenhelpline gegen Gewalt, tgl., rund um die Uhr, kostenlos, mehrsprachig: 0800/222 555, www.frauenhelpline.at
Frauenhäuser: www.aoef.at
Beratungstelefon von BEZIEHUNGLEBEN.AT: 0732/77 36 76
Männernotruf: 0800/246 247

Gewalt an Frauen und Mädchen in Österreich

  • 23 Frauen wurden im Laufe des heurigen Jahres in Österreich ermordet (2020: 31, 2010: 39, 2018: 41 = Höchststand). Generell besteht beim weit überwiegenden Teil der Frauenmorde ein Beziehungs- oder familiäres Verhältnis (Partner oder Ex-Partner ist der Täter).
  • Jede 5. Frau erlebt ab ihrem 15. Lebensjahr physische und/oder sexuelle Gewalt. Jede 3. Frau wird ab ihrem 15. Lebensjahr sexuell belästigt. Jede 7. Frau ist ab ihrem
    15. Lebensjahr von Stalking betroffen.
  • 11.500 Betretungsverbote wurden 2020 von der Polizei verhängt. Das sind um rund 15 Prozent mehr als in den Jahren zuvor.
  • 20.587 Opfer von Gewalt in der Familie wurden 2020 von
    Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut. 81,5 Prozent waren Frauen und Mädchen, 91 Prozent der Gefährder waren männlich.
  • Um 71 Prozent nahmen die Anrufe bei der Frauenhelpline gegen Gewalt im Frühjahr 2020 gegenüber 2019 zu. Der Anstieg fällt zeitlich mit dem Lockdown zusammen.

Wo Gewalt beginnt

Gewalt beginnt mit frauenfeindlicher Sprache und Witzen, mit Respektlosigkeit und Beschimpfungen. Ebenso dort, wo Frauen in
ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt werden, etwa wenn sie bestimmt Orte, Wege und Situationen meiden müssen, um
Belästigungen oder Bedrohungen zu entgehen.

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Autor
Klaus Buttinger
Redakteur Magazin
Klaus Buttinger

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2  Kommentare
2  Kommentare
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Selten (13.716 Kommentare)
am 13.11.2021 04:53

Kein Wunder, dass sich der Staat gegenüber dem einzelnen mittlerweile Ungeheuerlichkeiten anmaßt.

Offenbar sind die Leute ja nicht einmal fähig, ihr Privatleben ohne staatliche Intervention ordentlich zu führen. Man braucht Polizei, Wegweisungen, psychologische Täterberatung, wieder ein einträgliches Feld für Vereine, die im Fell der Regierung wurln wie die Flöhe.

Wie wär ´s mit "Augen auf bei der Partnerwahl!!!"

Noch nie war es für Frauen so leicht, autonom zu existieren wie heute.

Aber offensichtlich herrscht das Motto:

"Lieber einen Mann als gar keine Probleme!"

Wie dekadent verblödet wir sind, zeigt eine Show , wo einander völlig Unbekannte heiraten und sich halt in 99% der Fälle wieder scheiden lassen.

Und zugleich regen wir uns über arrangierte Ehen anderswo auf, die übrigens in allen Fällen, die ich kenne, durchaus in beiderseitigem Einverständnis und nicht elterlich angeordnet, eingegangen wurden und bis heute - mit wesentlich größerem Respekt voreinander gut bestehen.

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Streuselkuchen (663 Kommentare)
am 13.11.2021 18:33

Was wollen Sie uns damit mitteilen, dass Sie schlicht fordern, man solle halt bei der Partnerwahl besser aufpassen? Dass die Frauen ganz allein selbst daran schuld sind, wenn sie schlecht behandelt werden?
Wenn dass tatsächlich Ihre Meinung ist, dann ist das ein Armutszeugnis. Ich kenne Frauen, die von ihren Partner physisch und psychisch misshandelt werden - und so unterschiedlich diese Frauen auch sein mögen, eine Gemeinsamkeit haben sie immer: sie kennen es nicht anders. Wer seine Kindheit in einem Elternhaus verbracht hat, indem aggressives Verhalten des Vaters normal war, der muss zuerst einmal aus diesem Muster bzw. Männerbild rausfinden. Es ist übrigens auch so, dass von den Kindern, die körperlich gezüchtigt werden, auch nur eines von 10 diese Kette unterbricht, 9 machen so weiter, wie sie es "gelernt" haben.
Wenn sich etwas ändern soll, dann darf niemand das Problem kleinreden, da ist die gesamte Gesellschaft gefordert. Manche müssen sich ändern, andere zumindest hinschauen.

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