Wenn Geschichte unnötig auf die Stimmung drückt
BRAUNAU AM INN. Wie geht der Grenzort Braunau am Inn als Hitlers Geburts- und Einmarschort mit dem historisch schweren Vermächtnis um?
Ein malerischer Stadtplatz ziert die 16.000-Seelen-Gemeinde. Braunau ist so groß wie Grenchen, die Stadt, aus der ich komme. Historische Fassaden in bunter Abfolge säumen stimmig das Zentrum. Wohlfühlfaktoren, die für Braunau sprechen. Friedlich zieht der Grenzfluss Inn vorbei. Wenig deutet auf das Ereignis hin, das sich hier vor einem Dreivierteljahrhundert zutrug. Nur das Wissen, das man selbst nach Braunau mitbringt: Hier überquerte Hitler am 12. März 1938 den Inn, um Österreich „heim ins Reich“ zu holen. Dass es auch der Ort ist, an dem er 1889 zur Welt kam, ist die zweite Aktennotiz in meinem Kopf, die mir auf die sonst unverkrampfte Stimmung schlägt.
Als ich den Weg zu Hitlers Geburtshaus einschlage, treffe ich auf zwei junge Braunauer: „Es wird darauf herumgeritten“ – und: „Jeder hat einen Platz, an dem er zur Welt gekommen ist“, ist ihre unbelastete Haltung und auch die ihrer Elterngeneration. Die rechtsextreme Szene sei nicht stärker als anderswo. Dennoch schlucke ich leer, als ich an der Adresse „Vorstadt Nr. 15“ ankomme. Das gelbe Gebäude ist mit „Volksbücherei Braunau“ angeschrieben – davor steht ein Gedenkstein für die Opfer des NS-Regimes. Nebenan wird in einem Imbiss Sushi angeboten.
Ich zögere einige Minuten, bevor ich den Auslöser drücke. „Es kommen Urlauber vorbei, die vor dem Geburtshaus Fotos knipsen“, weiß Alexandra Mayer, die gerne in Braunau wohnt. Und an Hitlers Geburtstag gebe es Besuch von dessen Anhängern: „So kommt’s halt auch mal zu Schlägereien.“ Dennoch sei es wichtig, dass Gedenkstein und Haus da sind: „Sodass sich auch die jungen Leute damit befassen.“ Ein Russe – erfahre ich später – wollte das Gebäude aufkaufen und abreißen, was aber scheiterte. Eine Zeitlang war in der „Nr. 15“ die Lebenshilfe mit Arbeitseinsätzen für Menschen mit Behinderungen untergebracht. Und ein Museum stand auch mal zur Diskussion.
Mehr vom Einmarsch als von der Geburtsstätte betroffen ist Günter Kriegleder. Auch wenn er zur Nachkriegsgeneration gehört, kann er sich ausmalen, „wie die Windfähnchen Hitler zugejubelt haben müssen.“ Eine ortsansässige Dame, Jahrgang 1927, weiß es aus Erfahrung. „Unser Lehrer war ein wahrer Nazi. Am Tag des Einmarsches gab er uns frei, damit er Hitler willkommen heißen konnte.“ Auf das Geburtshaus angesprochen, winkt sie ab: „In Wirklichkeit ist er in Ranshofen geboren, in einem Kuhstall“ – hat sie gehört. „Man muss sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen“, findet der zugezogene 74-jährige Karl Senegatschnigg. Und doch hat er andere Gedanken, wenn er an Braunau denkt: „Im Frühling, wenn ich meine Enkel zu Besuch habe, ist der Stadtplatz herrlich.“ Alsbald lasse ich Braunau hinter mir, eine Stadt, die nicht nur in der Pflicht des Erinnerns steht, sondern auch auf ein Recht auf Zukunft pocht.