Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Rothschild - Aufstieg und Schicksal einer Familie

20. Oktober 2018, 00:04 Uhr
Rothschild Aufstieg und Schicksal einer Familie
Das 1822 verliehene und bis heute geführte Familienwappen der Rothschilds mit dem roten Schild auf blau-gelbem Grund mit dem kaiserlichen Adler und dem englischen Leoparden. Die fünf Pfeile stehen für die brüderliche Einigkeit der fünf Söhne von Amschel Rothschild, dem Imperiumgründer. Bild: ÖNB-Bildarachiv/picturedes.com

Unzählige Monate hat OÖN-Kolumnist Roman Sandgruber in Archiven zugebracht, um den Aufstieg und Untergang des Familienimperiums der Rothschilds, insbesondere ihres österreichischen Zweiges, nachzuzeichnen. Seine Recherchen gipfelten nach fünfjähriger Arbeit in einem Buch, das eine Forschungslücke schließt. Aus der Werkstatt des Forschers.

1. Jede wissenschaftliche Arbeit braucht ein gutes Thema

Das Welthaus der Wiener Rothschilds, das die Geschichte Österreichs zwischen dem Wiener Kongress und den Anfängen der Zweiten Republik entscheidend prägte, erfüllt diese Anforderung vollinhaltlich. Die Rothschild-Geschichte beginnt im späten 18. Jahrhundert mit Mayer Amschel in bitterer Armut im jüdischen Ghetto der alten Reichsstadt Frankfurt. Sein Kapital war seine Frau, die ihm 19 Kinder zur Welt brachte. Fünf Töchter und fünf Söhne überlebten. Die Söhne zogen aus, um in den fünf größten Städten des damaligen Europa, in London, Paris, Wien, Neapel und eben Frankfurt, ein sich über ganz Europa, ja die ganze Welt erstreckendes Netzwerk aufzubauen, aus dem nach Meinung führender Historiker die reichste Wirtschaftsdynastie hervorging, die es in der Geschichte der Menschheit jemals gegeben hat.

Mayer Amschel Rothschild
Mayer Amschel Rothschild (1744–1812): Der Millionär aus dem Ghetto, der den Aufstieg der Rothschilds begründete Bild: Wikipedia

Auch für den Wiener Zweig der Rothschilds gilt das: Sie waren in den fast 150 Jahren vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zu ihrer Vertreibung nach dem Anschluss die mit Abstand vermögendste Familie des Landes. Es ist eine Geschichte, die abrollt wie eine griechische Tragödie, in fünf Akten oder fünf Generationen, von den Anfängen im Frankfurter Ghetto bis zum Ertrinkungstod des letzten Chefs des österreichischen Hauses im Jahr 1955 auf der Ferieninsel Jamaika. Umso verwunderlicher ist es, dass seit 100 Jahren keine größere wissenschaftliche Veröffentlichung in Österreich zu dieser Familie erschienen ist. Das mag an der komplexen Struktur des Themas liegen, das mag mit der systematischen Auslöschung zusammenhängen, die dieser Familie im Nationalsozialismus und bemerkenswerterweise auch noch in der Zweiten Republik widerfahren ist, das mag aber auch auf die schwierige Quellensituation zurückzuführen sein.

 

2. Jede Geschichtsschreibung braucht Quellen

Die Archive der österreichischen Rothschilds waren bis 1938 für Außenstehende völlig unzugänglich. Dann wurden sie von den Nationalsozialisten beschlagnahmt, nach Berlin gebracht und 1945 von der Sowjetarmee nach Moskau verschleppt. Dort waren sie wieder versperrt und wurden erst ab 1999 an das Londoner Rothschild-Archiv im Herzen der Londoner City restituiert. Dieses Archiv ist riesig und bietet eine ungenutzte Fundgrube. Allein die aus Moskau zurückgegebenen Akten des Wiener Familienarchivs umfassen etwa 140.000 Seiten.

Aber auch die Akten des englischen Hauses bergen ungenutzte Schätze zur Wiener und österreichischen Geschichte. Doch es ist schwierig, im Heuhaufen die Nadeln zu finden. Die 40.000 sogenannten Judendeutsch-Briefe, die aus Wien und den anderen drei kontinentalen Rothschild-Städten Frankfurt, Paris und Neapel an das Londoner Haus geschrieben wurden, bergen wertvollste Informationen: Die Entzifferung allerdings ist Sisyphos-Arbeit: Die Briefe sind zwar in Deutsch verfasst, aber im Frankfurter Dialekt der fünf Brüder, vermischt mit vielerlei jüdischen Wendungen, und geschrieben in hebräischen Buchstaben von rechts nach links und auf recht brüchigem und vergilbtem Papier. Daraus die interessanten Informationen zwischen den endlosen Börsenberichten und belanglosen Tratschereien herauszufiltern, kann sehr mühsam werden. Nur ein kleiner Teil konnte bislang aufgearbeitet werden, unter anderem die Berichte von den Wiener Ereignissen während der Revolution, die von Salomon und Anselm Rothschild im Jahr 1848 täglich an die Brüder und Onkel in Westeuropa gesendet wurden.

Ähnlich interessant, aber leichter lesbar sind Briefe und Unterlagen vor und im Ersten Weltkrieg oder zur Bankenkrise der Zwischenkriegszeit. Es ist sehr viel Papier, und doch gibt es schmerzhafte Lücken: Alle Akten zu Louis Rothschild, dem letzten Chef des Wiener Hauses, sind verschwunden. Von vielen anderen Seiten müssen die Puzzleteile zusammengetragen werden: aus Wiener und Berliner Archiven, aber auch aus Israel und den USA.

 

3. Jede Geschichtsschreibung erzählt Geschichten

Die fünf Generationen und ihre Chefs, die die Geschäfte führten und die Entscheidungen trafen, bilden den Kern der Handlung: Von Mayer Amschel, dem Gründer, führt der Weg über Salomon, der das Wiener Haus aufbaute, weiter zu Anselm, dem König der Ringstraße, dem bei allem Reichtum die Ringstraße als zu teuer erschien, und zu Albert, dem bei seinem Tod 1911 reichsten Mann Europas, bis unter Louis als Chef des Hauses das Vermögen in den Wirren der Weltwirtschaftskrise erschüttert und von den Nationalsozialisten völlig vernichtet wurde.

Salomon Rothschild (1774–1855): Der Bankier und Finanzier der Metternich’schen Politik Bild: Styria Verlag

Aber rundherum reihen sich die anderen Mitglieder der Familie, die glücklich-skurrilen Dandys, die von einem fürstlichen und scheinbar sorglosen arbeitslosen Einkommen zehrten, die unglücklichen Außenseiter, die von schweren Schicksalsschlägen getroffen wurden, angefangen mit Georg, der von seinem 22. Lebensjahr bis zu seinem Tod 1934 mehr als 30 Jahre in einer geschlossenen Nervenheilanstalt verbrachte, über Oscar Ruben, der kurz nach der Matura in den Selbstmord aus Liebeskummer getrieben wurde, und dessen Schwester Valentine, die taubstumm aufwuchs, aber ihr Leben in Stille meisterte, bis zum letzten männlichen Erben der Wiener Rothschilds, der als 16-Jähriger 1938 in einem Schweizer Sanatorium an Kehlkopfkrebs verstarb.

Auch die Geschichte der Rothschild-Frauen und -Töchter ist mehr traurig als idyllisch. Trotz allen Reichtums wurden sie nicht glücklich: Von jeder Entscheidungsfindung in den Geschäften ausgeschlossen und fast durchwegs an engste Verwandte verheiratet ("Eine Rothschild kann nur einen Rothschild heiraten"), lebten sie in goldenen Käfigen: Von Anselms vier Töchtern konnte nur Sara Louise aus der Enge der Familie ausbrechen und den reichsten Italiener ihrer Zeit heiraten, den jüdischen Bankier und Eisenbahnmagnaten Raimondo Franchetti. Es war keine Geldheirat und auch keine Liebesheirat. Es war eigentlich gar keine Heirat. Er lebte auf seinen Gütern in der Emilia Romagna und in seinem Palazzo am Canale Grande in Venedig, sie weit entfernt auf einem Schloss in Piemont.

Anselm Rothschild (1803–1874): Der König der Gründerzeit und der erste Rothschild, der eine Universität besucht hat Bild: ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Ihre Schwester Caroline Julie musste ihren bigotten Cousin aus der neapolitanische Linie heiraten, um nicht zu einer Eheschließung mit ihrem 80-jährigen Onkel gezwungen zu werden, die andere Schwester Hannah Mathilde nahm ihren ebenso faden Cousin, und Charlotte Alice heiratete lieber gleich gar nicht und begnügte sich damit, auf ihren Gütern in England und Südfrankreich ein feldwebelartiges Regiment zu führen. Bettina aus der französischen Linie wurde mit 22 Jahren mit ihrem Wiener Cousin Albert vermählt und starb im Alter von 34 Jahren. Dazwischen brachte sie sieben Kinder zur Welt. Evelina, die Cousine und Gattin Ferdinands, starb bei der Geburt des ersten Kinds.

Albert Rothschild (1844–1911): Der reichste Mann Europas, der mit einem geschätzten Vermögen von 700 Millionen Kronen verschied. Bild: ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Und auch den beiden berühmten "schönen" Frauen, die in der Geschichte der österreichischen Rothschilds auftauchen, Kitty und Clarisse, war das Schicksal nicht gerade gnädig gestimmt. An der Oberfläche dominierten teure Vergnügen. Bei Rothschild musste alles groß sein: Eigens für sie angelegte private Radwege, beim Bergsteigen nur auf die höchsten Berge, und wenn möglich als Erste, von den Weinen natürlich die besten, auf der Jagd schon in den 1920er Jahren mit dem Flugzeug, eine Kunstsammlung wie der Kaiser, als Beschäftigung Philatelie und klassische Philologie, mit der größten Briefmarkensammlung und der größten altphilologischen Bibliothek, als Hobbys Fotografie und Schach, im Sport die Einführung von Tennis und Fußball in Österreich, in der Wissenschaft gleich drei private Sternwarten. Was könnte für ein Welthaus würdiger sein als das Weltall!

 

5. Jede Geschichtsschreibung bringt Lehren

Rothschild-Börsenweisheiten gibt es viele: Hinein und heraus aus den Aktien wie im russischen Dampfbad! Immer die letzten zehn Prozent anderen überlassen! In der Information immer ein paar Augenblicke voraus sein! Am Anfang Zucker streuen, um später die Vögel zu fangen! Das Wiener Rothschild-Haus erinnert an die Buddenbrooks: Der Großvater beginnt’s, der Vater verdient’s, der Sohn gewinnt’s, der Enkel genießt’s, der Urenkel verliert’s.

Louis Rothschild (1882–1955): Der gestürzte Kapitalist und wenig begabte Geschäftsmann Bild: ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Vielleicht ist das die wichtigste Erfahrung: Mit wie viel Entbehrungen und wie viel Mühen, aber auch mit wie viel Zufall ein Vermögen aufgebaut wird und wie rasch es verloren geht. Länger als fünf Generationen dauert das Glück selten. Meist ist es schon nach drei Generationen vorbei, bisweilen auch schon nach einer.

 

Roman Sandgruber: "Rothschild – Glanz und Untergang des Wiener Welthauses", Molden-Verlag, 527 Seiten. 37 Euro

mehr aus Spezial

Online-Abschlussveranstaltung des OÖN-Börsespiels 2021

Fit im Internet: Das Weiterbildungs-Event für alle, die sich für digitale Technologien interessieren.

Ausgebucht! „Der Krieg in der Ukraine: Eine Spätfolge des Zerfalls der UdSSR und ein geopolitischer Konflikt.“

Schwammerl: Zwischen Genuss und Gefahr

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen