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Schnell muss es sein – und leidenschaftlich

Von Hubert Winklbauer, 19. März 2016, 00:05 Uhr
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Bildergalerie David Alaba beim Fotoshooting
Bild: Markus Berger

Interview mit ÖFB-Teamkapitän Christian Fuchs: Hotel Hilton, 21 Junction Approach, Leicester LE19 1 WQ. Christian Fuchs kommt mit einem BMW i8. Ein Auto als Aufreger, als Blickfang. Der Lenker auch. Gewandet im Anzug. Feinster Stoff mit Klub-Emblem.

Knapp zwei Stunden davor war er noch auf dem Rasenviereck des bis auf den letzten Platz gefüllten King Power Stadium gestanden, um beim Abpfiff von rund 32.000 Fans mit Standing Ovations gefeiert zu werden. Der erste Blick im Hotel gilt seinem Handy. Skypen mit der Familie. Seine Frau – eine Amerikanerin – und seine Kinder leben in Manhattan, New York. Und haben auf seinen Anruf schon gewartet.

Der zweite Blick gilt seinem Bein. Der dritte seiner Wange. Das Blut einer großen Schürfwunde am Schienbein hatte sich unangenehm und schmerzhaft mit dem Hosenstoff verklebt, die Schwellung auf dem Wangenbein wurde von Minute zu Minute größer. Kleine Ordenszeichen eines Fußballers, der alles gegeben hat. "Der eine, dem ich da auf der Mittellinie hineingerutscht bin, wird sich jetzt auch an mich erinnern", ist der Österreicher im Dienste des englischen Premier-League-Tabellenführers auf der Suche nach ausgleichender Gerechtigkeit fündig geworden.

Wie du mir, so ich dir! Ein Leitsatz, so alt wie der Fußball selbst. Im englischen Fußball wird dem Härteritual gehuldigt. Mehr als auf dem Kontinent. Der ÖFB-Teamkapitän kann damit umgehen. Wie das Gros der Spieler. Und das Gros der Schiris. Ruppig darf es sein, unfair nicht. Schnell muss es sein. Leidenschaftlich. So war die Partie auch. Fuchs liest noch schnell die erste Matchkritik. Die war euphorisch: "So macht Fußball süchtig", war die Headline. "Kürzer können 90 Minuten nicht sein", die Unterzeile. "Da, das kannst du gleich abschreiben", lächelt er.

Ein kurzer Blick noch auf seine persönliche Statistik: gewonnene Zweikämpfe, Passquote, Kopfballbilanz – Fußball zerstückelt in Prozentzahlen. Emotionslose Statistik. Aber auch mit der ist Fuchs zufrieden. Und zwar im Wissen, dass sich die Mysterien des Kickens mit Prozentzahlen nicht entschlüsseln lassen.

"Du kannst auch mit einer exzellenten Passstatistik verlieren", sagt er, um sich mit einem "Ich bin so weit, ich bin bereit" seiner Krawatte zu entledigen. Los geht’s mit dem Interview.

 

"Ein Leben wie ein Fußballer in Zeiten wie diesen"

„Es gibt sie, die Mysterien im Fußball“, sagt Christian Fuchs. Eines davon erlebt er gerade: Sein Verein, Leicester City, führt die Premiere League an. Warum und welche Parallelen er zum ÖFB-Team zieht, erzählt er im Gespräch mit Hubert Winklbauer.

Sie sind Stammspieler in einem Außenseiter-Team, das auf dem allerbesten Weg ist, in dieser Saison die Premier-League-Größen aus Manchester und London hinter sich zu lassen. Anerkennung, Respekt im Übermaß. Geld wahrscheinlich nicht zu knapp. Sie leben das Leben, von dem nicht nur Hunderttausende fußballspielende Youngsters, sondern auch gestandene Profis träumen.

Christian Fuchs: Das ist mir schon bewusst. Aber auch, dass der Erfolg ein launiger, manchmal treuloser Geselle ist. Es braucht viel Aufwand, ihn festzuhalten. Die Luft ganz oben ist dünn. Geht dir die Puste aus, bist du weg. An den Spieltagen wird dir nichts geschenkt. Und dazwischen musst du in jedem Training einer sehr hohen internen Konkurrenzkultur standhalten. Nicht immer macht der Körper mit. Manchmal schwächelt auch die Seele. Es ist schön, wenn einem die Fans viel Energie spenden, aber bevor es so weit ist, muss man viel investieren.

Aber einer wie Sie, der muss sich doch manchmal selbst auf die Schulter klopfen: Von Mattersburg, via Bochum, Mainz zum Kultklub Schalke 04. Mit dem ging es in die Champions League. Und jetzt der fast aberwitzige Erfolgslauf mit Leicester City, einem Klub, der in der Saison 2014/15 nach 30 Runden abgeschlagener Tabellenletzter war.

Auf die Schultern würde ich mir klopfen, wenn ich mit Bochum, Mainz und Schalke 04 Meister geworden wäre. Und es jetzt mit Leicester in England werden würde. Aber eine lange Karriere lehrt einen ja auch Selbstkritik und die Erkenntnis, dass nicht alles immer so läuft wie man will. Ich bin zufrieden mit dem, was war und dem, was ist. Auch weil sich mit dem Älterwerden ein wenig die Wertigkeiten verschieben. Ich habe Frau und Kinder. Die Familie geht vor. Ich will zwar noch immer gewinnen, aber nicht mehr mit der Verbissenheit von früher.

Möglicherweise merkt man dieses neue Lebensgefühl ja auch ihrer aktuellen Spielweise an.

Möglich. Es braucht eine gewisse seelische Ausgewogenheit, eine Balance zwischen Pflicht und Kür. Wer zu verbissen ist, blockiert kreativ. Und ohne Leichtigkeit, ohne Spielwitz läuft es im Fußball nicht rund.

Bei Leicester läuft es sogar rundherum rund.

Das ist doch das Um und Auf. Du musst dich wohlfühlen in deiner Umgebung. Geld ist wichtig im Fußball. Denn die Zeit des Berufslebens ist kurz. Aber Geld ist nicht alles. Wenn es zwischenmenschlich in den Klubs nicht passt, passt nichts mehr. Man sieht das ja auch bei Klubs, die trotz Riesengagen kriseln.

Apropos Riesengagen. Stimmen die Relationen im englischen Fußball zwischen Leistung und Geld noch?

Der englische Fußball generiert via TV-Rechte und Werbung eine ganze Menge Geld. Davon bekommen die kickenden Akteure jenen Teil ab, der ihnen zusteht. Das geht schon o.k.

Ihre Auslandskarriere sieht ja wie perfekt geplant aus. Wie wichtig ist da ein guter Manager?

Ziemlich. Ich habe einen guten. Der heißt Thomas Böhm.

Was macht eigentlich das Wunder Leicester City aus?

Nicht alles lässt sich im Detail erklären. Es gibt sie, die Mysterien des Kickens. Vielleicht braucht es ein bisschen Glück, ein paar Spieler, die in bestimmten Situationen plötzlich über ihren Limits agieren. Dann gibt es den ersten Sieg, den zweiten. Und dann läuft’s. Und wie man weiß, sind Erfolge Beziehungskitt unter den Spielern.

Elf Freunde machen dann die Siege aus?

Ich glaube, es ist umgekehrt. Der Erfolg macht Freunde. Und dann können die Trainings härter, die Camps länger sein. Und plötzlich ist kein Problem unlösbar.

Sie spielen jetzt Woche für Woche gegen Größen wie Wayne Rooney, Juan Mata, Eden Hazard, Diego Costa, Sergio Agüero oder Danny Welbeck. Wie fühlt sich das an?

Mittlerweile wie Alltagsarbeit. Ich habe Respekt vor diesen Spielern. Aber ich erstarre nicht vor Respekt. Mein Denken dreht sich darum, am Ende der 90 Minuten gegen sie als Sieger vom Feld zu gehen. Das ist uns ja ziemlich oft gelungen.

Erinnert Leicester City ein wenig an das ÖFB-Team?

Durchaus. Der Spirit im Team, der Zusammenhalt, das Verständnis untereinander und mit dem Trainer sind ähnlich. Der Erfolg als Wachstumsschub auch.

Vielleicht seid ihr nach der Europameisterschaft in Frankreich ja fürs Leben lang engste Freunde. Dann, wenn der ganz große Coup gelingen sollte …

Jetzt aber stopp. Das Wort EM-Titel will ich nicht hören. Zu einem guten Fußballer gehört auch eine gute Selbsteinschätzung. Wir wissen, was wir können. Jetzt denken wir einmal an die Vorrunde, an Ungarn, Island und Portugal. In der Summe wird es schwieriger als viele glauben.

Sie sind Kapitän eines ÖFB-Teams, das in seiner Geschichte noch nie unter den Top Ten der Welt war. Können Sie sich einen Teil dieser Erfolgsgeschichte auch als verlängerter Arm von Trainer Marcel Koller gutschreiben?

So vermessen bin ich wirklich nicht. Die Rolle des Kapitäns ist eine persönliche Auszeichnung. Aber sie ist eine überschätzte. Kein Schiri nimmt eine Entscheidung zurück, nur weil er mit einem Kapitän diskutiert. Kein Spieler wächst über sich hinaus, nur weil ihn der Kapitän anfeuert. Der Kapitän ist näher an der Mannschaft dran als der Trainer. Und er ist näher am Trainer dran als die Mannschaft. Alles im marginalen Bereich. Die Kapitäns-Arbeit liegt in der Feinabstimmung. Vieles, was am Ende den Erfolg ausmacht, spielt sich in Nuancen ab.

Hat es sie überrascht, dass sich auch einer wie Marko Arnautovic in England so durchsetzt?

Eigentlich nicht. Der Marko findet ja in England vor, was auch mir ziemlich gut tut.

Nämlich?

In England nehmen sie dich als Fußballer in erster Linie auch als Mensch wahr. Sie respektieren deine Privatsphäre. Die Beziehungen zwischen Spieler und Fans sind unkompliziert, respektvoll. Anders als in Deutschland stehst du nicht unter Dauerbeobachtung. Einer wie der Marko hat darauf mit Trotz reagiert. Jetzt lebt er in einer geschützten privaten Sphäre. Das macht ihn sicher. Und ruhig. Davon profitiert auch das Team. Er wird schwierig, wenn man ihm zu autoritär kommt. Und nett, wenn man ihm nett kommt. So läuft es auch im Team.

War England immer schon Ihr fußballerisches Sehnsuchtsland?

Ja. Ich glaube, dass jeder einmal in der höchsten englischen Liga gespielt haben möchte. Ich bin glücklich hier zu sein, auch wenn ich in Deutschland auch wirklich gute Zeiten erlebt habe.

Gibt es fußballerisch auch gravierende Unterschiede zwischen dem deutschen und dem englischen Fußball?

Gravierend nicht. In den Details aber doch signifikant. Auf die Ballführenden wird in England nicht ganz so viel Druck gemacht wie in Deutschland. Dadurch wird das Spiel schneller, direkter. Deshalb braucht es auch ein anderes kollektives Abwehrverhalten.

Womit wir beim System wären. Das System scheint immer wichtiger zu werden.

Es ist ja nicht so, dass das System eine Erfindung der Jetztzeit ist. Strategisches Verhalten war schon immer ein Grundelement im Fußball. Früher hat man halt Stellungsspiel dazu gesagt.

Man sagt ja, dass zu viel Denk- und Kopfarbeit die Intuition im Fußball blockiert.

Das ist möglich. Aber wir – bei Leicester wie im ÖFB-Team – müssen nicht mehr überlegen, um taktisch auf hohem Niveau zu funktionieren. Die Laufwege wie das kollektive Verschieben, sogar eine dem Spielverlauf nach notwendige Änderung des Konzepts, haben wir verinnerlicht.

Gibt es etwas, was höher angesiedelt ist, als ein perfektes taktisches System?

Klar – das Genie.

Noch einmal kurz zurück zur EM in Frankreich: Es ist noch gar nicht so lange her, da hat der Terror in öffentlichen Räumen in Paris Angst und Schrecken verbreitet. Man hatte die Angst, dass sich Sportstadien dafür anbieten. Womöglich während der EM in Frankreich. Haben Sie Angst?

Ich glaube, dass die Gesellschaft auf diese Herausforderungen Antworten parat hat. Dass wir insgesamt von den Spannungen in der Gesellschaft betroffen sind, ist Fakt. Ich habe Kinder. Und Sorge. So wie jeder andere Vater auch.

Sie sind mittlerweile ein richtiger Kosmopolit. Ausgezogen aus dem niederösterreichischen Pitten ins große Mattersburg, leben sie nun in Leicester. Ihre Familie in Manhattan, im Zentrum von New York. Wann immer Sie können, sitzen Sie im Flieger. Ein Leben wie die Reichen und Schönen.

Nein. Ein Leben wie ein Fußballer in Zeiten wie diesen.

 

#05

Position: Abwehr
Alter: 29
Teameinsätze: 72
Verein: Leicester City

Österreichs Teamkapitän steht davor, in der englischen Premier League Geschichte zu schreiben: Mit dem vermeintlichen Underdog Leicester City führt er die Tabelle an. Fuchs ist sowohl im Klub als auch in der Nationalmannschaft als Linksverteidiger mit Drang zur Offensive gesetzt. Der Burgenländer ist Vater eines einjährigen Buben namens Anthony.

 

 

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