Lola holt das richtige Leben ein
Nach der Diagonale-Premiere startet "Der Boden unter den Füßen" morgen in den Kinos
Wenn es um sie geht, kennen die Intendanten des Grazer Filmfests Diagonale keine Kompromisse: eine kritische Haltung gegenüber der Zeit und ihrer Gesellschaft. Dieses Fundament haben die Oberösterreicher Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger mit ihrem Eröffnungsfilm in der Nacht auf gestern nur gestärkt.
Marie Kreutzers "Der Boden unter den Füßen" geht hart, aber unaufdringlich mit all den Phänomenen ins Gericht, die gemeinhin "Status" verheißen sollen: perfekte Oberflächen wie für Instagram-Selfies, Leistung statt Liebe und das "Wegwischen" von dem, was stören könnte. Der Film handelt von einer Frau auf zack, geradlinig, effizient, die als Karrieristin in einer deutschen Unternehmensberatung alles kann und tut. Gespielt wird sie von der Bad Schallerbacherin Valerie Pachner.
Wobei das Wort "gespielt" bei ihrer Leistung zu kurz greift: Die Rolle der Lola sitzt so ideal wie deren Business-Kostüme. Doch anders als die Wucht dieses Films, die sich aus wissend eingeflochtener Stille und Ruhe speist, ist es bei Pachners Spiel jede "Entgleisung" Lolas. Ob Angst, Scham, Zerbrechlichkeit, Qual – immer, wenn Lola doch etwas davon zulässt, hat Pachner das berührende, eindringliche Gesicht dafür.
Aus den sicher geglaubten Routinen ihrer Arbeit bringt sie ihre ältere Schwester Conny – eine durch Mark und Bein gehende Pia Hierzegger. Conny lebt allein in Wien, ist psychisch krank und muss nach einer Überdosis in die Psychiatrie. Dieser "Ausfall" ist so heftig, dass ihn die Jüngere nicht mehr in die Standardreihenfolge, die sie sich dafür zurechtgelegt hat, pressen kann: zu viel Pulver, Zusammenbruch, Auferstehung.
Lola, der ohnehin Anker wie ein echtes Daheim oder Eltern fehlen, will, muss, soll Conny helfen. Ein schmerzhaft schöner Bruch in ihrem Leben, weil er an das erinnert, was sie längst erfolgreich exkludiert zu haben glaubt: Gefühle, Fehlbarkeit, Hilfsbedürfnis. Horror zieht auf. Aber kein plakativer, sondern einer, wie er schon blonde Frauen bei Polanski oder Hitchcock traf: Lola traut sich selbst nicht mehr. Zwielicht, das auch Lolas Chefin nährt. Mit Elise – eine fast beängstigend undurchschaubare Mavie Hörbiger – hat sie eine Beziehung. Ob Elise aus Liebe zu Lola oder zum Geschäft agiert?
In einer wankenden Welt muss Lola Antworten finden, Wege, um heraus- oder zumindest weiterzukommen. Kreutzer nimmt sich Zeit dafür, vielleicht in der Mitte etwas zu viel. Gestalterisch sowie inhaltlich tadellos bleibt der Film aber bis zuletzt – hart wie zart.
"Der Boden unter den Füßen": A 2018, 108 Min.,
OÖN Bewertung:
Premiere mit Marie Kreutzer: Lichtspiele Lenzing (27. 3., 19.15), Vorstellung mit Diskussion: Programmkino Wels (4. 4., 19.30)