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Von der Leuchtturmwarte gesehen

Von Corinna Antelmann, 27. Juni 2015, 00:04 Uhr
Von der Leuchtturmwarte gesehen Von Corinna Antelmann
Bild: OON

In Teil drei der Serie "Zur Lage des Landes" schildert Autorin Corinna Antelmann ihren Blick auf Oberösterreich im Jahr der Wahl.

Was heißt: militante Radfahrer?, fragt mich mein oberösterreichischer Autorenkollege, als wir im Café Meier sitzen, um die Sprachunterschiede zwischen Norddeutschland und Oberösterreich zu klären. Er mag die Ausdrücke, die ich auf die Gefahr hin verwende, unverstanden zu bleiben, wenn ich sage: Lass sie schnacken!, und damit meine, er solle andere reden lassen, ohne sich darüber zu ärgern, schließlich markiere Ärger den Beginn aller Feindschaft, und meist ist die Ursache dafür Unverständnis, denn Unverständnis macht Angst, macht Wut. Verstanden-werden-Wollen gehört zu den urmenschlichsten Bedürfnissen, aber was tun, wenn bereits die Sprache den Zugang zum Verstehen versperrt, und dann treten Missverständnisse auf und schließlich Fremdenhass?

Beziehst du das auf uns?, fragt mein Kollege, und ich lache und denke, dass es ja nicht allein sprachliche Fremdheit gibt, sondern auch die Fremdheit im Umgang, wenn ich zum Beispiel vergeblich warte, dass sich jemand interessiert über den Tisch beugt und sagt: Kenne ich nicht, erzähl mir darüber!

Irrationale Ängste

Vermutlich resultiert das vermeintliche Desinteresse ebenfalls aus Angst, es gibt sogar die Angst vor Piefkenisierung, wie ich unlängst las, also vor Wörtern wie schnacken, nehme ich an, wobei das norddeutsche Wort für reden möglicherweise weniger beängstigend wirkt als das syrische, das ich nicht kenne. Ich kann den Wunsch, sich vor fremden Einflüssen abschotten zu wollen, oft nicht verstehen, wenn ich allerdings im Mühlviertel unterwegs bin, gelingt es mir doch. Wie idyllisch es hier ist, denke ich dann, kein Wunder, dass die Paradiese geschützt bleiben wollen und unangetastet. Nur kann es nicht funktionieren, das Fremde außen vor zu lassen; es dringt in uns hinein, als Fremdes über das Mittelmeer, vorwiegend jedoch aus uns selbst heraus über die fremden Gewässer der irrationalen Ängste, die sich manchmal nur schwer in die Sprache des Bewussten übersetzen lassen. Ist mir zum Beispiel bewusst, woher der Ärger rührte, mit dem ich das Gespräch startete?

Zurück zum Thema: militante Radfahrer, sage ich jetzt und erkläre: So nannte ich das radfahrende Volk, als ich noch in Oldenburg wohnte; du kannst dir hierzulande nicht vorstellen, wie es sich dort oben verhält. Nicht selten sauste eine Faust auf die Kühlerhaube meines Autos nieder, wenn ich einem der vielen Fahrräder angeblich die Vorfahrt abschnitt. Neulich aber benahm ich mich angesichts eines militanten Autofahrers selbst wie eine militante Radfahrerin, da wurde ein fremder oder bekannter Ärger frei gesetzt, der allein das Verstehen zum Ausdruck brachte, wie schnell Eskalation und Feindschaft entstehen.

Erzähl mir davon, fordert mich der Kollegen-Freund auf.

Hör zu, sage ich, ich radele im Schritttempo mit meiner Tochter über den Zebrastreifen, als uns ein Autofahrer beinahe über den Haufen fährt; er hält an, aber statt sich zu entschuldigen, schreit er, dass wir gefälligst abzusteigen hätten. Ich schreie zurück, aber beim Anblick meiner verschreckten Tochter wird mir plötzlich bewusst, dass ein offenes Schrei-Duell kaum zur Deeskalation im Straßenverkehr beträgt.

Du hattest einen Grund, ruft mein Gegenüber, die Zebrastreifen werden zu wenig beachtet. So gesehen, erwidere ich, gibt es immer einen Grund, jemanden anzuschreien oder die Faust zu erheben, du weißt schon, die Angst, in diesem Falle: Angst, über den Haufen gefahren zu werden; was in Linz leichter geschehen könnte als in Hamburg, vermute ich, obwohl es die Vision eines fahrradfreundlichen Oberösterreichs gibt; erst kürzlich las ich über eine Delegation von Oberösterreichern, die nach Kopenhagen fuhr.

Hvorfor?, fragte meine dänische Nachbarin, als ich ihr davon erzählte, warum?, und ich sagte: um sich über die Radwege zu informieren. Wir lachten gleichzeitig: Warum haben sie nicht gleich uns gefragt?

In Bezug auf Oberösterreich verstehen wir uns beinahe wortlos, weil wir beide aus dem Norden stammen, zu Hause aber ist das Dänische dem Deutschen fremd und umgekehrt. Alles eine Frage der Perspektive.

Es geht noch weiter, sage ich jetzt: Als ich mittags über den Zebrastreifen Richtung Herrenstraße radelte, wiederholte sich die Szene vom frühen Morgen: Ich werde beinahe überfahren, das Auto hält, der Fahrer schreit mich an.

Mein Freund glaubt mir nicht.

Doch, beteure ich, zweimal am Tag die gleiche Situation! Wenn das keine Aufforderung an mich ist, die eigene Aggression zu erkunden. Ich bin ein friedliebender Mensch, aber das sagen vermutlich alle von sich, nur kippt dieser Frieden recht schnell, sobald die eigene Existenz bedroht scheint; wir kennen das aus anderen Zusammenhängen, und selten wird die empfundene Bedrohung der Wirklichkeit gerecht. Oder bedroht es wirklich mein Leben, wenn ich angeschrien werde? Sterbe ich, wenn ich Flüchtlinge aufnehme?

Meine Großeltern waren ebenfalls Flüchtlinge.

Bei Durchsicht der österreichischen Verkehrsregeln erfahre ich, dass Radfahrer zwar den Zebrastreifen benutzen dürfen, aber keinen Vorrang erhalten, solange sie nicht absitzen, heißt: Ich hätte keinen vollen Anspruch auf Schadensersatz, wenn ich überfahren werde.

Mein Fehler.

Abseits vom Straßenverkehr, der eine Art Freifahrt für unterdrückten Ärger zu bieten scheint, von Hamburg über Linz bis Damaskus, erlebe ich viele hilfsbereite Menschen in Oberösterreich, und denke: Ja, Menschen für Menschen, darum sollte es in der Vision der Lebensräume für das 21. Jahrhundert gehen. So lautet das Thema des Ars Electronica Festivals, das im September in Linz stattfinden wird; es stellt die Frage, wie unsere künftigen Städte beschaffen sein sollen und beschäftigt sich womöglich auch mit dem Thema Mobilität in künftigen Megacitys: autofreie Innenstädte, ausgebaute Fahrradwege (für das norddeutsche Herz), menschen- und ressourcenorientierte Konzepte der Städteplanung.

Linz ist keine Megacity, sondern übersichtlich und, nach österreichischen Maßstäben, beinahe platt (siehe: norddeutsches Herz). Ich lebe gern hier und liebe besonders den Radweg an der Donau. Apropos, frage ich den Oberösterreicher, warum wird der Wasserweg nicht wie in Hamburg als öffentlicher Nahverkehr genutzt, um die Straßen zu entlasten? Politik ist für die Menschen da. Und wovon träumen Menschen?

Konfrontation mit Fremdheit

Meine Tochter davon, dass der Schulweg über Wiesen führt, der militante Autofahrer davon, seine Aggressionen anderswo parken zu können. Oder ganz abzulegen, um stattdessen verstanden zu werden. Statt zu schreien, hätte ich absteigen sollen und fragen, wo ihn der Schuh drücke. Das meine ich ernst. Solange Ärger nicht verstanden wird, können allzu leicht Ängste geschürt und für den Wahlkampf eingesetzt werden. Das ist einfach. Vielleicht hatte besagter Autofahrer gerade die letzten Bundesländer-Wahlergebnisse erfahren und sich geärgert oder sie im Gegenteil befürwortet, weil es ihn aus einem von ihm unerkannten Grund ängstigt, was auch in Oberösterreich geschieht: Konfrontation mit Fremdheit. Und dann wollte ihm eine militante, norddeutsche Radfahrerin die Kühlerhaube zertrümmern, die Angst wandelte sich in Wut und fand einen Freifahrtschein.

Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt für Menschen, und egal, ob Radfahrer Vorrang haben oder nicht, fahren sie einander nicht um, sondern fragen, wo der Schuh drückt. Am Zebrastreifen steige ich jetzt immer ab. Nun ist das Recht auf meiner Seite, unversehrt durchs Leben zu kommen, solange ich nicht vertrieben werde, und Wiesen gibt es in Oberösterreich besonders schöne.

Ja, stimmt mein Freund zu.

Die Autorin
Bild: VOLKER WEIHBOLD

Die Autorin

Die 1969 in Bremen geborene Corinna Antelmann hat Medien und Visuelle Kommunikation und Literatur studiert. Im Jahr 2006 hat es die freie Autorin, Dramaturgin und Dozentin für Storytelling nach Linz verschlagen.

Die 46-Jährige hat Drehbücher für Film und Fernsehen geschrieben und neben vielen Kurzgeschichten unter anderem die Jugendbücher „Die Schattenseite des Mondes“ (2012) und „Der Rabe ist Acht“ (2014) sowie die Romane „Die Farbe der Angst“ (2009), „Im Paradies“ (2010) und zuletzt „Vier“ (2014) verfasst. 2013 wurde sie mit dem Frau-Ava-Literaturpreis ausgezeichnet.

 

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