Gottes feurige Erde

Aus dem Archipel der sieben zu Sizilien gehörenden Liparischen Inseln sticht der aktive Vulkan Stromboli mit seinen fast 1000 Metern buchstäblich hervor..
Ich mag das Kerlchen, klingt doch schon sein Name so herzig: Strombolicchio. Wer aber nun in dem Kleinen ein Kind oder ein Enkelchen des fast 1000 Meter hohen Vulkans Stromboli vermutet, der irrt. Eher kann man in dem Zwerg den Ururgroßvater des heutigen Kegels sehen, der Feuer spie, als der aktuelle Stromboli noch gar nicht geboren war, sondern sich erst langsam unter dem Meeresspiegel aufbaute. Als er dann vor 160.000 Jahren auftauchte, war er submarin schon 2000 Meter gewachsen – so tief nämlich ist das Tyrrhenische Meer hier. Dem Ur-Stromboli hingegen setzte die Erosion arg zu. Von ihm überlebte, anderthalb Kilometer vor der Küste, nur der harte Schlot, eben der Strombolicchio.

Mit Bienen und Wespen durch die Gassen
Der Leuchtturm auf diesem Solitär zwinkert den Frühaufstehern an Deck der Laurana schon von Weitem alle 15 Sekunden zu. Nach einer zehnstündigen nächtlichen Überfahrt von Neapel legt die riesige Fähre in der Morgendämmerung am Pier von Scari an. Plötzlich bricht auf dem Schiff Hektik aus und die Crew zieht jenen Passagieren, die ihre Kabine nicht blitzartig räumen, quasi das Leintuch unter dem Nachthemd weg. Also nichts wie raus aus dem Dampfer und den Fuß auf festen Boden gesetzt! Wobei fest in diesem Fall relativ ist: Stromboli ist die feurigste der sieben Liparischen Inseln, des vulkanischen Archipels im Tyrrhenischen Meer nördlich von Sizilien.

Am Kai wartet schon Nino, um unser Gepäck auf seine Ape zu laden. Api, "Bienen", heißen diese typischen italienischen Dreiradler vermutlich deshalb, weil sie emsig unterwegs sind. Wie weiland die Esel transportieren sie Menschen und Waren durch die engen, steilen Gassen der Insel, in denen Autos fehl am Platz wären. Die Api stammen aus dem Hause Piaggio, das mit dem Motorroller Vespa ("Wespe") in den Nachkriegsjahren mobil machte. Noch knattern und stinken diese Bienen auf Stromboli, aber inzwischen gibt es auch schon Viertakter und E-Api. Ungeachtet des Antriebs sieht sich jeder Fahrer eines solchen "Vespacars" als Formel-1-Pilot.
Ein erster Erkundungsspaziergang führt durch die verwinkelten Pfade des alten Ortsteils San Vincenzo hoch zur gleichnamigen Kirche, in der eine Krippe das traditionelle Dorfleben wiedergibt. Und die Terrasse vor dem Gotteshaus bietet einen prächtigen Ausblick auf den schwarzen Lavasandstrand. Auf dem Rückweg fällt uns in der Via Vittorio Emanuele rechter Hand an einem rostroten Gebäude eine Tafel mit einer verwaschenen Inschrift auf. Mühsam entziffern wir: "In questa casa dimoró Ingrid Bergman che con Roberto Rossellini giró il film ‚Stromboli’ nella primavera del 1949". Also "in diesem Haus weilte Ingrid Bergman, die mit Roberto Rossellini im Frühjahr 1949 den Film ‚Stromboli’ drehte".

Das ist freilich eine jugendfreie Formulierung der Geschichte. Tatsächlich lebten die Schauspielerin und der Regisseur in diesem Haus zusammen, was für das ach so moralische Hollywood, wo der Streifen fertiggestellt wurde, ein Skandal erster Güte war. Noch dazu, da zur gleichen Zeit beider Söhnchen Robertino das Licht der Welt erblickte. Aber auch im katholischen Italien empfand man diese wilde Ehe damals als Ärgernis, zumal das Paar verheiratet war, aber nicht miteinander. Inzwischen sind die Einheimischen stolz darauf, dass ihre Insel als Set gewählt wurde, verschaffte doch Rossellinis neorealistisches Drama "Stromboli – Terra di Dio" ihrer "göttlichen Erde" über Nacht Weltruhm.
Jedes Frühjahr werden die weißen Häuser des Eilands frisch gekalkt, wer nicht aufpasst, ist schnell "angeschmiert". In zum Teil romantisch verwilderten Gärten entfaltet sich eine üppige Vegetation. Opuntienhecken drohen Eindringlingen mit ihren Stacheln, Feigenbäume beginnen ihre nackten Äste mit den berühmten Blättern zu bedecken, der knallgelb blühende Ginster ist da schon weiter, ebenso die Frühlingstamariske mit ihren zartrosa Blüten. Hibiskus, Rosen, Oleandersträucher und Bougainvillea werden folgen. Den schwarzen Sandstrand rahmen violette Mittagsblumen ein, auf dem fruchtbaren vulkanischen Boden gedeihen Malvasia-Trauben, und Riesenfenchel ziert die Flanken des Feuerberges.
Verbotenes Gipfelglück
Am späteren Nachmittag machen sich die Bergsteiger auf den Weg, Hobby-Wanderer ebenso wie "schwer bewaffnete" Profi-Fotografen, die Teleobjektive und mächtige Stative auf den Vulkan schleppen. Allerdings: Zum Pizzo, dem Gipfel, darf man seit geraumer Zeit nicht mehr, selbst mit einem der ansonsten ab der halben Seehöhe vorgeschriebenen Führer nicht, vom einst oben erlaubten Übernachten ganz zu schweigen. Die bunte Besucherschar "klettert" etwa zwei Stunden lang auf dem Panorama-Höhenweg über Stock und Stein. Noch ist von den Eruptionen nichts zu sehen, aber man hört bereits entweichende Gaswolken zischen und basaltene "Kanonenkugeln" in die Tiefe poltern.

Ist der Aussichtspunkt auf 400 Metern über dem Meer erreicht, heißt es zunächst einmal warten. So richtig genießen kann man die aus dem Krater schießenden Feuerfontänen nämlich erst im Dunkeln. Vorderhand ist Geduld angesagt und oft auch Frieren. Zwar kommt man beim Aufstieg gehörig ins Schwitzen, doch mit dem Sonnenuntergang kühlt es rapide ab. Endlich hebt sich das glühende Auswurfmaterial, das der Stromboli derzeit alle 15 bis 20 Minuten mit Getöse aus seinem Schlund schleudert, vom dunkelblauen Himmel eindrucksvoll ab. Über die Sciara del Fuoco, was mit "Feuerrutsche" sehr frei übersetzt ist, kullern die roten Brocken ins aufschäumende Meer.
Peu-à-peu macht sich die Menge an den Abstieg. Wer Glück hat, dem leuchtet der Vollmond heim. Bei Neumond hat man (hoffentlich) eine Stirnlampe oder ein aufgeladenes Handy dabei. Etappenziel ist das Osservatorio. Beobachten lässt sich hier vor allem, wie die (verhinderten) Gipfelstürmer traditionelle Gerichte verzehren. Pizza statt Pizzo sozusagen, ist doch das Observatorium eine Art Schutzhaus. Erfreulicherweise liegt das Lokal bloß 115 Meter hoch, sodass die auf Hütten gern geübte Praxis, die Seehöhe zur Zeche zu addieren, da kaum ins Gewicht gefällt. Gehfaule können übrigens vom Osservatorio die Eruptionen sehen, nicht aber die Sciara.
Die Liparischen Inseln heißen auch Äolische Inseln, nach dem griechischen Gott des Windes, der – wie Homer berichtet – schon Odysseus (freilich selbstverschuldete) Probleme bereitet hatte. Modernen Touristen kann es gelegentlich ähnlich ergehen, wenn ein Sturm die Wellen so weit aufpeitscht, dass sie zwar herrliche Brandungswellen sehen, nicht aber das Tragflügelboot "Aliscafo", das sie befördern sollte. Dann muss Nino mit dem Gepäck vom Hafen wieder zurück ins Hotel knattern. Da diesfalls auch keine neuen Gäste ankommen, sind die Zimmer ja noch frei…