Die hart erarbeitete Welt der Oper
Zu Besuch bei der Linzer Sopranistin Ilia Staple im Münchner Gärntnerplatztheater.
"Mit 15 wollte ich nichts über Rock oder Pop hören, sondern alles über Harmonielehre erfahren und Bruckner-Sinfonien analysieren. Und ja, ich bin ein weiblicher Nerd, aber ein Breitband-Nerd", sagt Ilia Staple. Dabei lacht sie in spitzen Höhen, dass sich die Gäste in dem Münchner Restaurant "Cotidiano" lächelnd zu ihr umdrehen. Man kennt die blonde Sängerin hier. Es ist ihr Stammlokal.
2018 wurde Staple als Karenzvertretung an das 200 Meter neben dem Restaurant aufragende Gärntnerplatztheater engagiert. Vor zwei Monaten unterschrieb die Linzerin und Absolventin des Landestheater-Opernstudios einen Dreijahresvertrag. Der Niederösterreicher Josef Ernst Köpplinger wirkt an dem 1865 eröffneten und zuletzt aufwändig sanierten Opernhaus seit 2012 höchst erfolgreich als Intendant.
Vergangene Woche hatte Staple in Hans Werner Henzes komischer Oper "Der junge Lord" (Libretto: Ingeborg Bachmann) als Ida und in der Regie von Brigitte Fassbaender Premiere. Publikum und Kritik waren gleichermaßen begeistert. Man ist zu der Annahme verführt, dieser 30-Jährigen fliege alles zu. Was für ein Irrtum.
Leerstelle der Vaterlosigkeit
Dennoch wurde sie nie zur Musik gedrängt, obwohl dies naheliegend gewesen wäre: Ihre Mutter ist die Leondinger Gesanglehrerin Hildegard Kriechbaumer. Ihren Vater Thomas Vierlinger (Chordirektor an der Städtischen Oper Dortmund) hat sie nie kennengelernt. Er starb 1988 während der Schwangerschaft ihrer Mutter an einem Herzinfarkt und riss eine Leerstelle in Staples Leben, die viele Jahre in Form einer Angst vor dem Alleinsein nachwirkte: "Wäre nicht mein Mann Alvin, ich hätte mir München nie zugetraut. Er gibt mir Sicherheit." Alvin Staple ist Linzer Kontrabassist mit britischen Vorfahren. Er studierte Klavier und Dirigieren. Weil er ein Orchester-Instrument erlernen musste, entschied er sich für das Streicher-Ungetüm und ist nun Stimmführer des Bruckner Orchesters. "Alvin ist grandios talentiert. Ich dagegen hatte nie das Vertrauen, dass sich Dinge für mich gut entwickeln, wenn ich nicht fleißiger bin als andere", sagt Ilia Staple.
Noch während ihrer Schulzeit im Stifter-Gymnasium zog sie mit 17 von zu Hause aus. Die Streitereien mit ihrem Stiefvater waren unerträglich geworden. Nach dem Unterricht pendelte sie täglich zum Gesangs-Vorstudium nach Wien. Parallel dazu entwickelte sich das Quartett Lalá zu einer internationalen Marke. 2018 stieg sie nach zwölf Jahren aus dem Vokalensemble aus. Zwei Jahre lang besuchte sie die Pädagogische Akademie, deren Gründungsrektor ihr im Jänner verstorbener Opa Rupert Vierlinger war. Einerseits hatte sie die Fristen für die Aufnahmeprüfung des Gesangsstudiums verpasst, andererseits misstraute sie noch der professionellen Tragfähigkeit ihrer Stimme.
Heute wirkt ihr beweglicher Koloratursopran in den Höhen längst grenzenlos. Die Stabilität in der Mittellage verbesserte Staple hartnäckig. Zuletzt sang sie regelmäßig bei den Musical-Festwochen in Bad Leonfelden, beim Lehár-Festival in Bad Ischl, außerdem in Baden und am Landestheater sowieso.
In München öffnete sich das Tor zur etablierten Opernwelt. Dazu gehören auch gepfefferte Mietpreise von 1200 Euro kalt für gut 50 Quadratmeter – allerdings in bester Lage des mondänen Glockenbachviertels. Bis hierher hat es Ilia Staple also geschafft. Und es sieht nicht so aus, als wäre München das Ende ihres Weges.