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Grenzenlose Genialität

Von Carsten Hebestreit, 12. Mai 2019, 07:28 Uhr
Grenzenlose Genialität
DS – „die Göttin“: Die Produktion endete 1975, heute ist DS die Luxus-Automarke von PSA Bild: VOLKER WEIHBOLD

André-Gustave Citroën gründete vor 100 Jahren eine Automarke, die viele Kult-Fahrzeuge auf die Straßen brachte.

Citroën – die Marke steht für grenzenlose Genialität und kapitale Flops, für absoluten Komfort und Kult-Kreationen. Vom Gangsterauto Traction Avant über den 2 CV bis hin zur "Göttin", der DS. Aber da parken auch Modelle wie Ami 6 oder Pluriel in den Geschichtsbüchern. Genial, schräg, aber teils finanzielle Totalschäden. Heuer feiern die Franzosen 100 Jahre Citroën.

André-Gustave Citroën war das fünfte Kind von Masza Kleinmann, einer Polin, und Levie Citroën, einem belgisch-jüdischen Juwelier aus Amsterdam. Der Jules-Verne-Fan besuchte französische Eliteschulen und trat nach seiner Ausbildung als technischer Offizier in die Armee ein. Um 1900 besuchte der damals 22-Jährige Verwandte in Polen und sah dort diverse Getriebe. Nach seiner Rückkehr ließ er sich die Doppelwinkel-Form der Getriebe-Radzähne patentieren. Die typische Form wurde das Markenzeichen der Marke.

1908 erhöhte Citroën beim Hersteller Mors die Produktion von zehn auf 100 Autos pro Monat, vier Jahre später studierte der Franzose die Fließbandtechnik bei Henry Ford.

Viel Geld mit Munition verdient

Im Ersten Weltkrieg erlebte er an der Front die extreme Munitionsknappheit. Durch seine Ideen konnte die Produktion von Geschützmunition innerhalb kurzer Zeit verzehnfacht werden. Citroën lieferte in den Kriegsjahren 23 Millionen Schrapnellgranaten.

Nach Kriegsende musste der Franzose seine Munitionsfabrik auslasten und stieg auf die Automobilproduktion um. Das Startkapital hatte Citroën mit dem Munitionsverkauf verdient. 1919 rollte der Citroën Typ A (Citroën 10HP) aus der Halle. Preis: 7950 Francs. Der 1,3-Liter-Vierzylinder leistete nur 18 PS, hatte aber im Gegensatz zum Mitbewerb einen E-Starter und ein Reserverad – eine absolute Novität.

Erste Leasingautos

Ab 1921 bot Citroën sein Modell als Leih- bzw. Leasingauto an. Gleichzeitig ließ er 165.000 Straßenschilder und Wegweiser aufstellen – versehen mit dem Zusatz "Gestiftet von Citroën". Vier Jahre später leuchtete der Citroën-Schriftzug in gigantischen Lettern auf dem Eiffelturm. Atlantik-Überquerer Charles Lindbergh nutzte die Leuchtreklame als Orientierungshilfe.

Der Unternehmer zahlte seinen Angestellten als erster Betrieb in Europa ab 1927 ein 13. Gehalt und gewährte ab 1929 eine einjährige Garantie auf seine Neuwagen. Er gründete einen Betriebskindergarten und ein Betriebsorchester und führte eine Krankenversicherung und eine Betriebspension ein.

1934 folgte der nächste Geniestreich: Das Gangsterauto Traction Avant rollte mit einem Vorderradantrieb daher. Sein inzwischen legendärer Kommentar: "Ein Pferd schiebt ja auch keinen Wagen, sondern zieht ihn."

Tot mit 57 Jahren

André Citroën starb im Alter von 57 Jahren am 3. Juli 1935 an einem bösartigen Tumor.

Die enormen Entwicklungskosten für den Vorderradantrieb des Traction Avant trieben den Autohersteller in die Pleite, der größte Gläubiger – Michelin – übernahm 1935 das Unternehmen. Der Traction Avant wurde danach ein Riesenerfolg.

Nach Kriegsende setzte Citroën dort fort, wo das Werk vor Kriegsbeginn aufgehört hatte. Darunter war der leichte Frontlenker-Lieferwagen TUB, der als Typ H ab Juni 1948 erhältlich war und mit seinem Wellblech das Straßenbild in Frankreich prägte: 4,28 Meter lang, 35 Zentimeter Ladekantenhöhe sowie zwei Europaletten Ladevolumen. Mindestens. Zu Beginn waren 850 Kilogramm Zuladung erlaubt, später 1600 Kilogramm. Und dies bei 1350 Kilogramm Leergewicht (Typ HY). Der Typ H (auch HX, HY, HW und HZ) wurde bis zum Produktionsende 1981 mehr als eine halbe Million Mal verkauft.

Ein Jahr nach dem Typ H präsentierte Citroen den 2CV, die Ente. Zuerst belächelt, erlangte die geniale Konstruktion rasch Kultstatus.

Legendär ist jedenfalls der Auftrag, den Citroën-Direktor Pierre-Jules Boulanger seinem Konstrukteur André Lefèbvre erteilt hatte: "Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und dabei nur drei Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht. Außerdem soll es selbst schlechteste Wegstrecken bewältigen können und so einfach zu bedienen sein, dass selbst eine ungeübte Fahrerin problemlos mit ihm zurechtkommt. Es muss ausgesprochen gut gefedert sein, sodass ein Korb voll mit Eiern eine Fahrt über holprige Feldwege unbeschadet übersteht. Und schließlich muss das neue Auto wesentlich billiger sein als unser ‚Traction Avant’. Auf das Aussehen des Wagens kommt es dabei überhaupt nicht an."

Schon 1939 hatte Citroën 250 wassergekühlte Prototypen ("A" bzw. TPV – "toute petite voiture", zu deutsch "ganz kleines Auto") produziert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ging die "Ente" in Serie. Der Prototyp wog dank Alu-Aufbau nur 380 Kilogramm. Die Sitze waren mit Segeltuch bespannt, gestartet werden musste der Motor per Handkurbel. Der einzelne Scheibenwischer wurde über die ankuppelbare Tachowelle angetrieben. Blinker, Außenspiegel oder zweiter Frontscheinwerfer? Fehlanzeige!

Doch die "Ente" versprühte ein Lebensgefühl. Minimalistisch, billig, praktisch und trotzdem mit hohem Spaßfaktor.

Nach den Modellen "Club" und "Special" folgte 1980 der weinrot-schwarze "Charleston"-2CV. Die Abgasnormen wurden verschärft, die Nachfrage sank – am 27. Juli 1990 verließ die letzte "Ente" das Produktionsband im Werk Mangualde (Portugal).

"Göttin" mit Kultfaktor

Kultfaktor erreichte auch die DS, die Göttin. 1955 auf dem Pariser Autosalon vorgestellt, schwebten die Passagiere in dem Wagen dank Hydropneumatik über die Straßen. Genial, aber auch anfällig war das hydraulische System. Nach 1.456.115 DS war am 24. April 1975 Produktionsende.

Die Genialität der Citroën-Konstrukteure war grenzenlos. Die Entwickler dachte von schräg nach quer, die Ergebnisse ließen nicht nur die Konkurrenz staunen. Privat-Mechaniker verzweifelten, weil ohne Spezialwerkzeug nichts ging. Die französische Marke galt als reparatur- und rostanfällig.

1975 schluckte Peugeot die Kollegen mit dem Doppelwinkel-Logo. Der neue Name: PSA (Peugeot Société Anonyme).

Geniale Idee floppte

Die Genialität blitzte seither nur noch selten auf. Im C4 drehte sich beispielsweise der Innenteil des Lenkrades nicht mit. Witzig, logisch, aber der Markt nahm die Neuerung nicht an. Wie auch die abnehmbaren Dachholme des Spaßfahrzeugs Pluriel.

Dafür schufen die Franzosen mit dem Hochdachkombi Berlingo eine neue Fahrzeugklasse. Jüngst erst wagte Citroën unter CEO Linda Jackson wieder mehr. Die Bumper auf den Seitentüren des Cactus, die aussehen wie Legosteine von oben, schrumpften mit den Jahren zwar wieder, aber die positiven Rückmeldungen auf den auffälligen wie praktischen Schutz waren Balsam auf die jahrelang geschundene Citroën-Seele. Brettlebene, gemütliche Sitze, eine neue Federungskonstruktion – an Ideen mangelt’s nicht. Der neue Mut tut den Franzosen gut. Für die nächsten 100 Jahre.

 

Zeitleiste

  • 1919 - Typ A: 24.093 Einheiten baute Citroën zwischen 1919 und 1921 von seinem ersten Modell, dem Typ A. 18 PS stark, 65 km/h schnell.
  • 1935 - Traction Avant: Das „Gangsterauto“ hatte dank Vorderradantrieb exzellente Fahreigenschaften und diente oft als „Fluchtauto“.
  • 1948 - Typ H: Nur 1,3 Tonnen Leergewicht, dafür zwischen 850 und 1600 Kilogramm Zuladung: Der Typ H war ein Riesenerfolg.
  • 1949 - 2CV: Das legendärste Citroën-Modell wurde bis 1990 gebaut. Erst belächelt, wurden fast 3,9 Millionen Stück davon verkauft.
  • 1961 - Ami 6: Nur acht Jahre im Angebot, verkaufte Citroën mehr als eine Million Einheiten von dem umstrittenen Wagen mit der schrägen Heckscheibe.
  • 1974 - CX: Das typische Gesicht Citroëns in den 70er und 80er Jahren. 1,17 Millionen Stück (Berline und Break) wurden zwischen 1974 und 1991 gebaut.
  • 2003 - C3 Pluriel: Ein runder Typ mit abnehmbaren Dachholmen: Der Pluriel war dann ein Cabrio, doch setzte sich die Idee nicht durch. 2010 war Schluss.
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Autor
Carsten Hebestreit
Redakteur Motor
Carsten Hebestreit
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