Kein Schmerzensgeld für trauernde Schwester? Machtwort des OGH
WIEN. Wenn die Schwester wegen eines Ärztepfusches stirbt, haben Geschwister ein Recht auf Trauerschmerzensgeld, so das Höchstgericht
Dramatische Szenen spielten sich im Februar 2017 in der Wohnung einer Familie in Wien ab. Eine 20-Jährige, die mit ihrer 17 Jahre alten Schwester noch bei ihren Eltern wohnte, bekam plötzlich Herzrasen und kollabierte. Die junge Frau wurde ins Spital gebracht, wo sie noch am selben Tag verstarb.
Die Todesursache: Lungenembolie. Ursächlich dafür soll eine Antibabypille gewesen sein, die eine Gynäkologin verschrieben hatte. Der Vorwurf der Angehörigen: Die Ärztin habe der 20-Jährigen zwei Probepackungen mitgegeben, ohne das Ergebnis des APC-Tests abzuwarten. Dieser Bluttest sollte abklären, ob bei der Patientin ein erhöhtes Risiko besteht, eine Thrombose zu erleiden.
Die Grazer Rechtsanwältin Karin Prutsch brachte im Namen der Schwester eine Klage gegen die Gynäkologin ein und forderte 17.000 Euro Trauerschmerzensgeld. Die "Missachtung der ärztlichen Kunstregeln" sei "auffallend sorglos erfolgt", hieß es in der Klage. Die Höhe des geforderten Betrages ergebe sich aus der "intensiven Gefühlsgemeinschaft der Klägerin zu ihrer Schwester".
Die Ärztin konterte, die Anamnese habe keine Hinweise ergeben, die gegen die Verschreibung der Pille gesprochen hätten. Auch der erst später durchgeführte APC-Test habe Ergebnisse im Normbereich geliefert. Das Landesgericht und das Oberlandesgericht Wien ließen die Klage nicht gelten: Eine Haftung komme nur aus dem Behandlungsvertrag zwischen der Ärztin und der Patientin in Frage. Doch bei dieser Haftung sei "das Alter der Geschwister von grundlegender Bedeutung".
Keine "innige Nahebeziehung"
Wenn der Trauernde das Erwachsenenalter erreicht habe bzw. "nicht mehr als Kind zu betrachten" sei, dann sei "nicht mehr von einer innigen Nahebeziehung zwischen Geschwistern auszugehen", so auch das Berufungsgericht. Die vertragliche Haftung schütze nur Ehepartner und Lebensgefährten, aber nicht Geschwister. Dies sah der Oberste Gerichtshof aber anders: Es komme in diesem Fall sehr wohl auch eine sogenannte deliktische Haftung, also eine Schadenersatzpflicht wegen grober Fahrlässigkeit, in Frage. Bei dieser können auch Geschwister Trauerschmerzensgeld verlangen, wenn eine "enge Gefühlsbindung" besteht – wovon auszugehen sei, wenn die Geschwister in einem Haushalt zusammenwohnen.
Doch ob die Gynäkologin (grob) fahrlässig gehandelt habe, darüber hätten die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen, rügte der OGH. Er hob das die Trauerschmerzensgeld-Klage abweisende Urteil auf und verwies die Causa zurück an die erste Instanz.