"Er konnte nicht akzeptieren, dass sie ihn nicht wollte"
WELS. Begonnen hat alles im Frühjahr 2021 auf der Internetplattform Discord. Dort hatte Ariel G. sein späteres Opfer kennengelernt. Nahezu täglich tauschte sich der aus Israel stammende G. mit Mara L. (Name von der Redaktion geändert) in einem Chatroom aus. Musik, Videospiele, Alltagsprobleme – über alles konnte der 26-jährige G. mit der Frau aus Regau reden. Obwohl die Bekanntschaft nur virtuell geführt wurde, war bald von einer Liebesbeziehung die Rede. Bis Mara L. mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte. Dann beschloss Ariel G. zu handeln.
Es ist der Prolog eines Gewaltverbrechens, das sich vergangenen Oktober im Bezirk Vöcklabruck zutrug. Mit einem Mietauto war G. am 17. Oktober von seinem Wohnort München nach Regau gefahren, wollte laut eigenen Aussagen "nur mit Mara reden". Im Kofferraum hatte er dafür Klebeband, eine Isolierzange und ein Küchenmesser.
"Du bist jetzt meine Geisel"
Am Mittwochvormittag betritt Ariel G. den Schwurgerichtssaal am Welser Landesgericht. Dünne Statur, ein zu weites Hemd. Er wirkt ruhig, als Staatsanwältin Kerstin Kutsam mit ihrem Vortrag beginnt.
"Er konnte nicht akzeptieren, dass sie ihn nicht wollte", sagt Kutsam und schildert das, was sich am Abend des 17. Oktobers zugetragen haben soll. Im Stiegenhaus ihres Wohnhauses habe der Angeklagte der 34-Jährigen aufgelauert, "und das, obwohl sie ihm nie ihre Adresse verraten hatte". Anhand der Landschaft im Hintergrund, die er bei diversen Videotelefonaten mit Mara L. sehen konnte, habe er das Gebiet eingegrenzt und den Wohnort der Frau gefunden.
In Schwarz gekleidet habe der 26-Jährige dann sein Opfer attackiert, dabei bereits gezückt: ein Messer mit einer neun Zentimeter langen Klinge. Die Frau habe sich gewehrt, dabei sei es zu Schnittverletzungen am Daumen von Mara L. gekommen.
"Du bist jetzt meine Geisel", soll er zu ihr gesagt haben, nachdem er sie in ihre Wohnung gezerrt hatte. Das Messer habe er dabei stets in der Hand gehalten. Er werde "sicher nicht ins Gefängnis gehen" habe er mehrmals gemurmelt.
"Die Qualen, die das Opfer in dieser Zeit durchleben musste, werden es ein Leben lang begleiten", sagt Kutsam. Bevor G. die Frau mit Klebeband fesselte, habe er ihr noch die Isolierzange gezeigt. "Ich werde dir die Finger damit abzwicken", soll er gedroht haben.
Das Martyrium der 34-jährigen Frau habe bereits rund drei Stunden gedauert, als Nachbarn an der Tür läuteten. Sie hatten das Blut im Aufzug und im Stiegenhaus entdeckt, riefen auch auf ihrem Handy an. Weil sie nicht antwortete, verständigten sie die Polizei.
Ariel G. sei panisch geworden, habe laut Kutsam plötzlich die Idee gehabt, in den Garten der Wohnanlage zu gehen. Eine Brücke in einem Wald unmittelbar neben der Wohnanlage sei das Ziel gewesen. "Und dann, auf dem Weg zu der Brücke, in völliger Dunkelheit, entschließt sich Mara L. zu einem Schritt, der ihr höchstwahrscheinlich das Leben gerettet hat", sagt Kutsam. Sie dreht sich um – und wehrt sich.
Ihr Entführer hält sie fest, trotzdem gibt Mara L. nicht auf. Zu diesem Zeitpunkt ist die Polizei längst vor Ort. Blaulicht erhellt den Nachthimmel, auch Hubschrauber sind in der Luft.
"Mara L. wollte fliehen, schrie um Hilfe, dann holte der Angeklagte aus und fügte ihr eine neun Zentimeter lange Wunde am Hals zu", berichtet Kutsam. Der Schnitt sei "tief, hat nur um wenige Zentimeter die Halsschlagader verfehlt". G. sei anschließend davongelaufen, Mara L. wurde von einem Nachbarn, der an der Suchaktion beteiligt war, erstversorgt und musste noch in der Nacht im Klinikum Vöcklabruck operiert werden. "Eine derartige Verletzung im Halsbereich ist ohne Zweifel lebensbedrohlich". Die Anklage lautet deshalb auf Freiheitsentziehung, schwere Nötigung und versuchten Mord.
Stichwunde "aus Versehen"
Der Vortrag des Verteidigers fällt vergleichsweise knapp aus. Die Staatsanwältin habe in den meisten Punkten recht, Ariel G. sei dazu auch grundsätzlich geständig. Nur den Vorsatz sowie die Tötungsabsicht bestreite er. "Ich wollte sie nicht töten, ich wollte vielmehr mich selbst umbringen", sagt der Angeklagte auf Englisch. Eine Dolmetscherin übersetzt, immer wieder muss sie ihn unterbrechen, weil sie etwas nicht verstanden hat.
Ariel G. habe Mara L., während er sie gefangen hielt, mehrmals gesagt, dass er ihr nichts antun werde. "Bei der Brücke wollte ich Mara freilassen, um danach Selbstmord zu begehen." Die Schnittwunde am Hals der Frau sei "aus Versehen" passiert. Als er die Flucht ergreifen wollte, habe er die Frau mit dem Messer gestreift. "Ich habe in der Dunkelheit etwas auf der Klinge gespürt, wusste aber nicht, dass es sich dabei um Mara handelt".
Nachdem er vom Tatort geflohen war, habe er sich mehrere Stunden im Garten eines Einfamilienhauses versteckt, bis er "keine Hubschrauber und Polizeiautos mehr gesehen oder gehört" habe.
Cobra als Lebensretter
Am darauffolgenden Vormittag habe G. zurück nach München fahren wollen. Als eine Streife auf ihn aufmerksam wurde, lieferte er sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, ehe er in einem Feld gegen einen Strommast krachte. Bevor das Einsatzkommando Cobra zu dem blauen Pkw gelangen konnte, stach sich G. mehrmals in den Hals, die Narben sind heute noch sichtbar. Nur aufgrund der Erste-Hilfe-Maßnahmen der Beamten sitzt er heute hier. "Dafür will ich mich noch einmal bedanken."
Ein Urteil in dem Geschworenenprozess wird erst für Freitag erwartet. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Angeklagten, der von Gutachtern für zurechnungsfähig erklärt wurde, bis zu 20 Jahre oder lebenslange Haft.
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