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„Wir ham gar net gwusst, dass Sie a Jud sind“

Von Martin Dunst, 02. November 2013, 00:04 Uhr
„Wir ham gar net gwusst, dass Sie a Jud sind“
Kino-Geschäftsführer Ernst Hartmann und ein Werbeplakat vom Vorgänger des Phönix-Kinos au dem Jahr 1921. Bild: Privatsammlung Wagner/Stadtarchiv

Bis 1938 hatte jüdisches Leben im Linz der Zwischenkriegszeit viele Facetten. Vom Kleiderhändler bis zum Kinobetreiber. Doch dann ging alles ganz rasch.

Sechshundert Mitglieder zählte die jüdische Gemeinde in Linz vor dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland. Ein Drittel der Menschen fiel der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten zum Opfer. Wie die jüdische Minderheit in Linz gelebt hat, was die Menschen erlebt haben, durchmachen mussten – das alles war bis dato weitgehend ein weißer Fleck in der Stadtgeschichte.

Diesen Fleck hat die Linzer Autorin Verena Wagner beleuchtet. Sie hat zehn jüdische Biographien aus dem Dunkel der Vergangenheit geholt und in ihrem neuen Buch veröffentlicht. „Mir waren die normalen, unbekannten Menschen ein Anliegen, jüdisches Leben in Linz war einst sehr vielfältig“, sagt Wagner zu ihrer Auswahl. Ein Beispiel dafür ist die Lebensgeschichte von Helga Eichner (verheiratete Zitcer). Eichner wurde 1929 in Linz geboren und lebt heute in London.

Als Einzelkind hatte sie es nicht leicht, fühlte sich oft einsam. Ihre Eltern Walter und Margit Eichner betrieben ein Bekleidungsgeschäft in der Klosterstraße 1. So war die kleine Helga zwar immer sehr fein angezogen, musste aber auch stundenlang neue Kleider probieren, durfte sich nicht schmutzig machen und wurde dauernd ermahnt Obacht zu geben. Bereits in der Schule war sie als einziges jüdisches Kind mit Antisemitismus konfrontiert. Die Kinder sagten Sprücherl auf wie „Heil Schuschnigg unser Führer, wir werden immer dürrer, die Juden immer fetter, drum Hitler unser Retter.“

Judentum verheimlicht

Helgas Eltern verbargen ihr Judentum so gut es ging, praktizierten ihren Glauben nicht. Wohl auch um den Fortgang ihres Geschäfts nicht zu gefährden. Einzig, die Oma von Helga Eichner hatte ihren fixen Platz in der Synagoge und lebte ihren Glauben. Gute Erinnerungen hat Eichner bis heute an ihr christliches Kindermädchen, das ihr ihre Eltern an die Seite gestellt hatten. Diese Beziehung überdauerte die schlimmsten Zeiten, die bald über die jüdische Familie hereinbrechen sollten.

Die Repressalien gegen jüdische Mitbürger setzten praktisch von heute auf morgen ein. Nicht wenige, konnten gar nicht glauben, wie ihnen geschah. Auch die Eichners waren nach dem Anschluss sofort vom Nazi-Terror betroffen. Als aufgekommen war, dass sie Juden waren, reagierten manche Kunden verblüfft: „Aber Herr Eichner wir ham ja gar net gwusst, dass sie a Jud sind.“ Für die kleine Helga blieb damals vieles im Unklaren. Sie verstand etwa nicht, warum sie sich keine Zöpfe wachsen lassen durfte, weil das die Haartracht des BDM (Bund Deutscher Mädel) war. Ihre Eltern machten – wenn überhaupt – nur Andeutungen, erklärten ihrer einzigen Tochter nichts, vielleicht um sie zu schützen.

Unter der Nazi-Herrschaft waren die Ariseure am Zug. Ein ehemaliger Lehrbub wurde zum Chef im Modegeschäft an der Klosterstraße gemacht. Die jüdischen Besitzer wurden zum Verkauf gezwungen. Weil die Eichners um ihr Unternehmen kämpften, musste Helgas Vater ins Konzentrationslager Dachau um die Enteignung auf diese Weise zu beschleunigen.

Später konnte Walter Eichner nach England flüchten. Die Mutter und das einzige Kind mussten Linz verlassen und kamen kurzfristig in Wien unter. Dann folgte Margit ihrem Mann nach London. Helga musste im Alter von neun Jahren mutterseelenallein ins Exil nach Schweden flüchten. Sie kam bei Pflegeeltern unter, vereinsamte total.

Als sie schon nicht mehr daran glaubte, kam es 1942 zur Wiedervereinigung mit den Eltern. In einem abenteuerlichen Flug mit einem Kleinflugzeug ging es von Schweden über Norwegen nach Aberdeen und weiter nach London. Helgas Mutter glaubte die neunjährige Tochter von damals zurück zu bekommen. Doch Helga Eichner war ob ihrer Erlebnisse erwachsen geworden. Die Annäherung an die Eltern passierte nur langsam, war von vielen Konflikten geprägt. Walter Eichner überlegte eine Rückkehr nach Linz, sondierte nach dem Krieg an Ort und Stelle die Lage, viele Kunden von einst, erkannten ihn wieder und versicherten ihm sie seien keine Nazis gewesen. Margit Eichner lehnte eine Rückkehr nach Österreich kategorisch ab. Helga Eichner baute sich in England ein neues Leben und eine eigene Familie auf. Sie kehrte nur zum Skifahren in ihr Geburtsland zurück. Linz mied sie lange Zeit, vermied es auch tunlichst Deutsch zu sprechen um möglichen Fragen nach ihrer Vergangenheit auszuweichen.

Kinobetreiber und Präsident

Einen gänzlichen anderen Weg fand das Leben des Linzers Ernst Hartmann. Er war in zwei Phasen als Geschäftsführer des Phönix-Kinos tätig. Einmal bis März 1938 und das zweite Mal ab 1948. Auch Hartmann wurde vertrieben, überlegte lange hin und her, ob er in Palästina bleiben, oder die Rückkehr nach Oberösterreich wagen sollte. Er entschied sich für Linz. Ermutigt wurde er von den Besitzern des Kinos, die zu ihm standen und die das Lichtspielhaus nach dem Krieg mit Hartmanns Hilfe wieder aufbauen wollten. Das gelang bedingt. Hartmann war zudem maßgeblich am Wiederaufbau der Israelitischen Kultusgemeinde beteiligt. Er fungierte sogar als ihr erster Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie auch au dem Lichtspiel-Sektor, verlief auch in der Glaubensgemeinschaft nicht alles reibungslos. 1949 wurde Hartmann nicht wieder gewählt. Zu dieser Zeit begannen auch Auseinandersetzungen mit Simon Wiesenthal. Hartmann befürwortete dessen Ansinnen nach der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht. 1966 erhielt Ernst Hartmann das Silberne Ehrenzeichen der Republik. 1973 starb der umtriebige Linzer. Er liegt auf dem jüdischen Friedhof in Linz begraben.

Ausstellung: Zu dem neuen Buch von Verena Wagner gibt es eine Ausstellung. Die Schau „Jüdische Lebenswelten in Linz“ wird am Dienstag, 5.11. um 18 Uhr im Linzer Wissensturm eröffnet. Eintritt frei.

Gezielter Terror gegen eine Minderheit

Vor 75 Jahren wurden jüdische Mitbürger ermordet, brannten Bethäuser.

Am 9. November 1938 brach für Juden im gesamten Deutschen Reich die Hölle los. An diesem Tag wurden Juden ermordet, geschlagen, verschleppt. Bethäuser gingen in Flammen auf, Geschäfte wurden zerstört. Mit den Novemberpogromen 1938 begann die systematische Vertreibung, Enteignung und später Vernichtung der Juden während der NS-Zeit.

Die Nazis nutzten die Ermordung des deutschen Botschafts-Sekretärs Ernst vom Rath für ihre Zwecke. Der Mörder war ein Jude namens Herschel Grynszpan. Unter dem Vorwand der Vergeltung entfesselten die Nationalsozialisten die Ausschreitungen in der Nacht zum 10. November. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels sprach von einem „spontanen Ausbruch des Volkszorns“. Er prägte auch die verharmlosende Bezeichnung „Reichskristallnacht“ in Bezug auf die vielen zersplitterten Glasscheiben von Synagogen und jüdischen Geschäften. Allein in dieser Novembernacht wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt – aus Österreich kamen 3755 nach Dachau. Der Terror erfüllte den Zweck, jüdisches Kulturleben zu zerstören, jüdische Mitbürger zu verängstigen. Jüdische Firmen und Geschäfte waren heiß begehrt bei „arischen Nutznießern“.

Die Novemberpogrome waren nicht die Geburtsstunde eines ausgeprägten Antisemitismus. Der war schon vorher in vielen Gesellschaftsschichten verankert, anders ist der entfesselte Mob und der kaum vorhandene Widerstand gegen den Terror nicht zu deuten.    (dmf)

Ausstellung: Anlässlich 75 Jahre Novemberpogrom wird am 6. 11. um 19 Uhr im OÖ Kulturquartier eine Schau mit dem Titel „Die Gerechten“ eröffnet. Die Ausstellung ist bis 20. 11. im Ursulinenhof zu sehen.

Jüdischer Alltag in Linz

Fünf Jahre lang hat die evangelische Theologin Verena Wagner an ihrem neuen Buch „Jüdische Lebenswelten – zehn Linzer Biographien“ gearbeitet. Ihre Recherchen führten sie bis nach Australien. Mühevoll hat sie Puzzlesteine zu einem Gesamtbild zusammengesetzt.

Die Stadt Linz gibt diese Publikation heraus. „Es ist wirklich ein Stück Stadtgeschichte, das durch diese Zeitzeugen-Aussagen geöffnet wird, das ist eine tolle Sache“, sagt Walter Schuster, Leiter des Stadtarchivs. Der Informationswert gehe weit über die Biographien hinaus.

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