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Neustart mit Not und Mangel

Von Josef Lehner, 10. Februar 2018, 00:04 Uhr
Neustart mit Not und Mangel
Staatskanzler Renner unterzeichnet als Leiter der österreichischen Delegation in St. Germain den von den Siegermächten diktierten Friedensvertrag. Bild: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Hundert Jahre Erste Republik: Nach viereinhalb Kriegsjahren hofften die Jung-Österreicher im Herbst 1918, dass die Zeiten der Entbehrungen und des Hungers nun vorbei sein würden. Doch es kam alles noch viel schlimmer.

Bauern und Lebensmittelwirtschaft des Rest-Staates hatten nur eine Produktionskapazität, um maximal ein Drittel der Bevölkerung zu versorgen. Die Inflation galoppierte, die Menschen verarmten, Spekulanten triumphierten.

In den Städten wurde der Hunger am schlimmsten empfunden. Während des Krieges gab es rund 1300 Kalorien pro "Normalverbraucher" und Tag: 100 Gramm Mehl, 140 Gramm Brot, 17 Gramm Fett, 28,5 Gramm Fleisch. Zu Kriegsende waren die Rationen auf 830,9 Kalorien gesenkt, zum Beispiel nur noch 35,7 Gramm Mehl, dafür 180 Gramm Brot, nur noch 5,7 Gramm Fett und 17,8 Gramm Fleisch.

Brot war übrigens ein dehnbarer Begriff: "Das Kriegsbrot, das in tausend Brösel zerfiel, war mit Gersten-, Mais-, Kastanien- und Kartoffelmehl gestreckt, wurde aus Hafer und Bohnen bereitet, vermischt mit Wurzeln und Gräsern, mit Lupinensamen, Eicheln und Sägespänen, Birkenrinden und Brennnesselstängeln", berichtet der Historiker Roman Sandgruber ("Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert").

Dann kam die Grippe

Mit dem Waffenstillstand verschärfte sich die Krise, weil die großen Produktionsgebiete der Donaumonarchie traditionell in Ungarn, Böhmen und Mähren lagen. Mit ihrer Selbständigkeit stellten die Länder ihre Lieferungen nach Österreich ein. Darunter litten vor allem die Menschen in der Residenzstadt Wien, die mit zwei Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen Europas war.

Erschwerend kam hinzu, dass die junge Republik kein Geld hatte, um Lebensmittel im Ausland zu kaufen, weil die Deviseneinnahmen begrenzt waren. Die Güterproduktion, die Exporterlöse hätte bringen können, war ebenfalls überwiegend in den Kronländern situiert. Auch die Tourismuseinnahmen kamen zum Großteil aus den böhmischen Kurorten mit Weltruf – Karlsbad, Marienbad – und aus Südtirol. Die Menschen hatten nicht mehr das Geld, um einzukaufen, denn die Verbraucherpreise stiegen 1919 um 149 Prozent, 2020 um 99 und 1922 um 2877 Prozent.

Eine vierte Entwicklung hatte eine besonders tragische Komponente: Die Bevölkerung war nach den Hungerjahren geschwächt und wurde von der tödlichen Spanischen Grippe umso massiver getroffen. Die Epidemie forderte schließlich in Europa mehr Todesopfer als der Krieg.

Hass auf Wasserkopf Wien

In Ober- und Niederösterreich war die Lebensmittelversorgung erträglich. Die Bergländer hatten jedoch nicht die Produktivität, um sich ein ganzes Jahr voll zu versorgen. Die Bereitschaft im Westen, mit dem Wenigen die verhasste Bürokratenstadt Wien zu beliefern, schwand. Eine Volkswirtschaft mit 6,5 Millionen Einwohnern konnte keine Hauptstadt mit zwei Millionen Menschen versorgen.

Die junge Tschechoslowakei und Ungarn konzentrierten sich vorerst darauf, ihre eigene Bevölkerung nicht mehr hungern zu lassen. Sie dachten nicht "gut nachbarschaftlich", schreibt der Historiker Walter Rauscher, "nachdem sie ihre Lebensmittellieferungen eingestellt hatten und Wien dadurch zu verhungern drohte" ("Die verzweifelte Republik").

Hilferuf an die Sieger

Die neue Regierung in Wien richtete unmittelbar nach dem Waffenstillstand im November 1918 einen Hilferuf an die USA, Großbritannien und Frankreich: "Kohle für Wohnungsbeheizung steht überhaupt nicht mehr zur Verfügung (Anm.: unmittelbar vor Winterbeginn!). Die zur Bereitung der Speisen erforderlichen Kohlen- und Holzvorräte reichen höchstens für eine Woche. Den Mühlen und Bäckereien droht in wenigen Tagen Betriebseinstellung. Vorräte für Bahnbetrieb sind keine vorhanden. Die Gas- und Elektrizitätswerke in Wien können bei einschneidendsten Sparmaßnahmen noch zwei bis drei Wochen in Betrieb gehalten werden. In anderen Städten sind die Gaswerke bereits stillgelegt." Die Fleischvorräte seien zu Ende, Kartoffeln würden noch für eine Woche reichen.

Es fehlte an Zugtieren

"1918 und in den ersten Nachkriegsjahren brach die Wiener Milchversorgung völlig zusammen", schreibt Historiker Sandgruber: "1919 erhielt Wien nur etwa 26 Millionen Liter, verglichen mit mehr als 300 Millionen Litern im Jahr 1914." Erst 1924 wurde das Friedensniveau wieder erreicht, weil die Bauern die Chance erkannt hatten und die Milchviehhaltung ausweiteten. Die Landwirtschaft konnte ihre Produktion nur langsam steigern, denn der Krieg hatte eines der wichtigsten Produktionsmittel dezimiert: Österreichs Bauern hatten 1918 nur noch 218.000 Pferde, gegenüber 298.000 vor dem Krieg. Die Ställe waren geleert, um Front und Heimat zu versorgen. Futtergetreide wurde statt für Tiere für Menschen gebraucht. 1910 wurden auf den Höfen in Österreich (innerhalb der Grenzen von 1919) 2,2 Millionen Rinder und 1,8 Millionen Schweine gehalten, 1918 nur noch 1,4 bzw. 1,3 Millionen.

"Das ist das Todesurteil"

Trotzdem zählten die Bauern zu den Kriegsgewinnern, auch nach 1918. Sandgruber: "Die Landwirtschaft litt zwar ebenfalls: am Mangel an Arbeitskräften und Zugtieren, an den harten, oft brutalen militärischen Requirierungen, an überlangen Arbeitszeiten vor allem für die Frauen, für die Kinder und alten Männer, aber die Position der Selbstversorger ließ Hunger seltener auftreten, die nicht kontrollierbaren Hamsterfahrten der Städter brachten Geld und Sachgüter auf den Hof, die Inflation verminderte den Schuldenstand." Am meisten profitierten natürlich stadtnahe Landwirte.

Die Perspektiven wurden immer düsterer. Als die Siegermächte Österreich im Frühjahr 1919 ihre scharfen Friedenspläne präsentierten, reagierte der oberösterreichische Landeshauptmann Johann Nepomuk Hauser, der gleichzeitig als zweiter Präsident der Nationalversammlung die führende Rolle bei den Christlich-Sozialen hatte, entsetzt: "Das ist das Todesurteil für Österreich."

Burgenland als Retter

Eine US-Delegation hatte jedoch die Versorgungslage in Wien studiert. Die Entente-Mächte kamen zum Schluss, dass die ehemalige Residenzstadt ein bäuerliches Hinterland brauche, um mit Lebensmitteln versorgt werden zu können. Sie schlugen der jungen Republik einen Teil der deutschsprachigen Gebiete Westungarns zu, das heutige Burgenland.

Jahrelang rang erst die sozialdemokratische, dann die christlichsoziale Regierung um humanere Friedensbedingungen und um internationale Kredite, um im Ausland Lebensmittel und Kohle kaufen zu können. Es gab massive innenpolitische Auseinandersetzungen, weil den Regierenden vorgeworfen wurde, sie hätten für Kredite aus Rom bzw. Prag die deutschen Gebiete in Südtirol und Böhmen geopfert.

Weil der Friedensvertrag von St. Germain Österreich ein Pfand auf alle Besitzungen auferlegte (Generalpfandrecht), konnte es für Kredite keine Sicherheiten geben. Gegen die Krone wurde massiv spekuliert. Die Regierung konnte sich nur noch über die Notenpresse finanzieren. Am schlimmsten litten die kleinen Leute. Ein Laib Brot kostete 1914 eine halbe Krone, Mitte 1922 6600 Kronen. Für Butter musste das 27.500-Fache von 1914 bezahlt werden.

100.000 Beamte entlassen

Erst 1922 gelang es Bundeskanzler Ignaz Seipel, die Siegermächte zu überzeugen, dass nur mit großzügigen Krediten der Währungsverfall und die Inflation gebremst werden könnten. Kaum waren die Kredite genehmigt, ließen die Spekulanten von der Krone ab – Parallelen zur aktuellen Griechenland-Krise fallen auf. Auch das junge Staatswesen Österreichs musste damals scharfe Auflagen des Völkerbunds in Genf erfüllen. 100.000 Bundes- und Eisenbahnbedienstete mussten abgebaut werden.

Doch die Staatsfinanzen waren längst nicht saniert. Das mündete in scharfe Kontroversen zwischen rechtem und linkem Lager, die sich weiter aufschaukelten und letztlich in die nächste politische Katastrophe, den Bürgerkrieg und die nationalsozialistische Machtübernahme, führten.

100 Jahre Konjunktur

Das Wifo-Institut analysiert Österreichs Wirtschaftsentwicklung seit 1918. Die schweren Belastungen nach dem Ersten Weltkrieg konnten nur mit Hilfe des Völkerbundes überwunden werden. Die folgende schwache Erholung wurde von der Weltwirtschaftskrise unterbrochen. Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gelang außerordentlich rasch und ging in eine Periode kräftigen Wachstums über. Dies machten die Wirtschaftshilfe der USA und der soziale Frieden in Österreich möglich. Zwar wurde die Dynamik von Rezessionen und Krisen unterbrochen, jedoch trieben Ostöffnung, EU-Beitritt, Euro-Einführung und EU-Osterweiterung die heimische Wirtschaft und vor allem die Industrie an. Der Wohlstand stieg massiv. Musste ein Metall-Facharbeiter 1918 knapp drei Stunden für ein Kilo Brot arbeiten, waren es 2017 elf Minuten.

 

Ein Land im freien Fall
Hunger in Wien 1918 und 1919: Vor Geschäft stehen Menschen Schlange. Bild: ÖNB / Pichler

Ein Land im freien Fall

 

Die wirtschaftliche Ausgangslage für die junge Republik war äußerst schlecht. Besserung war lange nicht in Sicht.

Das Land betrieb wenig Ackerbau, weil die ertragreichsten Flächen in Ungarn, Böhmen und Mähren lagen. Ähnlich verhielt es sich mit der Industrie. Damit hatte die junge Republik Österreich nur eine bescheidene Exportwirtschaft; sie erzielte geringe Deviseneinnahmen. Um trotzdem die fehlenden Nahrungsmittel und Brennstoffe – vor allem Kohle – im Ausland kaufen zu können, wurde die Banknotenpresse angeworfen.

Die wachsenden Handels- und Budgetdefizite trieben die Geldentwertung an. Das Misstrauen der Finanzmärkte war so groß, dass Österreich für seine Kronen im Ausland immer weniger Geld erhielt. Am 21. Juni 1922 etwa musste ein US-Dollar mit 14.806 Kronen bezahlt werden, am 15. August schon mit 58.350 Kronen. Die Sozialdemokraten forderten die christlich-soziale Regierung auf, nicht nur zu sparen, sondern auch neue Steuern einzuführen. Der Staat könne damit seinen Bürgern gar nicht so viel wegnehmen, wie dies tagtäglich über die Geldentwertung geschehe.

Raubzüge der Ausländer

Erst als die internationale Reparationskommission 1922 auf einen Teil des Generalpfandrechts der Siegermächte verzichtete, erhielt die Republik ein wenig finanziellen Spielraum. Die Einnahmen aus dem Tabakmonopol, die Zölle und die Erträge aus den Forsten, Domänen und Salinen durften Kreditgebern als Sicherheit angeboten werden. Die Siegermächte spürten auch, dass sie aus Eigennutz helfen mussten. Ihre Wirtschaft litt darunter, dass Deutsche und Österreicher sich ihre Waren nicht leisten konnten.

Auf der anderen Seite kam es zu „Raubzügen“ in Österreich, wie der Schriftsteller Stefan Zweig schildert. Ausländer fielen ein, um den Kronenverfall für billige Einkäufe und Zechgelage zu nutzen. „Stenotypistinnen aus Holland wohnten in den Fürstenappartements der Ringstraßenhotels.“ Arbeitslose aus England ließen es sich mit ihren Pfund in Luxushotels gut gehen. Die oberösterreichische Landesregierung forderte die Fremden auf, die Heimreise anzutreten – „aus Rücksicht auf die Wirtschafts- und Ernährungslage der bodenständigen Bevölkerung“.

Arbeitslosigkeit sank

In der dritten Augustwoche 1922 betrug der Banknotenumlauf 1 Billion, 147 Milliarden Kronen. In einer Woche stieg er um 183 Milliarden. 30 Milliarden Kronen wurden täglich gedruckt. Wer Geld zum Spekulieren hatte, wer Schulden hatte, wurde reich. Die Besitzer von Sparguthaben verarmten. Wer Kriegsanleihen gezeichnet hatte, verlor alles.

Besser sah es bald in der Realwirtschaft aus. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt entspannte sich. Betrug die Arbeitslosenrate 1919 noch 18,4 Prozent, so sank sie bis 2021 auf 1,4 Prozent. Im schlimmen Inflationsjahr 2022 stieg sie auf 4,8 Prozent. Das war jedoch leicht verkraftbar, im Verhältnis zum Absturz in der Weltwirtschaftskrise nach 1929, als sie mehr als 30 Prozent betrug.

 

 

Schilling als Neustart

Österreichs Bevölkerung erlebte in den vergangenen 100 Jahren vier Währungsumstellungen. 

In den vergangenen 100 Jahren hatte Österreich vier Währungen in fünf verschiedenen Phasen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde noch mit der 1892 eingeführten Krone bezahlt. Sie ging in der Hyperinflation unter und wurde 1925 vom Schilling als offizielles Zahlungsmittel abgelöst.

Die Bevölkerung war in den Jahren davor durch eine ökonomische Katastrophe gegangen. Die Einführung der neuen Währung war ein Teil der Sanierung des Staatshaushalts und der Normalisierung der Geldpolitik – beides gefordert vom Völkerbund, der Österreich 1922 eine Anleihe in Höhe von 650 Millionen Kronen gewährte.
Der Schilling sollte Aufbruchstimmung vermitteln und den Bürgern, Finanzmärkten und der Welt Vertrauen signalisieren. Für 10.000 Kronen bekam man einen Schilling. Stabilität war fortan das oberste Prinzip der Wirtschaftspolitik. Der Schilling entwickelte sich in diesem Umfeld tatsächlich zu einer der stabilsten Währungen Europas, was ihm im Volksmund den Spitznamen „Alpendollar“ einbrachte.

Grafik: Österreichs Währungen

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Österreichs Währungen

PDF-Datei vom 09.02.2018 (5.739,88 KB)

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Deutsche Mark als Vorbild

„In der Geschichte des Geldes folgten auf Kriege Währungsreformen. Für die Bevölkerung war das kurzfristig schmerzhaft, langfristig aber positiv“, sagt Walter Antonowicz vom Bankhistorischen Archiv der Oesterreichischen Nationalbank. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es nicht anders. 1945 war die im Umlauf befindliche Geldmenge sechs Mal so groß wie sieben Jahre davor. 1938 hatten die Nationalsozialisten die Reichsmark eingeführt. Bei der Rückkehr zum Schilling verloren die Bürger wieder den Großteil ihres Geldvermögens. 1947 bekamen sie für drei „alte“ einen „jungen“ Schilling. Die Phase der Abwertungen dauerte bis 1953.

Eine weitere Zäsur in der Währungspolitik erfolgte nach dem Ende des Systems von Bretton Woods (fixes Wechselkurssystem mit Goldstandard und US-Dollar als Ankerwährung) Anfang der 1970er-Jahre. Österreich schwenkte auf eine Hartwährungspolitik ein. Der Schilling orientierte sich ab 1976 an der Deutschen Mark.
1999 wurde der Euro als Buchgeld eingeführt. Seit 2002 ist die Gemeinschaftswährung das offizielle Zahlungsmittel in Österreich. Einen Euro bekam man damals für 13,7603 Schilling.

Negativ besetzt ist der Euro aufgrund der Staatsschuldenkrise der Eurozone ab dem Jahr 2009 und wegen starker Preiserhöhungen in gewissen Branchen bei der Einführung („Teuro“). Langfristig gesehen ist die Inflation seit 2002 aber geringer als davor. Und im Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar zeigt der Euro überwiegend Stärke (az).

 

 

 

 

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