Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Regierung vor Scherbenhaufen: Hunt folgt Johnson

Von Jochen Wittmann, London, 10. Juli 2018, 06:42 Uhr
BRITAIN-POLITICS-EU-BREXIT
Jeremy Hunt Bild: SIMON DAWSON (WPA Rota)

LONDON. Nach dem Rücktritt des britischen Außenministers Boris Johnson im Streit über die Brexit-Verhandlungen hat Premierministerin Theresa May umgehend die Nachfolge geregelt. Zum neuen Außenminister berief sie am Montagabend den bisherigen Gesundheitsminister Jeremy Hunt.

Dessen Ressort übernimmt Matt Hancock, bisher Minister für Kultur und Medien. Zum neuen Kulturminister ernannte May den bisherigen Generalstaatsanwalt für England und Wales, Jeremy Wright.

May, die eine enge Bindung an die Europäische Union bewahren will, kämpft um ihr politisches Überleben. Beobachter in London befürchteten am Montag einen Aufstand der Hardliner in ihrer konservativen Partei, die einen strikten Bruch mit der EU anstreben.

Boris Johnson, wichtigster Brexit-Wortführer im Kabinett, war am Montagnachmittag zurückgetreten, nur Stunden nach der Rücktrittsankündigung von Brexit-Minister David Davis. Noch am Freitag hatte May ihre zerstrittene Ministerriege nach heftigen Debatten auf ihre neue Verhandlungslinie einschwören können - doch der auf einer Klausur geschlossene Burgfrieden hielt nur zwei Tage.

Johnson begründete seinen Rücktritt damit, dass er die neue Linie nicht mittragen könne. "Der Brexit-Traum stirbt, erstickt von unnötigen Selbstzweifeln", hieß es in seinem Rücktrittsschreiben an die Premierministerin. Wichtige Entscheidungen seien hinausgeschoben worden, einschließlich der Vorbereitungen für einen Brexit ohne Abkommen, schrieb Johnson.

Die Folge sei, dass Großbritannien auf einen halbgaren Brexit zusteuere, mit großen Teilen der Wirtschaft eingebunden in ein EU-System, aber ohne Einflussnahme darauf. Mit Mays Plan steuere Großbritannien "auf den Status einer Kolonie" zu. Er habe May gratuliert, dass sie die Unterstützung des Kabinetts gewonnen habe. Das Problem sei aber, "dass ich den Text übers Wochenende einstudiert habe und er mir im Hals stecken bleibt". Während der Klausur soll Johnson Mays Strategie als "Scheißhaufen" bezeichnet haben.

May hielt am Montag im Unterhaus dagegen. Ihr Ziel, weiterhin enge Beziehungen zur EU zu pflegen, schütze Arbeitsplätze und sei das beste für die Bevölkerung. "Es ist der richtige Deal für Großbritannien." Nach Mays Vorschlag soll Großbritannien bei Waren und Agrarerzeugnissen auch nach dem EU-Austritt eng an den europäischen Binnenmarkt gebunden bleiben. Die anderen drei Freiheiten des Binnenmarkts - Kapital, Arbeitskräfte und Dienstleistungen - sollen aber beschränkt werden. Damit wollen die Briten die ungehinderte Einreise von EU-Bürgern stoppen und im wichtigen Dienstleistungssektor eigene Wege gehen.

Nach einem Misstrauensvotum gegen May aus ihrer eigenen Partei sah es am Montagabend nicht aus. Es sei dafür keine ausreichende Anzahl an entsprechenden Anträgen eingegangen, zitierte die BBC den erzkonservativen Abgeordnete Jacob Rees-Mogg nach einem Treffen Mays mit einflussreichen Hinterbänklern ihrer Fraktion, dem sogenannten 1922-Komitee.

Trump kommt am 13.Juli

US-Präsident Donald Trump will trotz der Regierungskrise in Großbritannien an seinem geplanten Besuch festhalten. "Der Präsident freut sich weiterhin auf seinen Arbeitsbesuch mit der Premierministerin am 13. Juli und darauf, das besondere Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien weiter zu stärken", teilte seine Sprecherin Sarah Sanders mit.

Nachfolger von Davis soll Dominic Raab werden. Der 44 Jahre alte Konservative war zuletzt Staatssekretär für Wohnungswesen und gilt wie Davis als überzeugter Brexit-Anhänger.

Davis erklärte, Mays Brexit-Plan schwäche die Verhandlungsposition Londons gegenüber der EU; Großbritannien gebe "zu leichtfertig zu viel her". Stürzen wollen er die Premierministerin nicht. Er habe mit seinem Rücktritt eine Gewissensentscheidung getroffen, sagte er der BBC. Sollte May dennoch stürzen, werde er seinen Hut nicht in den Ring werfen.

Die Opposition warf Mays Regierung vor, Chaos zu stiften und jegliche Glaubwürdigkeit zu verspielen. "Wie kann irgendjemand der Premierministerin zutrauen, einen guten Deal mit 27 EU-Regierungen zu bekommen, wenn sie nicht mal einen Deal innerhalb ihres eigenen Kabinetts aushandeln kann?", fragte Labour-Chef Jeremy Corbyn.

Die Zeit drängt

Eigentlich soll ein Abkommen über den Austritt schon im Herbst stehen, damit es noch rechtzeitig ratifiziert werden kann.

Für May, die seit der Neuwahl im vergangenen Jahr im Parlament nur noch über eine hauchdünne Mehrheit verfügt, sind die Rücktritte ein herber Schlag. Sie muss nun mit weiterem Widerstand aus dem Brexit-Flügel ihrer Partei rechnen. Etwa ein Fünftel der Abgeordneten ihrer Fraktion werden dazu gezählt.

 

Schwerer Rückschlag für Theresa May: Zwei Rücktritte an einem Tag

Lange hat die neue Kabinettsdisziplin nicht gehalten. Nachdem die britische Premierministerin Theresa May am letzten Freitag ihre Minister zu einer Klausurtagung auf dem Landsitz Chequers einberufen hatte und auf einen gemeinsamen Kurs beim Brexit einschwören konnte, war die Hoffnung groß gewesen, dass jetzt alle Mitglieder der Regierung an einem Strang ziehen würden. Der in der Nacht zum Montag erfolgte Rücktritt von David Davis machte dem Optimismus einen Strich durch die Rechnung. Ausgerechnet der für den Austritt Großbritanniens aus der EU zuständige Minister hat kein Vertrauen in den Brexit-Plan seiner Chefin. Auch sein Stellvertreter, der Staatssekretär Steve Baker, trat zurück, ebenso wie der exzentrische Außenminister Boris Johnson, der als Hauptkritiker der Regierungschefin galt. Als neuer Brexit-Minister wurde der bisherige Staatssekretär für Kommunen Dominic Raab ernannt.

Droht eine offene Revolte?

Für Theresa May könnten sich die Demissionen zu einer der schwersten Krisen auswachsen seit dem enttäuschenden Wahlausgang vor einem Jahr, als sie die parlamentarische Mehrheit der Konservativen Partei verlor. Sollten weitere Abgänge erfolgen, stünde ihre eigene Position in Frage. Wenn Brexit-Hardliner Umweltminister Gove ebenfalls seinen Hut nehmen würde, käme es zur offenen Revolte innerhalb der Fraktion der Konservativen.

Mays auf Chequers beschlossene Vorschläge, die am Donnerstag in einem Weißbuch ausgearbeitet vorgelegt werden sollen, laufen auf einen wesentlich weicheren Brexit hinaus, als ihn sich die Brexit-Hardliner wünschen. Statt eines harten Schnitts will May ein Freihandelsabkommen mit der EU, bei dem das Königreich, was den Warenverkehr anbelangt, weiterhin die Regeln des Binnenmarkts befolgt und innerhalb eines gemeinsamen Zollarrangements verbleibt. Brexit-Minister Davis protestierte in seinem Rücktrittsschreiben, dass die Übernahme "des gemeinsamen Regelwerks die Kontrolle großer Teile unserer Wirtschaft an die EU übergibt". Damit wollte er sich nicht abfinden. Kritisch für Theresa May wird nun sein, ob sich Davis und Johnson von den Hinterbänken des Unterhauses aus als Herausforderer positionieren und sich zum Sprachrohr eines harten Brexit machen.

Der Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn sprach von einer "Regierung im Chaos". Dass Davis "zu einem derart kritischen Zeitpunkt zurücktritt", schrieb er auf Twitter, "zeigt, dass May keine Autorität mehr hat". Tatsächlich sieht es nicht gut aus für May, weil mit Johnson der siebte Kabinettsminister seit November gegangen ist. Der Eindruck verfestigt sich, dass sie im Amt, aber nicht an der Macht ist. Paradoxerweise könnte aber genau das ihr bei den Verhandlungen mit Brüssel helfen. Eine Destabilisierung von May, die gerade auf einen weichen Brexit-Kurs eingeschwenkt ist, läge nicht im Interesse der EU.´May selbst zeigte sich kämpferisch: Sie bedauerte die Rücktritte, verteidigte jedoch ihre Linie: Ihr Ziel, weiter enge Beziehungen zur EU zu pflegen, sei der richtige Deal für Großbritannien.

Reaktionen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) traf gestern Abend mit seiner britischen Amtskollegin Theresa May zusammen. Er betonte, dass es durch den Rücktritt des Brexit-Ministers David Davis zu keinen Verzögerungen bei den EU-Austrittsverhandlungen mit Großbritannien kommen dürfe. „Der Rücktritt ist natürlich zu respektieren. Wichtig ist, dass er aber nicht dazu führt, dass sich die Verhandlungen weiter verzögern“, so Kurz. „Es gibt einen klaren Zeitplan, und der muss eingehalten werden. Das bedeutet, wir brauchen im Herbst eine politische Einigung“, damit die nötigen Beschlüsse auf EU- und britischer Seite zeitgerecht getroffen werden könnten. Der Bundeskanzler unterstrich zudem, dass es entscheidend sei, „sicherzustellen, dass es auch weiterhin keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland“ gebe.

Auch die EU-Kommission sieht für die Brexit-Verhandlungen durch den Rücktritt von Davis keine Probleme für die kommenden Gespräche. Es gebe auch keine Risse innerhalb der EU-27, sondern weiterhin eine geeinte Haltung, hieß es.

EU-Ratspräsident Donald Tusk reagierte zurückhaltend auf die Rücktritte der Minister Davis und Johnson. "Politiker kommen und gehen, aber es bleiben die Probleme, die sie für ihr Volk geschaffen haben", sagte Tusk in Brüssel. "Das Durcheinander aufgrund des Brexits ist das größte Problem in der Geschichte der Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Es ist immer noch weit von einer Lösung entfernt."

mehr aus Außenpolitik

Ist Trump immun gegen Strafverfolgung?

Sunak bei Scholz: Antrittsbesuch nach 18 Monaten

Offensive in Rafah: Zu Beginn mehrwöchige Evakuierung

Biden kündigt neues Paket mit Militärhilfe für die Ukraine an

Interessieren Sie sich für dieses Thema?

Mit einem Klick auf das “Merken”-Symbol fügen Sie ein Thema zu Ihrer Merkliste hinzu. Klicken Sie auf den Begriff, um alle Artikel zu einem Thema zu sehen.

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

2  Kommentare
2  Kommentare
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
linz2050 (6.587 Kommentare)
am 10.07.2018 14:34

Des ist wieder typisch Popo-listen: zuerst das Land und das Volk ruinieren und dann wenn die eigenen Taschen voll sind verschieden! Erinnert mich sehr an Österreich 2000-2008! Und jetzt wieder!

lädt ...
melden
antworten
Grufti2016 (433 Kommentare)
am 10.07.2018 10:57

Ist schon schmerzlich zu sehen das Populisten nicht begreifen das die Wirtschaft die Welt beherrscht nicht die Politik. Egal wie laut sie schreien die Wirtschaft droht sofort wenn es gegen die Interessen einiger geht was ja hier das Volk unterstützen sollte damit sie der Brexit zu einem Erfolg ausweisen sollte. Das Englische Volk spürt glaube ich schon den Fehler und sollte schnellstens etwas tun bevor es zu spät ist. (glaub der Boris ist ja schon 2x zurückgetreten denn kann man ja nimmer ernst nehmen wenn man Verstand hat.) In Österreich erkennen auch viele das Türkis = Schwarz ist und Blau ein Blender war. Grün war der Beschiss schlecht hin und Rot hat zu lange sich auf die Ausländischen Wähler gekümmert als um die Eigenen. Der Rest ist unwählbar. Keine Regierung der man trauen sollte.

lädt ...
melden
antworten
Aktuelle Meldungen