"Zu viel Ehrgeiz kann direkt ins Burn-out führen"
Fitter, schöner, leistungsfähiger: Die Soziologin Friederike Widholm warnt davor, in die Selbstoptimierungsfalle zu tappen. Sie rät, sich realistische Ziele zu setzen und sich nicht nach den Idealen anderer zu richten.
Der Jänner ist der Monat der Selbstoptimierung: Die Fitnessstudios sind überfüllt wie zu keiner anderen Zeit im Jahr, auf den Joggingrouten tummeln sich mehr schwer atmende Menschen in brandneuer Laufkleidung als im restlichen Jahr, und Rauchentwöhnungsseminare sind ausgebucht. Auch beruflich planen viele, neu durchzustarten, um endlich den gewünschten Erfolg zu erzielen. Aber der häufigste Vorsatz lautet wohl auch heuer wieder: gesünder leben, weniger essen und die Kilos purzeln lassen.
Grenzen erkennen
"Das Stichwort Selbstoptimierung hat derzeit Hochkonjunktur", bestätigt Friederike Widholm, Leiterin des Frauengesundheitszentrums in Linz. Grundsätzlich sei nichts gegen gute Vorsätze einzuwenden. "Das Problem ist, dass viele die Grenzen nicht erkennen und sich unrealistische Ziele setzen", sagt Widholm. Diese Menschen würden so sicher wie das Amen im Gebet an ihren überhöhten Ansprüchen scheitern. "Dies führt wiederum zu Frust und manchmal sogar ins Burn-out, wenn die Betroffenen nicht merken, dass sie Unerreichbarem nachjagen", warnt die Linzerin.
Glücksratgeber und diverse Apps
Gefördert werde das Bedürfnis vieler, sich selbst zu optimieren und ihr Leben möglichst effizient zu gestalten, auch durch die Flut an Glücksratgebern, die derzeit auf dem Markt sind. "Aber auch Social Media und diverse Optimierungs-Apps wie Schrittzähler, Schlafüberwacher und Kalorienzähler sind mit Vorsicht zu genießen", warnt die Soziologin.
All diese Medien würden vermitteln, dass man sich in sämtlichen Lebensbereichen verbessern kann und soll. Und es werde auch suggeriert, dass sich die Mühe lohne, weil man mit jedem Lauftraining, jedem Salatblättchen statt einer deftigen Speise glücklicher und zufriedener werden könne. Wer sich jedoch darauf verlasse, müsse sich auf eine bittere Enttäuschung gefasst machen. "Denn wer schafft es schon, jede Woche dreimal zu joggen, sich nur noch gesund zu ernähren und ununterbrochen nach strengen Regeln zu leben?", so Widholm.
Nicht nur für einen selbst, auch auf den Freundes- und Bekanntenkreis wirke sich das Bedürfnis, aus sämtlichen Lebensbereichen für sich das Optimum herausholen zu wollen, oft negativ aus. "Denn diese Leute konzentrieren sich meist nur noch auf sich selbst und vergessen völlig, auf die Bedürfnisse der Menschen rund um sie einzugehen", sagt Widholm. Auf lange Sicht zerstöre diese ich-zentrierte Einstellung Freundschaften.
Aber wie kann man das Beste aus sich herausholen, ohne ins Burn-out zu fallen und Freunde völlig zu vernachlässigen? Die Antwort darauf ist für die Soziologin einfach: Sie rät, sich seine Ziele nicht von Glücksratgebern und Apps aufdrängen zu lassen, sondern selber zu entscheiden, in welchen Bereichen man sich verbessern möchte und welche Ziele realistisch und sinnvoll sind.
Frauen besonders gefährdet
Vor allem Frauen fehlt laut Widholm aber leider oft das nötige Selbstbewusstsein, zu sagen: "Ich fühle mich wohl, auch wenn ich keine Modelmaße habe und nicht jeden Tag joggen gehe. Ich muss nicht alles machen, was in ist." Deshalb appelliert Widholm an alle, die sich zu Jahresbeginn allzu hohe Ziele gesteckt haben, diese noch einmal gründlich zu überdenken und sich zu fragen: Was tut mir abseits von Ratgebern wirklich gut, und was kann ich umsetzen? "Nur so schützt man sich davor, in einigen Monaten frustriert aufgeben zu müssen."