„Wenn du wiederkommst“ von Anna Mitgutsch: Große und gegenseitige Liebe
Der endgültige Verlust des geliebten Lebensmenschen ist ein Schmerz, der an Heftigkeit kaum zu überbieten ist. Kann man davon erzählen? Ja, wenn man eine Schriftstellerin von der Klasse einer Anna Mitgutsch ist.
Schon das 1. Kapitel von Mitgutschs neuem Roman „Wenn du wiederkommst“ ist ein kleines kompositorisches und stilistisches Meisterwerk. Die Erzählerin erinnert sich an ihr letztes Zusammensein mit Jerome, ihrem Lebensmenschen.
Es war in Boston, ein Tag im April. Die Ehe mit Je-rome hat 20 Jahre gedauert, seit 15 Jahren ist sie zwar geschieden, aber die tiefe Verbundenheit hat sich nicht aufgelöst. Beim letzten Beisammensein scheint es, als sei ein Neubeginn möglich. Jerome flüstert: „Bis zum nächsten Mal, dann wollen wir auch wieder miteinander schlafen.“ In dieses ermutigende Hoffnungsbild setzt Anna Mitgutsch kontrastiv die kleinen, aber klaren Zeichen des Todes: Jerome macht einen makabren Witz, auf dem Heimweg ringt er nach Luft, und im Nachhinein erkennt die Erzählerin, dass Jeromes Bedürfnis nach mehr Nähe die Angst vor dem Tod war. Kurze Zeit später stirbt Jerome.
Die Erzählerin reist noch einmal nach Boston. Der endgültige Abschied gibt ihr den Anstoß zum Nachdenken über die wichtigste Liebesbeziehung ihres Lebens, die glücklich und schmerzlich, fröhlich und traurig, anregend und enttäuschend war. Jerome und sie gehören zu einer Generation, die sich für die Liebe viel vorgenommen hat. „Wir stellten hohe Ansprüche an uns selber, Ansprüche, an denen wir dreißig Jahre lang immer von neuem scheiterten und die wir irgendwann vergaßen.“
Jerome konnte oder wollte nicht treu sein. Und die Erzählerin brauchte immer wieder ihre Rückzugszeiten und -orte. Die Balance von Freiheit und Sicherheit wurde in dieser Ehe zur übermächtigen Herausforderung. In ihrer Trauerarbeit geht die Erzählerin auch durch Phasen großer Verunsicherung, sie fragt sich sogar, ob sie vielleicht auf dieser Liebe sitzen bleiben werde „wie auf einem Sack voll Lügen“. Letztlich stellt sich aber am Ende des Trauerjahres doch die Gewissheit ein, dass die Liebe groß und gegenseitig war.
Mit ihrem Lebensmenschen verliert die aus Europa stammende Erzählerin auch ihre partielle Zugehörigkeit zur amerikanischen Gesellschaft und zu Jeromes jüdischem Umfeld. Obwohl sie selbst mit dem Übertritt zum Judentum den „bedingungslosen Eintritt in das Leben des geliebten Menschen“ vollziehen wollte, fühlte sie sich weder in Jeromes Familie noch bei seinen Freunden ganz angenommen und daheim. Dieser Rest von Fremdbleiben wird auch während der jüdischen Trauerrituale offenkundig.
Anna Mitgutsch hat es sich nicht leicht gemacht, sie hat für ihren neuen Roman ein sehr heikles Thema gewählt, das existentielle Elementarerlebnis von Schmerz und Trauer, das erst einmal zur Sprache gebracht sein will – jenseits von Memento-mori-Klischees und Kitschmetaphern. Nur wenige Autoren sind solch einer Herausforderung gewachsen.
Anna Mitgutsch ist eine von ihnen.